Man wagt kaum mehr, ein Streichholz anzuzünden, so explosiv ist unsere Zeit. Ein Funken noch, scheint es, und uns fliegen schon bald die Demokratie, der Nahe Osten oder gar die Atomraketen um die Ohren. Kein Wunder deshalb, dass sich „Biedermann und die Brandstifter“ wieder in unsere Theaterspielpläne schiebt.
Max Frischs „Lehrstück ohne Lehre“ über einen Bürger, der vor lauter Sorge um den lieben Frieden sein eigenes Haus in Brand setzen lässt und den Tätern sogar noch das Streichholz reicht: Erst wenige Monate ist es her, dass Ex-Intendant Nicolas Stemann damit seinen Abschied vom Zürcher Schauspielhaus beging. Jetzt ist es auch auf der Bühne des Konstanzer Stadttheaters zu sehen.
Leicht entzündlich erscheint die Welt darauf allerdings nicht. Ein saftig grüner Wald mit bemoosten Baumstämmen erstreckt sich über die rückseitige Wand. Davor: blendend weißes Designermobiliar (Bühne Julia Scholz). Man weiß nicht recht zu unterscheiden zwischen Schein und Sein. Ist der Wald hier bloß Tapete? Oder blicken wir durch eine Fensterfront ins feuchte Gebüsch?
Das Tückische an der vermeintlich offensichtlichen Aktualität dieses Stücks liegt ja in seiner Unbestimmtheit. In Gottlieb Biedermann zeigt sich der mit unserer Demokratie zündelnde AfD-Wähler ebenso wie der Flüchtlingsaktivist, der auch potenziell gewaltbereite Islamisten noch ins Land winkt: Die Definition von Naivität hängt ganz wesentlich vom eigenen politischen Standpunkt ab, bieder sind im Zweifel immer nur die anderen.
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Bei Regisseur Kristo Sagor wirkt der Hausbesitzer wie einem Sylt-Video entsprungen. Biedermann (Jasper Diedrichsen) betritt das Hochglanz-Interieur als Snob in weißer Hose und akkuratem Hemd, fehlt bloß noch der lässig über die Schulter geschwungene Kaschmirpullover.
Ohne sein Apple-Tablet läuft bei ihm nichts, Dienstmädchen Anna ist nur ein digitaler Sprachassistent. Im Unterschied zu Alexa oder Siri allerdings kann das Programm nicht nur mit lasziver Stimme Fragen beantworten, sondern hinter den Kulissen sogar Essen anrichten und Gästen die Wohnungstür öffnen.

Brandstifter Schmitz gelangt deshalb ohne Weiteres ins Wohnzimmer, und dass er dort sitzen bleiben darf, dürfte auch etwas damit zu tun haben, dass er in dieser Inszenierung eine Frau ist. Wrestlerin sei sie gewesen, sagt Sarah Siri Lee König und genießt die Irritation im Gesicht ihres unfreiwilligen Gastgebers: gleich zwei Gründe also, von potenziellen Handgreiflichkeiten mal besser Abstand zu nehmen.

Statt Haarwasser verkauft der Konstanzer Biedermann Selleriesaft, dass er zehn Jahre alten Beaujolais trinkt, lässt an seiner kulinarischen Kompetenz gleichwohl zweifeln. Den Brandstiftern geht er ohnehin wie gewohnt auf den Leim, schon bald stapeln Schmitz und ihr Kumpan Eisenring (Jonas Pätzold) Benzinkanister auf die schicke Kommode. Zwar befragt Ehefrau Babette (Kristina Lotta Kahlert) beunruhigt noch mal ihre eigene App „Bobby“ und erfährt, dass die Fahrräder vor der Tür tatsächlich Brandstiftern gehören: Aber was besagt das schon? Man möge doch nicht „immer nur das Böse“ im Menschen vermuten, mahnt Gottlieb.
Natürlich blitzt in solchen Sätzen die ganze Kraft dieses modernen Klassikers auf. Der Drang, selbst in einer Angelegenheit von rein faktischer Relevanz noch moralische Fragen nach Gut und Böse hineinzugeheimnissen, ist ja tatsächlich ein Problem unserer Zeit. Und wenn Gottlieb Biedermann den Brandstiftern noch kurz vor der Katastrophe seine Freundschaft versichert: Da denkt man unweigerlich an manchen politischen Akteur, der den Bären im Kreml gerade besonders herzlich umarmt – in der Hoffnung, dass so vielleicht doch noch ein Lämmchen daraus wird. Allein, derlei Assoziationen ergeben sich aus dem Text.

Dessen szenische Umsetzung dagegen findet bis zum Schluss nicht zu einer überzeugenden Form. Soll Frischs Geschichte vom Biedermann nicht selbst bieder wirken, muss sie sich als Spiegel erweisen, in dem wir mit Schrecken uns selbst erblicken. Bei Sagor indes unterläuft schon das merkwürdig unentschiedene Bühnenbild jede Identifikation.
Zwar gefällt Sarah Siri Lee König als abgebrühte, lebenserfahrene Gaunerin, die ganz genau weiß, welche Knöpfe sie bei ihrem Opfer drücken muss. Und Jasper Diederichsen spielt die Rolle des Bürgersnobs mit konsequenter Schmierigkeit. Es bleiben aber Figuren aus einer anderen Realität, der Besucher darf sich in einer wohligen wie trügerischen Sicherheit wähnen: der naiven Vorstellung, ihm selbst könne das alles nie passieren.
Kommende Vorstellungen: am 23. und 25. bis 27. Oktober. Weitere Informationen: www.theaterkonstanz.de