Jeder hat eine Mutter, man­che sogar zwei: die genetische und dazu noch eine Leih­mut­ter. Nicht nur diese ver­gleichs­weise junge Arbeitsteilung hat den ursprünglich rein biologischen Vorgang von Schwangerschaft und Geburt verändert. Auch sonst funken Wissenschaft und Tech­nik da­zwischen. So kann das Geschlecht des Kindes schon im Mutterleib be­stim­mt werden – und die werdenden Eltern sich emotional schon mal auf den Nach­wuchs ein­stellen. Ungeahnte Mög­lich­keiten eröffnet die Ge­netik: für Wun­schkinder, nach ausgewählten Eigenschaften sozusagen am Reißbrett designt.

Wie die Schwangerschaft unterliegt auch das Verhältnis von Mutter und Kind dem Wandel der Zeit. Eine Aus­stel­lung der Kunsthalle Mannheim beleuchtet es von der Urgeschichte bis zur Gegenwart. Sie trägt den schlichtestmöglichen Titel: „Mutter!“­ Doch was klingt in dieser Überschrift nicht alles an. Das Werben um Zuwendung. Die Bitte um Hilfe. Die dringende Forderung, gehört zu werden – oder, im Ge­genteil: empörte Zurechtweisung, Ab­grenzung, Distanzierung.

Einst waren Mutterfiguren Sinn­bilder der Fruchtbarkeit; so das über 4000 Jahre alte jungsteinzeitliche Kykla­den­idol, auch die thronende Terrakottafigur mit Vierlingen aus dem antiken Rom. Seit dem Mittelalter wird das Bild der Mutter in der westlichen Zivilisation dann stark von Madonnendarstellungen geprägt – bis hin zur kün­stle­rischen Moderne, ja, zur Gegenwart.

Cindy Shermans Bild: „Untitled“, 1990, wirkt nur auf den ersten Blick wie ein klassisches Marienbild.
Cindy Shermans Bild: „Untitled“, 1990, wirkt nur auf den ersten Blick wie ein klassisches Marienbild. | Bild: Cindy Sherman, Courtesy the artist and Hauser & Wirth

Ein Beispiel für die Anziehungs- und Prägekraft des Mo­tivs ist das wunder­bare, nach 1454 entstandene Madonnenbild des nie­­derländischen Renaissancemalers Die­ric Bouts. In der liebevollen Zuwen­dung der Gottesmutter zu dem nackten Jesusknäblein in ihren Armen konnte die biblische Sze­ne von jeder Mutter als wortloser und dafür bildmächtiger Appell verstanden werden. Stillschweigend ist der christliche Bildtypus noch in einem 2017 von der Pop­-Ikone Bey­oncé auf Insta­gram geposteten Porträtfoto des Künstlers Mason Poole präsent: Mit ihren neugeborenen Zwil­lingen auf dem Arm stilisiert sie sich zu einer Art Madonna im Ro­senhag.

Die Mutter als Heilige – näher an der Wirklichkeit erscheinen da Mutter­-Kind­­-Szenen der Mo­derne. Otto Dix‘ Gemäl­de „Die Schw­angere“ von 1931 verzichtet im strikten Re­a­lis­mus auf jede Überhöhung von Mut­terschaft. Wäh­rend impressionistische Gemälde von Suzan­ne Valadon und Mary Cassatt den Mutter-Kind-Bezug emotional vertiefen. In Käthe Kollwitz‘ ausdrucksstarker, le­bens­großer Bronzesku­lptur schirmt eine Mutter zwei Kleinkinder gegen eine feindselige Welt ab. Und in dem schönen Gemälde „Mutter und Kind, Halbfigur“ von Paula Modersohn-Becker verschm­elzen die beiden Leiber beinahe zu einem einzigen.

Pablo Picasso: „Mutterschaft“, 1971.
Pablo Picasso: „Mutterschaft“, 1971. | Bild: Adrien Didierjean / RMN-GP

Nicht immer erscheint das Mutter­-Kind­-Verhältnis in der Kunst derart har­monisch. Im Fortgang des Jahrhunderts legen sich auch dunkle Schatten darauf. In Meret Oppenheims „Votivbild (Würgeengel)“ etwa wird die Mutter gegenüber ihrem Kind handgreiflich. Und in dem Video „Me and My Mother“ lässt der Isländer Ragnar Kjartansson periodische Spuckattacken seiner Mutter über sich ergehen. In Tala Madanis animiertem Ein-Kanal-Vi­deo „The Womb“ von 2019 wiederum schießt das Kind zurück. Gegen die Zu­mutungen draußen hantiert ein Fötus mit einem Revolver.

Ein Perspektivwechsel vollzieht sich in Mary Kellys Werkzyklen „Ante-Partum“ und „Post-Partum“: Die Künstlerin schildert als (werdende) Mutter ihre Schwanger- und Mutterschaft. Auch Manjari Sharma und Irina Rozovsky dokumentieren in „To See Your Face“ von 2016/17 die Zeit bis zur Geburt in einem Smartphone-Di­alog. Es gibt aber auch die enttäuschte – oder überzeugte – künstle­rische Absage an Mutterschaft. So bei Tracey Emin oder, augenzwinkernd, bei Valie Export, die als Kind-Ersatz einen Staubsauger liebkost. Elina Brotherus führt nach fru­strierend erfolglosen Versuchen, schwanger zu werden, gegen glücklichere Mütter ihren Dackel ins Feld („My Dog Is Cuter Than Your Ugly Baby“, 2013).

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In diesen und weiteren Werken wird deutlich, dass Mutterschaft alles andere als eine feste anthropo­logische Konstante ist. Vielmehr ist sie kulturell geprägt und unterliegt dem geschichtlichen Wandel. Wer aber „Mutter!“ sagt, sollte auch „Vater!“ sagen. Die Kunst­halle Mann­heim schuldet uns noch eine – hoffentlich ähnlich Horizont erweitern­de, anrührende – Schau.