Herr Frei, Friedrich Merz sorgt für Furore mit seinen Äußerungen zur Zusammenarbeit mit der AfD. Der Parteichef hat die eigene Parteilinie verlassen – um dann wieder zurückzurudern. Was gilt denn nun?

Friedrich Merz hat glasklar festgestellt, dass es mit der AfD keine Zusammenarbeit geben wird. Das gilt für alle politischen Ebenen, dezidiert auch die kommunale.

Tatsächlich dürfte das in vielen Gemeinderäten, in denen die AfD sitzt, oft gar nicht so einfach sein.

In einer Demokratie können sie nicht verhindern, dass jemand für Ihre Anträge stimmt. Die Grenze ist die Zusammenarbeit: Wir machen nichts zusammen mit Rechtsextremisten. Das ist für uns vollkommen klar. Und das hat auch nie jemand anders dargestellt.

Wie haben Sie dann die Äußerung von Friedrich Merz verstanden?

Er hat im ZDF-Interview gesagt, dass demokratische Wahlen in den Kommunen zu akzeptieren sind. Aber er hat an keiner Stelle davon gesprochen, dass wir mit Extremisten zusammenarbeiten würden. Da sind wir uns völlig einig.

Friedrich Merz, CDU Bundesvorsitzender und Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU Fraktion
Friedrich Merz, CDU Bundesvorsitzender und Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU Fraktion | Bild: Michael Kappeler, dpa

Die AfD ist im Umfrage-Höhenflug. Ist das der Grund, weshalb Sie mit ihren Asylvorschlägen vorpreschen?

Nein, überhaupt nicht. Ich orientiere mich nicht an der AfD, sondern an den Problemen, die die Menschen vor Ort sehen. Das Konjunkturprogramm für Extremisten entsteht immer dann, wenn die Politik Leerstellen lässt, wenn sie die Probleme der Menschen nicht adressiert und keine Lösungsvorschläge macht.

Mein jüngster Vorstoß ist das Ergebnis von jahrelanger Beschäftigung mit der Migrationspolitik. Ich habe da an vielem mitgearbeitet: 2019 habe ich für die Union das Migrationspaket mit insgesamt acht Gesetzen mit verhandelt, in dem auch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz enthalten war. Ich habe mich also immer an konstruktiven Lösungen mit beteiligt.

Aber eins muss man einfach konstatieren: Wir haben heute in Europa eine Situation, die alle unbefriedigt zurücklassen muss. Wir erleben auf der einen Seite eine ungesteuerte, unbegrenzte Migration, sowie die Überforderung der Gesellschaften in Europa. Wir stellen mit einem hohen moralischen Impetus ein formelles Recht ins Schaufenster, dessen vollständige Umsetzung wir weder zu leisten in der Lage, noch bereit dazu sind.

Das führt zum anderen dazu, dass wir Menschen förmlich nach Europa locken, die sich dann auf eine gefährliche Reise machen – in den letzten zehn Jahren sind etwa 30.000 Menschen im Mittelmeer ertrunken, wie viele in der Wüste sterben, wissen wir nicht einmal.

Wie lange hat das Thema in Ihnen gegärt, bevor Sie den Meinungsbeitrag in der FAZ geschrieben haben?

Sehr, sehr lange. Im Grunde genommen habe ich mich die vergangenen Jahre intensiv mit dem Thema beschäftigt. Immer daran orientiert, wie man den Status quo verbessern kann. Das tue ich auch weiterhin. Was ich feststelle, ist, dass sich die Debatte ein Stück weit im Kreis dreht. Und dass sie Europa lähmt. Ich habe ja nicht die Bundespolitik adressiert, sondern Europa, weil dort das stattfindet, was heute fürs Asylrecht maßgeblich ist.

Man wirft mir vor, ich wollte das Grundgesetz angreifen. Das wundert mich sehr. Das Grundgesetz ist für diese Frage seit 1993 weitestgehend irrelevant geworden. Weniger als ein Prozent aller Bleibeberechtigten in Deutschland stützen sich auf Artikel 16a des Grundgesetzes.

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Jetzt gibt es ja tatsächlich EU-Pläne zum Thema. Versprechen Sie sich davon nichts?

Diese gehen in die richtige Richtung, aber sie werden nicht zu einer markanten Änderung führen. Das sieht man schon daran, dass die EU 30.000 Plätze für Grenzverfahren einrichten möchte. In diesem Jahr werden aber vermutlich allein in Deutschland 300.000 Asylanträge gestellt. Und was den verpflichtenden Verteilmechanismus angeht, von dem Innenministerin Nancy Faeser spricht – den gibt es nicht. Das Abkommen mit Tunesien, wenn es dazu kommt, wäre ein richtiger Schritt.

Letztlich löst das aber alles das grundlegende Problem nicht, nämlich: Wie gelingt es uns, unserer humanitären Verantwortung gerecht zu werden, und die wirklich Schutzbedürftigen in Europa aufzunehmen? Und zwar so, dass es für die aufnehmenden Gesellschaften in Europa leistbar ist – und am Ende Integration auch gelingen kann.

Es gibt Kritik an der Umsetzbarkeit Ihrer Vorschläge. Wie soll eine Kontingentlösung aussehen? Sollen die Asylverfahren in Botschaften abgewickelt werden? Und wie gewährleistet man, dass man dann den wirklich politisch Verfolgten helfen kann, die sich dort vermutlich nicht hintrauen?

Naja, heute ist es ja so, dass die Menschen auf gefährlichsten Wegen nach Europa kommen. Weil sie die berechtige Erwartung haben, dass sie, wenn sie es an ein europäisches Ufer geschafft haben, bleiben dürfen, und zwar unabhängig davon, ob sie schutzberechtigt sind oder nicht. Dieses Signal wird in die Welt gesendet. Das bedeutet, dass vor allem junge Männer – kräftig, gesund, und in der Lage, 10.000 Euro für Schlepper zu bezahlen – kommen.

Mein Vorschlag ist, dass man in den Herkunftsländern und den jeweiligen Nachbarländern direkt ansetzt. Ich habe beispielsweise in Nordkamerun in Flüchtlingscamps Menschen getroffen, die aus Nigeria vor Boko Haram geflohen sind. Ganz arme Menschen, die keine Perspektive haben, jemals in Europa Asyl zu beantragen.

Der Status quo ist also so schlecht, dass er über eine Kontingentlösung nur besser werden kann. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass man da mit dem Flüchtlingswerk UNHCR oder der UN-Migrationsorganisation IOM zusammenarbeitet. Andere Länder praktizieren das heute übrigens schon: Kanada, zum Beispiel, ist ein großzügiger humanitärer Schutzgeber, aber eben über Kontingente.

Dieses von der griechischen Küstenwache zur Verfügung gestellte Bild zeigt zahlreiche Menschen auf dem Deck eines Fischerboots, das ...
Dieses von der griechischen Küstenwache zur Verfügung gestellte Bild zeigt zahlreiche Menschen auf dem Deck eines Fischerboots, das Mitte Juni vor Griechenland kenterte und sank. | Bild: Uncredited, dpa

Mit Ihrem zweiten Vorschlag zielen Sie auf die Ankünfte im Mittelmeer. Sie schlagen praktisch legalisierte Pushbacks, also Zurückdrängen an der Grenze, vor. Ist das dann endgültig die Festung Europa?

Nein. Zur Umsetzung meines Kontingente-Vorschlags gehört auch ein effektiver Außengrenzschutz. Der sieht dann so aus, dass Menschen, die in internationalen Gewässern aufgegriffen werden, nicht nach Europa an Land gebracht werden, sondern dorthin, wo sie gestartet sind. Ich verbinde damit die Erwartung, dass die Menschen auf diese teure und lebensgefährliche Fahrt nach Europa verzichten. Weil das Signal ausgesendet wird: Ihr habt die Möglichkeit, über die Arbeitsmigration nach Deutschland zu kommen und über humanitäre Kontingente, aber nicht mehr auf diesem Weg über das Mittelmeer.

Was für Rückmeldungen erhalten Sie aus dem Wahlkreis?

Ich werde mitunter darauf angesprochen, in der Regel positiv. Die Zuschriften, die ich aus ganz Deutschland bekomme, das sind mehrere Hundert, sind ganz überwiegend positiv. Die wenigen kritischen finden meinen Vorschlag entweder inhuman, oder sie erklären mich für verrückt, weil ich dafür bin, jährlich 300.000 bis 400.000 Menschen in Europa aufzunehmen.

Ich habe überhaupt kein Problem damit, dass mein Vorschlag kritisch diskutiert wird. Was ich mir wünsche, ist eine Debatte in der Sache. Ich bin mir sicher, dass ich das richtige Thema angesprochen habe. Ein Thema, das viele Menschen stark beschäftigt. Ich halte gar nichts davon, Themen totzuschweigen, nur weil sie einem unangenehm sind, im Gegenteil.

Ihr CDU-Kollege Christian Bäumler befürchtet eine schrittweise Öffnung nach rechts. Was unterscheidet Ihre Position noch von der AfD?

Ich will die Änderung des Asylrechts, die AfD will die Abschaffung des Asylrechts. Das ist ein fundamentaler Unterschied. Haben Sie schon mal einen Rechtspopulisten gehört, der vorschlägt, 300.000 oder 400.000 Menschen in Europa aufzunehmen? Warum, glauben Sie, kritisiert mich die AfD? Es geht mir auch nicht darum, das Asylsystem von heute auf morgen umzukrempeln, sondern es geht um einen perspektivischen Vorschlag.

Haben Sie nicht Sorge, dass Sie mit solch einem Vorstoß letzten Endes der AfD den Weg bereiten, weil das die Debatte verschiebt?

Nein, das glaube ich nicht. Die AfD widerspricht mir mindestens genauso heftig wie die politische Linke. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass es eine Debatte verschiebt. Diese Debatte wird in der Mitte der Gesellschaft geführt. Ich habe den Eindruck, etwas ausgesprochen zu haben, was ein großer Teil der Bevölkerung auch denkt.

Ist das die endgültige Abkehr von der Merkel-CDU?

Darum geht es nicht. Jede Zeit braucht ihre Antworten. Ich will daran erinnern, dass Angela Merkel beim CDU-Bundesparteitag 2015 in Karlsruhe eine sehr bemerkenswerte Rede gehalten hat, wofür sie viel Applaus bekommen hat. Da hat sie davon gesprochen, dass wir ordnen, steuern und begrenzen müssen.

Sie hat später darauf hingewiesen, dass sich das Jahr 2015 nicht wiederholen dürfe. In der Folge haben wir viele Gesetze zur Migration umgesetzt und weiterentwickelt. Ich habe aber den Eindruck, dass wir uns bei der Migrationspolitik im Kreis drehen, dass wir die großen Herausforderungen mit den bisherigen Maßnahmen nicht nachhaltig werden lösen können.