Eines muss man dem Neun-Euro-Ticket lassen: Es hat die Aufmerksamkeit auf den öffentlichen Nahverkehr gelenkt wie selten zuvor. Mit allen Vor- und Nachteilen. Wie ein Brennglas hat die erhöhte Auslastung den Blick die Probleme deutlich gemacht: überlastete Schaffner, marodes Material, fehlende Waggons.
Andererseits hat das Nahverkehrsexperiment auch gezeigt, dass Bus- und Bahn-Fahren den Deutschen schmackhaft gemacht werden kann, wenn die Bedingungen stimmen.
Auch die Erfahrungen der SÜDKURIER-Leser mit dem Ticket sind alles andere als einheitlich. Die Erlebnisse fielen mal positiv, mal negativ aus. Im folgenden eine Auswahl der Schilderungen:
Margot Schauer, Schönwald: „Mein Auto steht seit dem 30. Juni in der Garage, geputzt“
„Ich bin Rentnerin mit kleinen Einkommen und habe es sehr genossen, mit dem Neun-Euro-Ticket zu reisen. Meine Lebensqualität hat sich erheblich verbessert, super, danke. Ohne Stress verreisen, man hat ja Zeit, ist gelassener und wenn man mal verkehrt in die falsche Richtung einsteigt, auch kein Problem, dann fährt man eben wieder zurück.
Die vielen Menschen und das Gedränge schrecken schon etwas ab, aber wenn man halbwegs mobil ist, kommt man auch damit zurecht, man muss als Rentner ja nicht zu Stoßzeiten fahren. Die Infos durch Personal und Internet bei Ausfällen, Umleitungen, Baustellen und Co. sind sehr schlecht.
Da kann es schon mal passieren, dass man irgendwo auf der Bahnstrecke landet und keine Ahnung hat, wie es und ob es weitergeht. Ist mir passiert auf der Bahnstrecke von Hinterzarten nach Villingen-Schwenningen. Aber zum Glück gibt es manchmal auch hilfsbereite Menschen, man ist ja nicht alleine und dann ist alles halb so schlimm.
Mein Auto steht seit dem 30. Juni in der Garage, geputzt. Ich wäre für ein 365-Euro-Ticket (in Scheckkartenqualität) im Jahr für alle öffentlichen Verkehrsmittel (69 Euro im Monat wäre mir zu teuer). Das jetzige Chaos würde sich besser verteilen in allen öffentlichen Verkehrsmitteln und auch übers ganze Jahr. Dann könnte ich mir vorstellen, mein Auto abzuschaffen. Habe nur ein Problem mit größeren Lebensmitteleinkäufen, wie kommen die nach Hause? Da ich auf dem Land wohne, werden von Supermärkten keine Lieferdienste angeboten.
Also, abwarten wie sich die Politik entscheidet und dann bin ich vielleicht auch in Zukunft wieder unter den Bus- und Bahnreisenden.“

Andreas Dorer, Gütenbach: „Hatte drei Monate lang das Neun-Euro-Ticket, war für die Arbeit perfekt“
„Mich ärgert am meisten, dass nicht über eine Verbilligung für Pendler diskutiert wird, sondern vor allem über die Ausflügler gesprochen wird! Ich wohne auf dem Land auf 850 Meter Meereshöhe. Mein Arbeitsplatz liegt fünf Kilometer weg auf 1000 Meter Höhe. Zu Fuß zu gefährlich, da nur über vielbefahrene Hauptstraße ohne Gehweg möglich.
Busverbindungen wären perfekt, ebenso die Haltestellen. Knackpunkt, der Preis: 2,50 Euro für eine einfache Fahrt. Somit fünf Euro pro Tag! Mir würde die Vergünstigung für Pendler bereits reichen, muss nicht am Wochenende in ganz Deutschland unterwegs sein!
Hatte drei Monate lang das Neun-Euro-Ticket, war für die Arbeit perfekt. In Anbetracht der Preise werde ich allerdings ab September wieder auf das Auto umsteigen, schade eigentlich!“
Carsten Aschpurwies, Konstanz: „Endlich ein Schritt, um die föderale Eigenbrötlerei in Deutschland zu überwinden“
„Ich habe im Juni und Juli das Ticket genutzt und bin begeistert. Der günstigste Preis ist nur ein Aspekt, der sich logischerweise nicht halten lässt. Wesentlich für mich ist die Tatsache nur ein Ticket für alle Verkehrsverbünde zu haben. Endlich ein Schritt, um die föderale Eigenbrötlerei in Deutschland zu überwinden, die die Zukunftsfähigkeit des Landes lähmt.
Um den Erfolg des ÖPNV zu sichern, ist allerdings eine deutliche Verbesserung der Zuverlässigkeit und des Netzes nötig. Ich würde eine Subventionierung des Tickets durch Erhöhung der Kosten beim traditionellen Autofahren für sinnvoll halten. Zum Beispiel durch eine deutliche Erhöhung der CO2-Abgabe auf Treibstoff.“
Christiane Treder, Singen: „Genau der Horror, den ich erwartet hatte“
„Ich pendle beruflich seit fünf Jahren mit dem Seehas von Singen nach Konstanz. Das Neun-Euro-Ticket war genau der Horror, den ich erwartet hatte (vor allem über Pfingsten) und ich finde die ganze Aktion eine Strafe für diejenigen, die den öffentlichen Nahverkehr jetzt schon aus Überzeugung nutzen und nicht bekehrt werden müssen.
Es war chaotisch, es war übervoll, die Leute waren genervt, aggressiv und die Corona-Sommerwelle hatte leichtes Spiel. Mein Arbeitstag wurde dadurch noch anstrengender, da ich wegen eines kaputten Knies die Fahrt nicht stehend verbringen kann. Auch ein erster Klasse Ticket verhalf nicht sicher zu einem Sitzplatz, da dieser Bereich schnell von Neun-Euro-Ticket-Leuten besetzt wurde.
Es war ein ,wer zuerst kommt, mahlt zuerst‘ und es gab weder im Seehas noch in der Schwarzwaldbahn genug Personal, um das Chaos einigermaßen zu sortieren.
Wenn es Zugbegleiter gab, haben sie sich alle erdenkliche Mühe gegeben, aber das war zu selten der Fall. Nein, das Ganze war einfach nur eine populistische nicht durchdachte Idee, die auf dem Rücken der Pendler und der Bahnmitarbeiter ausgetragen wurde.“

Eugen Wissler, Wehr: „Es war alles vollgestopft wie in einer Sardinenbüchse“
„Ich bin auf den Zug angewiesen, um zur Arbeit zu kommen. Die Monate Juni und Juli 2022 waren in dieser Hinsicht eine Quälerei. Besonders fragwürdig: Grundlegende Sicherheitsaspekte waren offenbar plötzlich völlig unwichtig!
Zum Teil völlig überfüllte Züge mit dicht gedrängten Menschen, Gepäck und Fahrrädern in den Gängen und im Bereich der Ein- und Ausgänge. Es gab zeitweise kein Durchkommen. Hier konnten keinerlei Sicherheitsauflagen eingehalten werden. Bei einer Panne auf freier Strecke oder gar bei einem Unfall hätte es bei dieser Enge zu schlimmen Folgen und Panikreaktionen kommen können.
Abstände im Sinne des Corona-Schutzes konnte es unter diesen unsäglichen Umständen natürlich auch nicht geben. Es war alles vollgestopft wie in einer Sardinenbüchse. Ein- und Aussteigen war ein Kampf mit Drängeln und Schubsen. Ein Gang zur Toilette? Unmöglich! Vor jeder Fahrt war es fraglich, ob man überhaupt noch würde mitfahren können oder ob der Zug schon überfüllt ist.
Bei den zusätzlichen Fahrgästen handelte es sich auf der Hochrheinstrecke offensichtlich überwiegend um Ausflügler. Ich wunderte mich, dass sich viele Leute freiwillig solchen unangenehmen Umständen aussetzen. Aber der billige Preis machte diese unsäglichen Umstände für viele Leute wohl erträglich...
Aufgrund dieser äußerst unangenehmen Umstände sage ich „Nein Danke“ zu diesem „Geschenk“ unserer Regierung und bin ich froh, wenn die Zeit mit dem Neun-Euro-Ticket vorbei ist.“
Stefan Esser, Radolfzell: „Das gesparte Geld konnte ich wunderbar in Benzin umsetzen“
„Ich fahre sehr viel mit der Bahn. Seit zehn Jahren pendle ich von Radolfzell nach Friedrichshafen. Und am Wochenende fahre ich zu meiner Partnerin, die in Karlsruhe lebt. Letzteres ist seit Wochen nicht mehr zumutbar mit dem Zug, da sowohl auf direktem Weg (Schwarzwaldbahn) als auch über Stuttgart lange Fahrten mit dem Schienenersatzverkehr notwendig sind. Das Ganze hat sich mit dem Neun-Euro-Ticket noch wesentlich verschlimmert.
Anstatt die Milliarden dafür auszugeben, Menschen in der Freizeit billige Ausflüge zu bezahlen, die sonst nicht gemacht würden, wäre es dringend notwendig, dieses Geld in die Infrastruktur zu investieren. Lokomotiven, Wagen, Weichen, Gleise, Signale, Stellwerke, Bahnhöfe, Bahnübergänge und nicht zuletzt Personal.
Alles ist marode und man kann sich jeden Tag aufs Neue überraschen lassen, aufgrund welchen Problems diesmal der Zug gar nicht, mit zu wenig Wagen oder großer Verspätung unterwegs ist.
Ich bin auf jeden Fall noch nie so viel mit dem Auto gefahren wie in den letzten knapp drei Monaten. Für mein Bahn-Abo musste ich in den letzten drei Monaten auch nur neun Euro bezahlen anstatt 130 Euro. Das gesparte Geld konnte ich wunderbar in Benzin umsetzen.
Man kann im Auto zwar nicht schlafen, arbeiten oder lesen. Aber das kann man im überfüllten Zug auch nicht. Und im Auto hat man seine Ruhe, genug Platz und eine funktionierende Klimaanlage.“