Ist das jetzt die große Wende? Grenzkontrollen bleiben, die Turboeinbürgerung fällt weg, das Bürgergeld wird zur Grundsicherung, es gibt keine Steuererhöhungen, dafür Erleichterungen für den Mittelstand und Rentner, die weiter arbeiten.
Spätestens beim Aufschlagen des Koalitionsvertrags wird klar, dass Friedrich Merz‘ großes Versprechen eines kompletten politischen Neuanfangs nicht zu halten ist. Koalitionen sind in Regierungen gegossene Kompromisse, das musste jedem vorher schon klar sein.
Ausgerechnet der CDU-Chef hatte mit markigen Ansagen im Wahlkampf selbst dafür gesorgt, dass die Erwartungen seiner Partei in den Himmel wuchsen. Alles sollte anders werden – von Migration bis Steuern, von Atomkraft bis Bürgergeld. Jetzt bleiben eben nur noch die Schnittmengen aus SPD- und Unionsinhalten übrig, beziehungsweise die Zwischenlösungen, auf die man sich einigen konnte.
Die Einschläge kommen näher
Schämen braucht sich deshalb keiner. Die Spitzen von SPD, CDU und CSU können durchaus stolz sein darauf, dass es ihnen in sechs Wochen gelungen ist, ein Regierungsprogramm zusammenzubauen. Zumal die Anforderungen an dieses von Woche zu Woche erneut größer werden: Erst die Erkenntnis, dass man auf die USA als Nato-Partner nicht mehr unbedingt zählen kann in Zukunft. Jetzt die Zölle, mit denen der US-Präsident das Wirtschaftsmodell vom Exportland Deutschland massiv angeht.
Quasi in den Wehen dieser Koalitionsgeburt mussten hier lebenserhaltende Maßnahmen von riesiger Tragweite eingebaut werden: Milliarden-Investitionen ins Militär, aber auch in Infrastruktur sind nötig. Und deshalb war auch der teilweise Abschied von der Schuldenbremse notwendig. Das hätte man früher erkennen können, aber immerhin hat die CDU hier noch die Kurve gekriegt.
Allein diese jüngsten beiden Einschläge machen deutlich, wie es um das Regierungsprogramm an sich bestellt ist. Wenn schon innerhalb von sechs Wochen Donald Trump zweimal den Hammer auspackt, kann kein Mensch wissen, was innerhalb einer ganzen Legislatur auf uns zukommt.
Der Koalitionsvertrag ist mit Hinblick darauf vor allem eine Willensbekundung. In Teilen wird man die Arbeitsaufträge umsetzen. Aber man wird auch immer zu Veränderungen bereit sein müssen.
Die positive Seite des Wortbruchs
Kann man in diese Koalition also vertrauen? Merz, Klingbeil und Co. haben zumindest schon mal eines bewiesen: Dass sie in der Lage sind, auf aktuelle Herausforderungen zu reagieren. Den Vorwurf des Wortbruchs in Sachen Schuldenbremse wird Merz wohl noch eine Weile mit sich herumtragen.
Aber vielleicht muss man daraus vielmehr den positiven Schluss ziehen, dass der Sauerländer nicht verbohrt an ideologischen Heiligtümern festhält, sondern den Mut hat, die Dinge trotz anderslautender Ankündigungen anders zu machen, wenn es notwendig wird.
Parteiintern schlägt dem CDU-Chef viel Unmut deswegen entgegen. Die Basis soll befragt werden, fordern nun immer mehr Stimmen. So wie es bei der SPD Tradition ist. Thorsten Frei, noch Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion und demnächst vermutlich Kanzleramtsminister, hat schon mal abgewunken. Schon aus formalen Gründen, vorgesehen ist ein Parteitag. Tatsächlich muss das auch reichen.
Basisbefragung als Mittel der Erpressung
Die Parteien haben Kandidaten bestimmt, den Parteivorsitzenden gewählt und sollten nun auch das entsprechende Vertrauen in ihr Personal haben. Schließlich dürfen auch wir Bürger nach Bekanntwerden des Koalitionsvertrags nicht noch einmal wählen.
Warum sollten es dann die Parteien dürfen? Tatsächlich wohl vor allem aus einem Grund: Der Verweis darauf, dass das ja auch die eigene Basis mittragen muss, war für die SPD immer ein gutes Argument dafür, gewisse Schmerzpunkte nicht zu überschreiten.
Die neue, kleine Große Koalition hat sich alle Mühe gegeben, in diesen herausfordernden Zeiten schnell regierungsfähig zu werden. Diesen Anspruch sollte man würdigen und nicht unnötig hinauszögern. Aufgaben warten auf die Regierungsmitglieder gerade genug.