Wer ist eigentlich Georg Maier? In Thüringen würde man für diese Frage wohl ausgelacht, denn dort ist der 55-Jährige ein bekanntes Gesicht. Kurzes, graues Haar, runde dunkle Brille, markanter Blick, meist im smarten dunkelblauen Anzug und weißem Hemd unterwegs.

Doch Thüringens Innenminister stammt aus dem Hegau, wurde in Singen geboren und ist in Steißlingen aufgewachsen. Bis heute ist er dort mehrmals im Jahr, um seine Geschwister zu besuchen, im Sommer geht er gerne mal in Bodman ins Freibad. Sein Leben aber spielt sich längst in Friedrichroda ab, einem kleinen Städtchen im Landkreis Gotha unweit von Erfurt. Sein Weg dorthin war eher ein Zufall.

Denn nach seinem BWL-Studium in Mannheim und St. Gallen arbeitete Maier zunächst für die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben, die Nachfolgerin der früheren Treuhandanstalt, die die DDR abwickelte – mit Sitz in Erfurt. Es war Maiers erste Begegnung mit der Landeshauptstadt Thüringens, bevor er zur Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in Frankfurt wechselte.

Georg Maier beim SÜDKURIER-Interview im Tengener Rathaus. Der Innenminister Thüringens war dort als Redner zum Schätzelemarkt 2022 ...
Georg Maier beim SÜDKURIER-Interview im Tengener Rathaus. Der Innenminister Thüringens war dort als Redner zum Schätzelemarkt 2022 eingeladen. | Bild: Moll, Mirjam

Später Sozialdemokrat

Erst 2009 trat er in die SPD ein, wurde aber alsbald ins Willy-Brandt-Haus berufen, wo er 2013 im Strategieteam des damaligen Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück als Berater für wirtschaftliche Fragen aktiv war.

Ein heute bekanntes Gesicht aus Südbaden traf er damals dort: Den Tengener Bürgermeister Marian Schreier, der damals ebenfalls im Strategieteam des Kanzlerkandidaten mitwirkte. In diesem Jahr hatte ihn Schreier zum Tengener Schätzelemarkt eingeladen. Dort stellt er den stellvertretenden Ministerpräsidenten Thüringens vor als einen, der die Demokratie verteidigt, sich nicht vor schwierigen Entscheidungen drückt.

Tengens Oberbürgermeister Marian Schreier und Georg Maier, Innenminister von Thüringen – und gebürtiger Steißlinger, vor der ...
Tengens Oberbürgermeister Marian Schreier und Georg Maier, Innenminister von Thüringen – und gebürtiger Steißlinger, vor der Tafel, in der die Namen der Redner des Schätzelemarkts eingraviert sind. | Bild: Moll, Mirjam

Die sind in der Landesregierung nicht immer einfach. Denn Maier ist Teil der einzigen Minderheitsregierung Deutschlands unter Führung des einzigen linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, den Maier selbst als „gefühlten Sozialdemokraten“, mindestens aber als „sehr gemäßigten Linken“ bezeichnet, der häufig mit Sahra Wagenknecht streite. „Programmatisch haben wir größere Schnittmengen mit der Linken als mit der CDU“, sagt Maier. Das zeigt sich auch in dem Scheitern des Versuchs, die CDU zum Duldungspartner der Minderheitsregierung zu machen.

Verpasste Chance

Jeder Kompromiss auf Landesebene kostet Zeit, und manchmal sperren sich die Christdemokraten, deren Hilfe die Minderheitsregierung aber für ihre Beschlüsse braucht. So auch nach dem Debakel um die Wahl von Ministerpräsident Thomas Kemmerich (FDP) mit Hilfe der Stimmen der AfD. 2021 sollte zeitgleich mit der Bundestagswahl eine neue Landesregierung gewählt werden.

Die CDU stimmte der Auflösung des Landtags nicht zu, so dass der Termin platzte. Andernfalls hätte Maier gute Chancen gehabt, Ministerpräsident Thüringens zu werden. „Hätte, hätte, Fahrradkette – das hat Peer Steinbrück einmal gesagt“, witzelt Maier selbst über die verpasste Chance. Sein Motto: „Der Kompromiss gehört zum Wesen der Demokratie dazu.“

Steinbrück als Karrieresprungbrett

Steinbrück hatte er die Kanzlerschaft zugetraut – „er ist eben, wie er ist“, sagt Maier über den „authentischen Politiker“, schmunzelt dabei. Dass der heutige Kanzler Scholz das gleiche Wahlergebnis für die SPD einfuhr wie damals Steinbrück ist für Maier ein Beleg dafür. Mit Scholz kann Maier aber leben. „Ich bin froh, dass er Kanzler ist.“ Wenn andere Scholz Zögerlichkeit vorwerfen, sieht Maier darin wohlüberlegte Beschlüsse. Scholz sei eben keine „Plaudertasche, kein Volkstribun“.

Schon jetzt ist Maier dienstältester Innenminister Thüringens, obwohl er sein Amt erst im August 2017 antrat. 2014 war er von Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee – einstiger Bundesverkehrsminister – zum Staatssekretär berufen worden.

In seinem Amt lernte Maier seine zweite Ehefrau kennen, die Projektmanagerin für Regionalentwicklung Antonia Sturm, die beiden haben eine Tochter. Für deren Geburt ließ Maier die Politik Politik sein, seine Wahl zum Landesvorsitzenden der SPD Thüringen musste warten.

Zweite Heimat in Friedrichroda

Heute ist Thüringen seine zweite Heimat, er lebt im Thüringer Wald, seine Frau ist in Thüringen geboren, ebenso seine zweite Tochter. Aus erster Ehe hat Maier drei erwachsene Kinder. Pendeln wäre für ihn aber ohnehin nicht in Frage gekommen. „Am Wochenende muss man da sein, das merken die Leute“, sagt er. Was im Hegau der Schätzelemarkt ist, ist in Friedrichroda das „Kürbisse Glühen“.

Mit der Kritik, dass Führungspositionen in ostdeutschen Bundesländern immer wieder mit Politikern aus dem Westen besetzt werden, kann er umgehen. Mit Armin Schuster sitzt ein weiterer, zumindest zugezogener Südbadener im Dresdner Innenministerium. In Maiers Fall gibt es keine Zweifel, dass Thüringen ihm ans Herz gewachsen ist. Mit ihm und den übrigen Amtskollegen der neuen Bundesländer will Maier in dieser Woche in Erfurt über die Probleme im Osten sprechen. Auch die zunehmende Radikalisierung dort wird Thema sein.

Rechtsextremismus als größte Herausforderung

Den Kampf gegen Rechts hat der 55-Jährige zur Chefsache gemacht. Dem umstrittenen Festival Rechtsrock, bei dem bis zu 6000 Neonazis zusammenkamen, bereitete er ein Ende. Doch er weiß auch: „Den Kampf gegen Rechts kann man nicht alleine gewinnen.“ Gerade hier in Thüringen nicht, wo die AfD unter Björn Höcke die besten Wahlergebnisse erzielt. Einem Mann, den Maier einen „Hassprediger“ nennt.

Die AfD in Thüringen gilt als verfassungsfeindlich, Höcke und seine Mitstreiter stehen unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Maier nimmt kein Blatt vor den Mund: „Rechtsextremismus ist die größte Gefahr für die Demokratie“, sagt er.

Noch keine Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte

Der Ukrainekrieg und die Flüchtlinge sind Wasser auf den Mühlen der Rechtspopulisten. Dabei leben nur in Mecklenburg-Vorpommern noch weniger Flüchtlinge als in Thüringen. Und dennoch ist der Fremdenhass hier groß. Und doch zeigt Maier Verständnis für die Denkart mancher Thüringer: „Sie sind es nicht gewohnt. Das ist schiere Unkenntnis.“ Wer in Erfurt mit der Straßenbahn fahre, erlebe eine „sehr homogene Gesellschaft“.

Das könnte Sie auch interessieren

Immerhin, Brandanschläge hat es in Thüringen „noch nicht“ gegeben, sagt Maier. Wohl aber kleinere Volksaufstände, als eine Turnhalle zu einer Flüchtlingsunterkunft umgewidmet werden sollte. Dabei war die Willkommenskultur für geflüchtete Ukrainer auch in Thüringen groß, weiß Maier. „Aber jetzt ist die Stimmung umgeschlagen.“

Verständnis für die Sorgen im Osten

Eine andere Erklärung hat Maier aber auch. Dass im Osten die Löhne und auch Privatvermögen noch immer deutlich geringer als im Westen sind, ist nur einer der Gründe. „Es herrscht noch immer ein großes soziales Ungleichgewicht“, resümiert Maier. Auch deshalb unterstützt er die Entlastungspolitik der Bundesregierung – auch wenn sie Geld kostet.

„Gerade weil ich ein Banker bin, weiß ich, dass Schulden machen sinnvoll sein kann, wenn sonst keine Investitionen mehr gemacht werden.“ Maier ist jedenfalls zuversichtlich, dass die Schulden tragbar bleiben. Schon allein, weil die Steuereinnahmen im kommenden Jahr deutlich höher ausfallen sollen als erwartet. „Dass wir Generationen von morgen unendlich verschulden, ist das Narrativ der AfD“, sagt er.

Ein Macher in Erfurt

Deren Botschaften will er etwas entgegensetzen. Maier gilt als Macher. Während der Corona-Pandemie hat er schärferes Eingreifen der Polizei gefordert, wenn Demos trotz Maskenpflicht ohne stattfanden und Rechtsextreme daran beteiligt waren. Das sei „besorgniserregend“, sagte er damals und warf der Polizei vor, es reiche nicht, eine solche Demo „einfach nur zu begleiten und nicht einzugreifen“.

Im Sommer forderte Maier unter Berufung auf das Waffenverbot für Extremisten den Waffenentzug von AfD-Mitgliedern in Thüringen, wo die Partei als rechtsextremistisch eingestuft wurde. Die AfD versuchte ihm mit dem Argument der Neutralitätspflicht etwas entgegenzusetzen. Einschüchtern ließ er sich davon nicht. „Ich bin Innenminister und für Recht und Gesetz verantwortlich.“ Wenn man ihm etwas vorwerfen wolle, dann eher, dass er die Aktion erst so spät ins Rollen gebracht habe.

Das könnte Sie auch interessieren

Die Herausforderungen, denen er begegnet, scheut Maier nicht. Und sei es, vor Freunden und Familien am Schätzelemarkt eine Rede zu halten, vor der er „ehrlich aufgeregt“ war. Dafür packt Maier, der inzwischen Hochdeutsch spricht, sogar ein wenig Alemannisch aus. Auch das Badnerlied kann er auch auswendig, ergänzte er, das dort traditionell gesungen wird. Den Besuchern des Schätzelemarkts wollte er aber vor allem eines mitgeben: Es gilt Brücken zu bauen, zwischen Ost und West. Noch immer. Vielleicht mehr als je zuvor.