Vorbestellung im Internet, Abholen an der Ladentür. Seit Montag dürfen Kunden ihre Ware in Baden-Württemberg wieder direkt im Geschäft abholen. Der stationäre Einzelhandel durfte davor wochenlang seine Waren nur zum Kunden liefern, die Geschäfte waren durch den Lockdown geschlossen. Die Umsatzausfälle in November, Dezember und Januar schmerzen besonders, weil die Zeit für viele Händler die umsatzstärkste ist. Kosten für Mieten, Waren und Mitarbeiter liefen weiter, aber es konnte nur wenig verkauft werden.

Hoher Zeitaufwand für Click and Collect

„Die Kunden kommen gerne und holen ihre bestellten Sachen ab“, erzählt Heike Heinzelmann, die mit ihrer Schwester Sonja Uhl in Radolfzell das Spielwarengeschäft Swars betreibt. Es sei ohnehin ruhig, wie jedes Jahr nach Weihnachten. Trotzdem: „Es ist nicht vergleichbar mit dem Normalbetrieb.“ Die Frequenz bei einer normalen Öffnung sei um ein Vielfaches höher. Heike Heinzelmann berichtet am Tag des Gesprächs von lediglich 15 Kunden, die etwas kaufen möchten. Und einem enormen Zeitaufwand für den zusätzlichen Service.

Übergabe an der Ladentür: Sonja Uhl übergibt einem Kunden ein bestelltes Spiel. Vor allem Stammkunden nutzen den Service, die Waren im ...
Übergabe an der Ladentür: Sonja Uhl übergibt einem Kunden ein bestelltes Spiel. Vor allem Stammkunden nutzen den Service, die Waren im Geschäft abzuholen und unterstützen so den lokalen Einzelhandel. | Bild: Jarausch, Gerald
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Das sogenannte Click and Collect lindert die Not stellenweise ein wenig. Die große Rettung wird sie aber in den seltensten Fällen sein. Vielleicht hilft sie einigen, sich länger über Wasser zu halten. „Es ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt Utz Geiselhart, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Handeslverbands Südbaden. „Das kann aber auf keinen Fall den Normalbetrieb ersetzen.“

Bestimmte Waren ließen sich zielgenau einkaufen und dann am Telefon bestellen, wie etwa eine bestimmte Pfanne. Bekleidung aber muss man anprobieren, um zu sehen ob sie passt. „Es hängt vom Sortiment der einzelnen Betriebe ab, ob ihnen Click and Collect etwas bringt“, sagt Geiselhardt. Positiv sei, dass die Händler so wenigstens Kontakt zu ihren Kunden halten könnten.

„Nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, so bewertet der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Handelsverband Südbaden, ...
„Nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, so bewertet der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Handelsverband Südbaden, Utz Geiselhart, Click and Collect. | Bild: Foto Wöhrstein

Deswegen ist es für die beiden Schwestern aus Radolfzell auch keine Option, ihren Spielzeugladen mit fast 120-jähriger Geschichte ganz zu schließen. „Aus den Augen, aus dem Sinn“, davor fürchtet sich Heike Heinzelmann. „Wir wollen für unsere Kunden präsent sein und versuchen sie trotz der Umstände, gut zu beraten.“ Bei ihnen ist es nicht „Click and Collect“, sondern „Teilen Sie uns mit, was Sie suchen und wir beraten Sie und suchen nach einer Lösung.“ Das macht das Verkaufen sehr zeitaufwändig.

Die Anfragen kommen per E-Mail oder über Telefon, einen Online-Shop gibt es nicht. „Das ist schon eine Herausforderung“, sagt Heike Heinzelmann, die jetzt ihre Produkte genau beschreiben muss. „Oft hat der Kunde etwas im Internet gesehen, das er bei uns bestellen möchte. Wenn wir das nicht auf Lager haben, müssen wir nach Alternativen suchen.“ Das geht gemeinsam mit dem Kunden am Telefon oder auch mal über einen Video-Anruf, bei dem sich der Kunde die Waren dann direkt ansehen kann.

„Jeder Cent ist wichtig“

„So verkaufen wir wenigstens ein bisschen. Jeder Cent, der reinkommt, ist für uns wichtig“, sagt die Geschäftsfrau. Sie hat vier Mitarbeiter, die bezahlt werden müssen. „Wir haben vielleicht einen längeren Atem, weil wir in eigenen Räumen verkaufen“, schildert sie die Situation weiter. „Aber wir sind auf unsere Kunden angewiesen – dass sie uns unterstützen, dass sie uns nicht vergessen und nicht doch online bestellen.“

Welle an Insolvenzen droht Einzelhandel

Wie der Handelsverband Baden-Württemberg die Situation der Händler in einer Pressekonferenz schildert, ist die Situation dramatisch. „Einige Händler sind verzweifelt und stehen mit dem Rücken zur Wand“, eröffnet Präsident Hermann Hutter. Er fordert die Politik auf, die Hilfen für den Handel anzupassen, damit das Geld ankäme. Ansonsten stünden dem Land rund 12.000 Insolvenzen und Schließungen in den kommenden zwei Jahren bevor.

Nachbesserung bei staatlichen Hilfen

Auch Utz Geiselhardt fordert eine Nachbesserung bei den Hilfen: „Die müssen jetzt kommen, sonst sieht es für einige zappenduster aus.“ Außerdem müssten die Entscheidungen, wie es weitergeht, frühzeitig kommen. „ Langfristige Perspektiven wünscht sich auch Hermann Kratt, der ein Kaufhaus in Radolfzell führt. „Ich kann mein Geschäft nicht innerhalb von vier Tagen wieder hochfahren.“ Er vorher Zeit haben, um die Waren zu bestellen und den Personaleinsatz zu planen.

Im Kaufhaus Kratt können Kunden ihre vorbestellten Waren auch abholen. „Bei 40.000 Artikeln ist es ein schwieriges Unterfangen den Kunden zu erklären, was man da hat.“ Er sehe das auch als Kundenbindung an, denn wirtschaftlich sei das ganze nicht. „Einen Onlinehandel können wir bei unserer Größe nicht anbieten“, sagt er. „Unsere Stärke ist der Service vor Ort.“ Da Mode nicht über Click and Collect funktioniere, hängt die Winterware jetzt im leeren Kaufhaus und verliert mit jedem Tag an Wert.

Hermann Kratt vom Kaufhaus Kratt aus Radolfzell wünscht sich von der Politik eine frühzeitige Ankündigung der Maßnahmen, um besser ...
Hermann Kratt vom Kaufhaus Kratt aus Radolfzell wünscht sich von der Politik eine frühzeitige Ankündigung der Maßnahmen, um besser planen zu können. | Bild: Marinovic, Laura

Christa Schlenker von Mascha Wolle in Villingen verkauft ihre Winterwaren hingegen ganz gut. „Wir haben jetzt Hauptsaison“, sagt sie. Sie packt reihenweise Wollpakete und berät über Telefon oder alle möglichen Kanäle der Sozialen Medien. Für das Abholen vereinbart sie mit ihren Kunden Termine, um Kontakte zu vermeiden. Sie schätzt, dass sie jetzt zwischen 30 und 40 Prozent ihres normalen Umsatzes mache.

Christa Schlenker berät ihre Kunden jetzt per Telefon über Qualität der Wolle und die Farbnuancen. In ihrem Geschäft Mascha Wolle in ...
Christa Schlenker berät ihre Kunden jetzt per Telefon über Qualität der Wolle und die Farbnuancen. In ihrem Geschäft Mascha Wolle in Villingen packt sie dann die Tüten, die die Kunden zu vereinbarten Terminen abholen. | Bild: Hahne, Jochen

Dafür ist sie trotzdem meist acht Stunden im Laden. „Es ist sehr aufwändig, da es in meiner Branche um Qualität und Farben geht“, sagt Christa Schlenker. Denn wie beschreibt man, wie sich eine Wolle anfühlt oder wie genau die Farbe aussieht. „Also habe ich an einem Tag vier Stunden lang Farbkarten verschickt.“

Bewusste Entscheidung gegen Onlineshop

Online kann man ihre Waren nicht bestellen. „Ich habe mich bewusst dagegen entschieden“, sagt sie. Zum einen habe sie kein Lager und zum anderen wollte sie einen „gescheiten Laden“ aufmachen. Um die Innenstadt mit Leben zu füllen, ein Treffpunkt zu sein. Das zahlt sich jetzt für sie aus, denn vor allem ihre Stammkundschaft, die zwischen Freiburg und dem Bodensee verstreut ist, hält ihr die Treue.

Abholung mit Termin: Vor der Ladentür von Christa Schlenker holt Werner Kaufmann die bestellte Wolle für seine Frau ab.
Abholung mit Termin: Vor der Ladentür von Christa Schlenker holt Werner Kaufmann die bestellte Wolle für seine Frau ab. | Bild: Hahne, Jochen

Bei der Pressekonferenz des Handelsverbandes berichteten Unternehmer, das sie alle Hygienekonzepte umgesetzt hätten und es keine Infektionen in ihren Betrieben mit teilweise 1000 Mitarbeitern gab. Sie wünschen sich, dass die Politik nicht pauschal alle Läden schließt, sondern dass Händler mit guten Konzepten ihre Geschäfte auch öffnen können.

Darauf hofft auch Heike Heinzelmann: „Die Kunden kaufen anders ein, wenn sie im Laden stehen.“ Und noch etwas liegt ihr auf dem Herzen: „Es ist trostlos ohne die Kunden.“ Eigentlich kämen nach Weihnachten Kinder, um ihre Gutscheine einzulösen. Neben dem Geld fehlt auch der soziale Kontakt, das Kinderlächeln und der Plausch an der Ladentür.