Mit einer Qualifizierungsoffensive stemmt sich Deutschlands drittgrößter Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen gegen drohende Umsatzeinbußen im Bereich klassischer Antriebe. Man werde „das größte Schulungsprogramm für Mitarbeiter der Unternehmensgeschichte“ auf den Weg bringen, sagte ZF-Chef Wolf-Henning Scheider bei der Vorstellung der Konzernbilanz in Friedrichshafen. Es gehe darum, „viele Tausend Mitarbeiter“ für neue Technologien wie E-Mobilität oder Softwareanwendungen zu qualifizieren. In einer ersten Welle sollen rund 3000 ZFler an dem E-Cademy genannten Programm, das je Mitarbeiter bis zu einem halben Jahr dauern kann, teilnehmen. „Wir fahren das gerade hoch“, sagte der ZF-Chef.

Keine Investitionen in reine Verbrennertechnik mehr bei ZF

Der Getriebespezialist ZF steht vor der Herausforderung, sein Geschäft in kurzer Zeit Richtung E-Mobilität und Software auszurichten. Im Moment hängen noch 25 bis 30 Prozent der Umsätze am Verbrennungsmotor. Bis spätestens 2035 sollen diese durch Zukunftstechnologien, etwa E-Antriebe, Soft- und Hardware für autonomes Fahren oder Sicherheitstechnik, kompensiert werden. Künftig will ZF daher keine ausschließlichen Verbrenner-Produkte mehr entwickeln.

Konzern-Chef Wolf-Henning Scheider vor einem autonom fahrenden ZF-Bus.
Konzern-Chef Wolf-Henning Scheider vor einem autonom fahrenden ZF-Bus. | Bild: Felix Kästle

Auf einen schnellen Markterfolg der E-Mobilität sei man vorbereitet, sagte Scheider. Branchenschätzungen gehen davon aus, dass 2030 weltweit erstmals mehr elektrifizierte Fahrzeuge neu zugelassen werden, als Verbrenner. Um weiter Tempo aufzunehmen, hat das Stiftungsunternehmen zu Jahresbeginn einen neuen Geschäftsbereich gegründet, in dem konventionelle, Hybrid- und rein elektrische Antriebstechnologien für Pkw gebündelt sind und in dem rund 30 000 Mitarbeiter weltweit arbeiten. Ziel sei es, schneller zu wachsen als der Markt, so Scheider.

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Vorgelegt hat man bei ZF schon. Zwischen 2018 und Ende 2020 habe das Unternehmen Aufträge für E-Komponenten mit einem Umsatzvolumen von 14 Milliarden Euro gewonnen, hieß es von ZF. Dabei handelt es sich beispielsweise um E-Achsantriebe, aber auch Hybridgetriebe für Plug-In-Fahrzeuge, also Zwitter mit sowohl einem E-, als auch einem Verbrennungsmotor.

ZF steht damit besser da als Bosch. Die Stuttgarter hatten im Februar E-Aufträge im Wert von 7,5 Milliarden Euro in den Büchern. Durch die neuen Aufträge könne man umsatzmäßig auf Jahre kompensieren, was bei Getrieben wegfalle, sagte ein ZF-Sprecher.

Die Bilanz ist tief rot

Dennoch steht ZF vor unruhigen Zeiten. Die Bilanz 2020 ist tief rot. Zum ersten mal seit 2009 hat der Konzern einen Jahresverlust eingefahren, der mit 741 Millionen Euro satt ausfiel. Von den drei großen deutschen Zulieferern ist aktuell nur Conti tiefer in den Miesen. Im operativen Geschäft verdiente ZF zwar noch Geld, aber mit gut einer Milliarde Euro deutlich weniger als im Vorjahr. Die Eigenkapitalquote sank im Rekordtempo – von 22 Prozent 2019 auf nur noch 12,1 Prozent 2020. Zum Vergleich: Bosch wies fürs selbe Jahr eine Eigenkapitalquote von 46 Prozent aus, allerdings ist hier das Nicht-Automobilgeschäft der Stuttgarter einbezogen. ZF-Finanzvorstand Konstantin Sauer sagte, man sei mit der Eigenkapitalquote „nicht zufrieden“, gleichzeitig habe sie keinen Einfluss auf die Entschuldungsfähigkeit. Durch künftige Gewinne, solle die Eigenkapitaldecke wieder gestärkt werden. Zum Jahresende hatte ZF mehr als 13 Milliarden Euro Schulden, bei einem Umsatz von 32,6 Milliarden Euro.

Automobil-Professor Ferdinand Dudenhöffer hält die Kapitalausstattung der ZF für besorgniseregend
Automobil-Professor Ferdinand Dudenhöffer hält die Kapitalausstattung der ZF für besorgniseregend | Bild: Bernhardt, Alexander

Auf die Refinanzierungsmöglichkeiten des Stiftungskonzerns schlägt die angespannte Finanzlage noch nicht voll durch. Kritische Schwellenwerte in Kreditverträgen, sogenannte Covenants, konnte das Unternehmen in den vergangenen Monaten nachverhandeln. Allerdings hat sich das Rating von ZF unter dem Einfluss der Corona-Krise und des schuldenfinanzierten Kaufs des Nutzfahrzeugspezialisten Wabco zum Jahresende deutlich verschlechtert. Das senkt die Möglichkeiten von ZF, günstig Geld aufzunehmen. Zudem sinken wichtige Kennziffern wie die Bruttomarge seit dem Rekordjahr 2017 beständig. Dies ist ein Anzeichen für hohe Kosten in der Produktion.

Eine Monteurin arbeitet in einem Werk des Automobilzulieferers ZF Friedrichshafen an ein Getriebe für Lastwagen. Bis Ende 2022 sind ...
Eine Monteurin arbeitet in einem Werk des Automobilzulieferers ZF Friedrichshafen an ein Getriebe für Lastwagen. Bis Ende 2022 sind betriebsbedingte Kündigungen bei ZF ausgeschlossen. | Bild: Felix Kästle

Geld für milliardenschwere Zukunftsinvestitionen frei zu schlagen, wird also immer schwerer. 2020 wurden sowohl die Forschungsausgaben, als auch die Investitionen in Sachanlagen zurückgefahren.

Experte Dudenhöffer für Börsengang

Fachleute wie der Duisburger Automobilprofessor Ferdinand Dudenhöffer, sehen die Finanzlage des Konzerns als kritisch an. Mit so wenig Eigenkapital in die Zukunft zu gehen, sei gefährlich, sagte er. Um im Markt mithalten zu können, brauche ZF einen besseren Zugang zu Kapital. Dieser sei etwa durch einen teilweisen Börsengang möglich. Der Zeitpunkt sei günstig.

Positiv ins neue Jahr

ZF will indes aus der Krise herauswachsen. Im laufenden Jahr peilt man schwarze Zahlen an. Beim Umsatz will ZF zwischen 37 und 39 Milliarden Euro landen und damit im Bereich des 2018er-Umsatzrekords.