Frau Falcone, Sie haben gemeinsam mit Hartmut Hengel zu den Folgen einer Covid-Infektion geforscht und weshalb sie bei manchen Menschen einen schwere Verlauf nimmt und sogar zum Tod führen kann. Bisher haben wir angenommen, dass das vor allem an Vorerkrankungen und einem geschwächten Immunsystem liegt. Ist das falsch?

Nein, das würde ich nicht sagen, diese Faktoren spielen nach wie vor eine wichtige Rolle – Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, mit Bluterkrankungen oder Immundefekten sind besonders gefährdet. Das Alter ist ebenfalls ein Risikofaktor für Covid-19. Was wir beobachtet haben, ist ein zusätzlicher Aspekt, der bisher nicht so bekannt war.

Valeria Falcone ist Leiterin des Labors für Virus-Isolierung des Instituts für Virologie in Freiburg.
Valeria Falcone ist Leiterin des Labors für Virus-Isolierung des Instituts für Virologie in Freiburg. | Bild: Valeria Falcone

Ihre Forschung hat eine Überreaktion des Immunsystems aufgezeigt. Ihr Kollege sprach von einem „immunologischen Teufelskreis“, der durch eine Covid-Infektion ausgelöst werden kann. Wie kommt es dazu?

Es gibt zwei Dinge, die dabei zusammenspielen. Zum einen können nach der Infektion im Blut lösliche Immunkomplexe entstehen, die verschiedene Immunzellen aktivieren. Die Immunkomplexe entstehen sehr wahrscheinlich aus der Verbindung körpereigener Moleküle, die eine Immunantwort ausgelöst haben, sogenannte Autoantigene, und Antikörpern.

In der Regel werden diese Komplexe wieder abgebaut, in diesem Fall aber zirkulieren sie in Massen weiter. Zugleich entstehen Immunglobuline, die spezifisch gegen das Coronavirus auftreten. Diese können bestimmte Immunzellen besonders effizient aktivieren.

Sie führen zusammen mit den löslichen Immunkomplexen zu einer Hyperaktivierung des Immunsystems im ganzen Körper. So kommt es zu einer systemischen Entzündung, die schlussendlich zu Gewebeschädigungen und Organversagen führen kann – bis hin zum Tod.

Welche Menschen entwickeln denn diese Immunkomplexe?

Diese Immunkomplexe sind nur bei Patienten gemessen worden, die auf der Intensivstation lagen und schwer an Covid erkrankt waren. Wir haben sie bei vielen, aber nicht bei allen Patienten gefunden.

Warum nicht bei allen?

Wir denken, dass es eine gewisse Veranlagung gibt. Eine weitere wichtige Erkenntnis: Die meisten, die diese Immunkomplexe hatten, waren nicht geimpft.

Auf dieser vom US-Forschungszentrum NIAID (Nationales Institut für Allergien und Infektionskrankheiten) zur Verfügung gestellten ...
Auf dieser vom US-Forschungszentrum NIAID (Nationales Institut für Allergien und Infektionskrankheiten) zur Verfügung gestellten Aufnahme aus dem Jahr 2020 ist eine Zelle (blau) mit dem Coronavirus (SARS-CoV-2, rot) infiziert. | Bild: Niaid/Europa Press/dpa

Also triggert Covid-19 diese Veranlagung? Und heißt das, Geimpfte entwickeln diesen Komplex nicht?

Ja, genau. In Patienten mit einer gewissen Prädisposition kann das SARS-CoV-2 Virus zur Bildung solcher Immunkomplexe führen. Bei milden Verläufen haben wir die Immunkomplexe nie detektieren können, auch unmittelbar nach der Impfung nicht. Ebenso wenig bei Covid-Patienten, die geimpft waren und aus anderen Gründen auf der Intensivstation lagen, etwa durch Risikofaktoren.

Wie kann es gelingen, diesen Immunkomplexe, von denen Sie sprechen, auszubremsen?

Wir wissen jetzt, dass diese Immunkomplexe eine wichtige Rolle spielen. Nun könnte man bei der Routine-Diagnostik gezielt danach schauen. Durch frühzeitige Erkennung kann man durchaus etwas bewirken.

Wie sieht die Behandlung aus?

Die systemischen Entzündungen, die durch die Immunkomplexe verursacht werden, werden ja schon bekämpft, alle Patienten werden mit Kortikosteroiden und anderen anti-entzündlichen Wirkstoffen behandelt. Jetzt kann man gezielter intervenieren, je nachdem, ob und wann die Immunkomplexe gemessen werden. Es gibt aber auch die Möglichkeit, diese Immunkomplexe aus dem Blut zu entfernen, durch Plasmapherese – ein Verfahren, in dem das Blut gewaschen wird.

Diese undatierte elektronenmikroskopische Aufnahme, die von den US-amerikanischen Nationalen Gesundheitsinstituten im Februar 2020 zur ...
Diese undatierte elektronenmikroskopische Aufnahme, die von den US-amerikanischen Nationalen Gesundheitsinstituten im Februar 2020 zur Verfügung gestellt wurde, zeigt das ursprüngliche Virus, das Covid-19 verursacht. Inzwischen hat sich das Virus mehrfach verändert. | Bild: NIAID-RML/AP/dpa

Eine Art Dialyse also?

Nein, eine Art Blutwäsche. Die Plasmapherese wird bei manchen Autoimmunkrankheiten schon gemacht: Das Plasma mit den inflammatorischen Stoffen und eventuell Immunkomplexen wird entfernt und es wird ein Plasmasubstitut hinzugefügt. Das ist aber ein sehr teures Verfahren, und wir bräuchten klinische Studien, um zu prüfen, ob diese Behandlungsform eine Option wäre.

Können schwere Erkrankungen denn so verhindert werden? Oder muss dazu ein neues Medikament entwickelt werden?

Theoretisch könnte man über eine Hemmung derjenigen Immunrezeptoren nachdenken, die durch die zirkulierenden Immunkomplexe getriggert werden. Aber das ist etwas, das erst noch überprüft werden muss und wiederum Forschungsarbeit und schließlich klinische Studien erfordert.

Welche Reaktionen hat Ihre Studie in der Welt der Wissenschaft hervorgerufen? Wird es weiterführende Studien dazu geben?

Wir kooperieren mit anderen Arbeitsgruppen und haben schon Ideen, wie wir weitermachen können: Wir wollen verstehen, warum die Immunkomplexe vielleicht nicht so effizient eliminiert werden, warum der Körper sie nicht selbst ausmerzt. Wir wollen verstehen, welche Unterschiede es zu anderen Krankheiten gibt, vor allem Autoimmunkrankheiten, wo bekannt ist, dass die Immunkomplexe eine bekannte zentrale Rolle spielen. Wir wollen verstehen, welche anderen Immunrezeptoren durch die Immunkomplexe aktiviert werden können.

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Was bedeutet das für die Impfung? Wenn Antikörper dazu führen können, dass die Immunreaktion zu heftig wird und der Körper sich sozusagen selbst entzündet, sind Impfungen dann überhaupt sinnvoll?

Wir haben bereits Probanden nach der Impfung bezüglich solcher Immunkomplexe untersucht und bisher keine nachweisen können.

Die Stiko bleibt ja bei ihrer Empfehlung der zweiten Booster-Impfung für Menschen über 60 Jahren. Wie stehen Sie dazu, sollten nicht alle Menschen eine Auffrischung bekommen?

Ich glaube nicht, dass alle eine zweite Auffrischimpfung brauchen. Viele Menschen haben bereits drei Impfungen und eine Infektion durchgemacht. Das bietet einen guten Schutz. Risikopatienten oder ältere Menschen sollten dagegen nach Stiko-Empfehlung die zweite Auffrischimpfung erhalten. Bei gesunden jüngeren Menschen sehe ich keine dringende Notwendigkeit.