Helmut Kohl war ein Mann, dem man vieles nachsagen kann – ein distanziertes Verhältnis zur Jagd und zum Verzehr von dessen Ergebnissen allerdings gewiss nicht. Bei Staatsempfängen ließ der im kurpfälzischen Ludwigshafen geborene Altkanzler gerne das Lied vom „Jäger aus Kurpfalz“ spielen. Gespeist wurde anschließend im „Deidesheimer Hof“, wo es noch heute „Essenz vom Wildgeflügel mit Rosmarin und Sherry“ und „Pfälzer Rehrücken im Waldpilzcrêpe“ gibt.
Und natürlich wusste Kohl, dass man den untrennbar mit seinem Namen verbundenen „Saumagen“ auch ganz prima aus Wildschwein fertigen kann. Bei Kohls Nach-Nach-Nachfolger Olaf Scholz, der Emmanuel Macron im Oktober allen Ernstes mit einem Fischbrötchen behelligte, ist keine Affinität zu Wildbret überliefert, und auch seine Partei, die SPD macht dem Deutschen Jagdverband (DJV) bei dessen „Wahlprüfsteinen“ derzeit Kummer, weil sie den Schutzstatus des Wolfes nicht absenken will.
Voller Stolz präsentiert der Interessenverband von 430.000 Jagdschein-Inhabern allerdings dieser Tage die Ergebnisse einer Studie, die belegen soll, dass sich das Image der Jäger bessert: „51 Prozent der Deutschen stehen positiv zur Jagd. Das ist ein Fünftel mehr als 2003“, heißt es.
51 Prozent, das ist eine sehr knappe Mehrheit. Und mithin der Beweis, dass die Jagd hierzulande immer noch ein Imageproblem hat: Das Bild vom grimmigen „Jäger mit dem Schießgewehr“, der von seinem Hochsitz herab und auf alles ballert, was sich bewegt, scheint unausrottbar. Oder doch nicht?
„Wer Kontakt zu Jägerinnen und Jäger hat, urteilt positiver“, sagt Torsten Reinwald vom DJV. „Der Trend zu regionalen hochwertigen Lebensmitteln sorgt für eine verstärkte Nachfrage nach Wildbret – und damit auch für ein positives Image.“
Tatsächlich hat Wild im Vergleich zu herkömmlichem Fleisch einen niedrigeren Fettgehalt, es enthält viele Omega-3-Fettsäuren, Eisen, Zink und B-Vitamine. Zudem ist es vergleichsweise cholesterin- und kalorienarm. So hat Wildschwein nur etwa 120 Kalorien pro 100 Gramm, und bis zu zehn Mal weniger Fett als das Hausschwein.
Antibiotika kennt ein Reh im Wald nicht
Auch Hormone, Medikamente oder Antibiotika, wie sie in der industriellen Masttierhaltung gang und gäbe sind, kennt ein Reh nicht, das sich von Gras, Blättern, Beeren und Trieben ernährt.
Allesamt also nachwachsende Rohstoffe, die die Natur en passant produziert, ohne dass Energie oder Trinkwasser verschwendet würde. Und im Gegensatz zur nicht eben beneidenswerten Existenz eines Mast-Schweins hat ein Wildschwein fast immer ein artgerechtes Leben hinter sich, wenn es ein Schuss aus dem Nichts ereilt.
Grundsätzliche moralische Bedenken sind dann auch das Hauptargument von Jagdgegnern wie Peta: „Die Jagd ist aus ökologischer und moralischer Sicht nicht zu verantworten“, heißt es auf der Homepage der Tierrechte-Organisation, die Wissenschaftler wie den Biologen Dr. Karl-Heinz Loske zitiert, der Jagd als unnötiges Hobby zur „Befriedigung der Jagdlust der Jäger“ geißelt. Einen ökologischen Nutzen habe sie nicht, da die Natur die Bestände auch ohne menschliche Eingriffe reguliere.
Das sieht man beim DJV ganz anders: „In Wirtschaftswäldern müssen Pflanzenfresser wie Reh oder Hirsch durch Jagd im Bestand reduziert werden“, sagt Sprecher Reinwald. Und um die weitere Ausbreitung der Afrikanischen Schweinepest zu verhindern, müssten die Wildschwein-Bestände reduziert werden.
Oliver Güth ist Jäger im nordbadischen Malsch und weiß um die Vorurteile, die seine Zunft begleiten. Es komme schon mal vor, dass aus einem vorbeifahrenden Auto „Mörder“ gerufen werde, doch die meisten Menschen reagierten eher mit Neugier und aufrichtigem Interesse, wenn sie erführen, dass er auf die Jagd gehe. Und überhaupt weiß Güth, was er machen würde, wenn er selbst von einem Tierschutz-Aktivisten angegangen würde: „Ich würde ihn einladen, mich einfach mal ein paar Stunden zu begleiten.“
Er würde den Skeptikern zeigen, wie er im Hochsommer mit einem Hektoliter-Tank durch den Wald fährt und Wassertränken für Insekten und Igel anlegt, der Klimawandel wirkt sich auch im Wald fatal aus.
Er würde zeigen, wie er einen „Wildacker“ anlegt, eigene Pflanzungen, um das Wild von den jungen Trieben wegzulocken, die sie so gerne verzehren.
Und er würde ihnen zeigen, welche ökologischen Schäden entstehen, wenn auf zu wenige Baumschösslinge zu viel Rotwild kommt. Auch das sei ein Grund, warum Jahr für Jahr 1,3 Millionen Rehe und 500.000 Wildschweine dran glauben müssen.
Noch immer gibt es Treib- und Drückjagden
Dass Rehe nur in den eineinhalb Stunden vor und nach Sonnenaufgang erlegt werden dürfen, wissen hingegen auch viele der Kunden nicht, denen Güth sein Wild verkauft: „Gerade gestern hat ein Kunde gesagt, er sei gekommen, weil er sich vorstellt, dass ein Reh nicht mal mehr den Schuss hört, der es tötet – und zuvor ein freies, artgerechtes Leben hatte.“
Und dennoch ist das Image vom Jäger als schießwütigem Stumpfnick zumindest zum Teil selbstverschuldet: Schwarzweißbilder von Honoratioren, die ihre Füße auf erlegte Tiere stellen, sind zwar Dokumente aus längst vergangenen Zeiten. Doch noch heute gibt es Treib- und Drückjagden zum Amüsement von Politikern und Industriellen.
Genießbar ist das Fleisch einer zu Tode gehetzten Wildsau nur bedingt, findet die Gastronomin Gabriele Späth vom Gasthaus „Eyachmühle“ („Fisch, Wild und Gemüse aus der Region“) in Dobel (Kreis Calw): „Schon beim Zerteilen riecht das Fleisch streng. Und es schmeckt auch so“. Was die Gastronomin indes genauso wenig nachvollziehen kann wie Jäger Güth, ist, wenn Menschen den Wildgeschmack per se als „streng“ und unangenehm bezeichnen.

Das rühre aus den Zeiten, in denen die Kühlkette noch nicht geschlossen war und ein geschossenes Rebhuhn zehn Tage abhing, ehe es verzehrt wurde. Wer 2024 kein Wild mag – und das sind wie bei Schaf und Ziege viele Menschen – ist vielleicht eher auf dezente Aromen gepolt, isst gerne Putensteak und zieht jungen Gouda französischem Rohmilchkäse vor.
Güth hatte hingegen noch nie kulinarische Berührungsängste, schon seine Mutter kochte mit Wild. Allerdings auf traditionelle Art, Braten, die sicher nicht zu kurz geschmort wurden. Güth kocht heute anders, mit niedrigeren Garzeiten, das Filet zartrosa. „Man muss die Leute da hinführen“, sagt er. Und zwar ganzjährig.
Unausrottbar sei die Vorstellung, dass Wild ein reines Winteressen sei, doch im Gegensatz zu Spargel könne man einen Hirschbraten das ganze Jahr essen – nach Möglichkeit frisch natürlich. Und nicht aus der Tiefkühltheke im Supermarkt: Der Großteil des Lammfleisches, das im Supermarkt verkauft wird, stammt aus Neuseeland: sogenanntes „Gatterwild“, also Tiere, die in umzäunten Territorien und in Herden gehalten werden. Artgerecht ist das nicht, und Wild, das nicht wild lebt, ist keines.
Allerdings ist es oft billiger als das Hirschsteak aus dem angrenzenden Wald. Das jedoch müsse nicht sein, findet Güth, der sich selbst manchmal wundert, zu welch hohen Preisen heimisches Wild über den Tresen geht: „Ich kann ein Kilo Reh nicht für ein paar Euro verkaufen, aber wenn ich von dem Image als Luxusgut wegwill, darf ich das Filet nicht für 60 Euro verkaufen.“