Migräne-Patienten leiden oft nicht nur unter starken Schmerzen, sondern auch unter der langen Suche nach der passenden Therapie. Neben einer Vielzahl von Medikamenten, die heute zur Vorbeugung eingesetzt werden, kann eine ausgeglichene Lebensweise einen positiven Beitrag leisten.
„Für Migräne-Patienten ist ein regelmäßiger Tagesablauf wichtig“, erklärt Hartmut Göbel, Facharzt für Neurologie und Ärztlicher Direktor der Schmerzklinik Kiel. „Das hilft, Energie zu sparen.“
Schnelle Impulse können das Gehirn überlasten
Energie ist das Schlüsselwort bei der Migräne. Um das zu verstehen, hilft ein Blick auf die Entstehung einer Attacke. „Das Gehirn von Migräne-Patienten arbeitet sehr schnell und nimmt auch Reize schnell auf“, erklärt Göbel.
Was impulsiv kommt, könne das Gehirn überlasten. In der Folge bekommen die Nervenzellen zu wenig Energie und werden in ihrer Funktion gestört.

Es sei wie bei einem Verbrennerauto, in dem die Benzinleitung zu wenig Kraftstoff in den Motorraum befördert, erklärt der Mediziner. „Dadurch stottert das Ganze.“
Durch die Freisetzung von Entzündungsstoffen versucht das Gehirn nun, die Gefäße zu erweitern. Dadurch werden sie stark schmerzempfindlich, jeder Pulsschlag löst einen Schmerzreiz aus. „Daher die pochenden Schmerzen“, erklärt der Experte.
Entspannungsverfahren können helfen
Die Frage ist also: „Wie kriegen wir ein Energiedefizit gelöst?“, so Göbel. „Wir müssen versuchen, dem Gehirn Zeit zu lassen.“ Dazu gehöre es, Pausen zu machen, mal nichts zu tun. Helfen können auch Entspannungsverfahren wie die progressive Muskelrelaxation, weiß der Mediziner.

Laut Robert Koch-Institut (RKI) sind 14,8 Prozent der Frauen und 6 Prozent der Männer in Deutschland von Migräne betroffen. Weitere 13,7 Prozent der Frauen und 12 Prozent der Männer hätten wahrscheinlich Migräne, so die Erhebung von 2020.
Mythen über Migräne
Die Erkrankung äußert sich auch durch Symptome wie Übelkeit oder Licht- und Lärmüberempfindlichkeit. Das kann eine Diagnose erschweren. Facharzt Göbel klärt über einige Mythen über Migräne auf:
- Migräne ist erblich bedingt. Die Migräne ist eine komplexe Erkrankung, sagt Göbel. Für die Entstehung sind viele Faktoren verantwortlich. Die Erbfaktoren seien zu etwa 30 bis 50 Prozent relevant. Damit spielt die genetische Grundlage zwar eine Rolle, es kommt aber auch auf das Verhalten an. „Wir kennen heute 38 Risiko-Gene und 44 Gen-Varianten“, erklärt der Mediziner. Wer diese genetische Veranlagung hat, muss besonders aufpassen, seine Nervenzellen nicht zu überlasten.
- Bestimmte Lebensmittel lösen die Attacken aus. Das ist heute relativiert, sagt Göbel. Tatsächlich sei der Heißhunger nach Süßem oder Hochkalorischem bereits ein Symptom der Attacke, ausgelöst durch ein Energiedefizit im Gehirn. Wer nach dem Genuss bestimmter Lebensmittel eine Migräne-Attacke bekommt, vermutet schnell einen Zusammenhang. Doch genauso wenig, wie die Lust auf Rollmops die Ursache der Schwangerschaft ist, ist der Hunger nach Käse die Ursache der Migräne, sondern ein Symptom, sagt Göbel.

- Das Wetter hat einen Einfluss auf Migräne. Das Thema ist in sehr vielen Studien untersucht worden, sagt Göbel, allerdings gibt es kein einheitliches Bild. Schnelle Wetterwechsel könnten natürlich Migräne auslösen – so wie alles, was sich schnell ändert, das Gehirn belasten kann, erklärt der Experte. Für die Patienten sei entscheidend: „Wir haben keine Möglichkeit, das Wetter zu beeinflussen. Wir können uns aber gegen solche Wechsel resistenter machen.“
- Stress löst Migräne aus. In der Phase vor der Attacke sind die Nervenzellen schon nicht mehr in der Lage, auf Reize adäquat zu reagieren, sagt Göbel, sie werden überempfindlich. Das Stressempfinden ist also weniger eine Ursache der Migräne als mehr ein Symptom. Aber: Läuft das Nervensystem ständig auf 180 Prozent, kann die hohe Aktivität natürlich eine Ursache sein.
- Hormone lösen Migräne aus. Früher glaubte man, dass Migräne vor allem mit Östrogenen zusammenhängt, erklärt Göbel, auch weil man oft schwere Attacken in Verbindung mit der Menstruation beobachtet hat. Tatsächlich sind die Geschlechtshormone aber nicht verantwortlich. Das zeigt auch ein Blick auf die Wechseljahre. Viele Frauen haben sich auf die Wechseljahre gefreut, erklärt der Mediziner. Doch bei der Hälfte der Patientinnen bleiben die Beschwerden gleich, bei rund einem Viertel werden die Attacken sogar mehr und nur bei einem Viertel lassen sie nach.
- Migräne begünstigt psychische Erkrankungen. Das Migräne-Gehirn arbeitet anders, erklärt Göbel. Deshalb besteht auch ein Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der psychischen Gesundheit. Dazu gibt es klare Studien. Migräne-Patienten machen sich mehr Gedanken und haben mehr Stimmungs-Probleme. Die Wahrscheinlichkeit für Depressionen ist um das Vier- bis Achtfache erhöht.
Neue Mittel gegen das Gewitter im Kopf
Migräne ist mehr als nur Kopfschmerz: Sie kann sich auf ganz unterschiedliche Weise äußern und beeinträchtigt das Leben vieler Menschen erheblich. Neue Therapieansätze und Medikamente könnten Betroffenen helfen, die Krankheit besser zu bewältigen.
- Triptane und Ditane: Bei schwerer Migräne könnten spezielle Medikamente – Triptane – zum Einsatz kommen, erklärt Christian Maihöfner, Chefarzt der Klinik für Neurologie am Klinikum Fürth. Seit Kurzem steht mit den Ditanen zudem eine neue Wirkstoffklasse zur Verfügung – vor allem für jene, die aufgrund von Herzkreislauferkrankungen oder einem früheren Schlaganfall auf Triptane verzichten sollten, so Maihöfner. Ditane wirken ähnlich wie Triptane, indem sie – vereinfacht gesagt – Nerven daran hindern, Substanzen freizusetzen, die Migräne auslösen.
- Prophylaxe: „Heute gehen wir davon aus, dass entzündliche Vorgänge an der harten Hirnhaut eine Rolle spielen: Bestimmte Nervenfasern können eine Entzündung auslösen, wobei das sogenannte CGRP – Calcitonin Gene-Related Peptide – besonders wichtig ist“, sagt Maihöfner. CGRP sorge dafür, dass sich Gefäße an der harten Hirnhaut weiten, was wiederum die Schmerzverarbeitung wichtiger Nervenfasern reize. „Die Identifikation der Schlüsselrolle dieses Neuropeptids hat einen Durchbruch in der vorbeugenden Migräne-Therapie ermöglicht: nämlich die Entwicklung sogenannter CGRP-Antikörper“, so Maihöfner.
- Betablocker und Antidepressiva: Auch Betablocker, Antidepressiva und vereinzelt Epilepsie-Mittel werden vorbeugend eingesetzt. Letztere können allerdings fruchtschädigend wirken. Manche Betroffene berichten von positiven Erfahrungen mit Magnesium oder Vitamin B2. Bei chronischer Migräne, von der man bei mehr als 15 Tagen im Monat spricht, können darüber hinaus Botulinumtoxin-Injektionen verschrieben werden. (dpa)