Kurz vor halb eins am Mittag schwebt an diesem Juli-Dienstag über Burladingen der Helikopter von Wolfgang Grupp hinweg. Just in dem Moment, als ein Mann am Rathausplatz sagt, dass er über den früheren Bürgermeister Harry Ebert nicht mehr sprechen möchte: „In Burladingen ist längst wieder Ruhe und Normalität eingekehrt.“

Zu dieser Normalität hat auch in politisch erhitzten Zeiten immer der ratternde siebensitzige Hubschrauber gehört, der nicht weit vom Rathaus entfernt an der Unternehmenszentrale von Trigema landet. Auf dem Helikopter sind der Affe und das Logo des Textilherstellers gut zu erkennen.

Trigema-Chef Grupp war damals einer der lautesten Stimmen, die eine Neuwahl forderten, nachdem bekannt geworden war, dass der parteilose Ebert nun zur AfD übergelaufen ist. Er fürchtete einen massiven Imageschaden für seinen Firmensitz.

Plötzlich einen AfD-Bürgermeister

Das war im März 2018. Aber in Baden-Württemberg kann ein Bürgermeister nicht einfach so abgesetzt werden. Burladingen ist danach weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt geworden – als erste Stadt Süddeutschlands, in der ein AfD-Politiker ein Rathaus führt. Daran erinnern sich die Menschen nun wieder, nachdem in Sachsen-Anhalt der AfD-Landtagsabgeordnete Hannes Loth zum Bürgermeister von Raguhn-Jeßnitz gewählt worden ist.

In Burladingen sind sie erleichtert darüber, dass Ebert mittlerweile Geschichte ist. Es waren Jahre des Zorns. „Wir sind froh, dass wir einen neuen Bürgermeister haben und nun Sachthemen wieder angepackt werden“, sagt der CDU-Gemeinderat Michael Eisele.

Der Gymnasiallehrer nennt den Parteilosen Davide Licht einen Macher, der mit Tatendrang und Enthusiasmus neuen Schwung in die 12 000 Einwohner zählende Stadt gebracht hätte. Über seinen Vorgänger mag sich der 34-Jährige aber nicht äußern. Er bittet um Verständnis.

Ebert, ein an der Hochschule ausgebildeter Polizist, ist 1999 zum Bürgermeister in Burladingen auf der Schwäbischen Alb gewählt worden, weitere zweimal gewann er die Wahl, weil er zunächst das Städtchen voranbrachte, unter anderem ließ er eine Turnhalle bauen und die Stadthalle grundlegend sanieren. Das kam gut an. In dieser Zeit trat er in die CDU ein und wieder aus und gehörte für die Freien Wähler eine Periode zudem dem Kreistag an. Dann wechselte er plötzlich zur AfD.

Ebert radikalisierte sich

„Diese krass veränderte Weltsicht hat sich nicht angedeutet“, erzählt Eisele, der die CDU-Fraktion in Burladingen führt. Danach entfernte sich Ebert zunehmend vom Gemeinderat, der sich immer wieder lautstark und öffentlich über ihn beschwerte, nachdem er sich bei Flüchtlingsthemen entsprechend positioniert hatte.

Und auch kein echtes Interesse daran zeigte, die Täter zu finden, die das Kino mit Nazi-Parolen beschmiert hatten. Vor allem seine Einträge auf Facebook „ekelten uns an“, sagt der Grünen-Fraktionschef Peter Thriemer.

In den sozialen Medien und im Amtsblatt wurde Eberts Wandlung vom unauffälligen Bürgermeister zum AfD-Politiker sichtbar. Er teilte öffentlich Beiträge der Partei. Seiten wie „Merkel muss weg“ und „Fuck the EU“ hatte er mit „gefällt mir“ markiert. Und nannte ein Flüchtlingsheim „Asylantenschau“. Schon vorher hatte Ebert seinen Gemeinderat als „Landeier“ bezeichnet, was ihm einen Verweis vom Landratsamt einbrachte. Sein Ton wurde zunehmend aggressiver, Beleidigungen und persönliche Angriffe prägten seinen neuen Stil.

Ebert ließ für die Presse eine Schulbank im Sitzungssaal des Rathauses aufstellen.
Ebert ließ für die Presse eine Schulbank im Sitzungssaal des Rathauses aufstellen. | Bild: Matthias Badura/dpa

Der führte sogar so weit, dass er zunächst die Arbeit der lokalen Journalisten vom „Schwarzwälder Bote“ und der „Hohenzollerischen Zeitung“ behinderte, indem er ihnen keine Auskünfte mehr gab.

Vorläufiger Höhepunkt war dann, dass er unter dem Protest des Gemeinderats einen alten hölzernen Schultisch samt Bank fest im Sitzungssaal montieren ließ, damit die Journalisten dort wie Grundschüler sitzen und zuhören mussten.

Hausverbot für Redakteure

Doch auch diese Demütigung genügte ihm nicht: Er erteilte den Redakteuren des „Schwabo“ sogar Hausverbot – und verletzte damit geltendes Recht. Ebert schrieb in einem Brief an die Redaktion, dass er strafrechtlich dagegen vorgehen werde, sollten sie weiter über die städtischen Einrichtungen berichten. Dazu zählten auch Musikschule, Feuerwehrhäuser und das Hallenbad.

Die Zeitung schaltete eine Kanzlei ein. Mit Erfolg. Nach längeren juristischen Auseinandersetzungen zog Ebert das Hausverbot zurück. Dem Bürgermeister brachte das den Negativpreis „Verschlossene Auster“ ein, den die Journalistenvereinigung Netzwerk auslobt. Er führe einen selbstherrlichen und respektlosen Umgang mit der örtlichen Presse.

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Auch die Menschen in Burladingen hatten genug von seinen Spielchen und begehrten auf. Sie gründeten das Bündnis „Burladingen ist bunt“, aus der später der Grüne Ortsverband hervorging. Gemeinsam mit anderen Gruppen organisierte dieser danach eine politische Kundgebung für Demokratie und Menschlichkeit – die erste in dem Ort überhaupt, wie sich der 69-jährige Thriemer erinnert. „Es kamen sogar Leute, die mehr als 40 Kilometer entfernt wohnten.“

Eine politische Aktion war neu. Bis dahin setzte der Bauernverband höchstens einmal einen Heuhaufen in Brand oder vor dem Hauptwerk Trigemas streikten ein paar Gewerkschaftsmitglieder von IG Metall. Im Pfarramt brachte die Ehefrau des evangelischen Pfarrers ein Plakat an, auf dem stand: „Der Bürgermeister dieser Kommune spricht nicht in meinem Namen.“

Auch Ebert merkte, dass er zunehmend isoliert war, wenngleich es Bürger gab, die mit ihm sympathisierten. Er blieb fortan öfters Gemeinderatsitzungen fern oder lag – wenn er kam – mehr in seinem Stuhl, um seine Lustlosigkeit und Geringschätzung zum Ausdruck zu bringen.

Anfangs gefiel ihm seine rebellische Rolle noch, aber Anfang 2020 reichte er schließlich seinen Rücktritt zum 1. Juni ein. Aus gesundheitlichen Gründen. Im September 2020 wählten die Burladinger Davide Licht zu ihrem neuen Bürgermeister. „Ein Lichtblick“, wie Thriemer es formuliert. „Er ist jung, engagiert und will was bewegen.“ Ganz ohne ideologische Weltanschauung.

Auch Wolfgang Grupp ist längst wieder besänftigt. Wo inzwischen die Schulbank steht, weiß niemand. Lehrer Eisele sagt lächelnd: „Vielleicht wieder in der Schule.“ Und wo Ex-Bürgermeister Ebert lebt, kann Thriemer ebensowenig beantworten. Der Gemeinderat weiß nur, dass er ein Haus in Burladingen besitze.