Ohne sie geht nichts. Tausende von Verkäuferinnen und wenigen Verkäufern stehen in diesen Tagen an den Kassen ihren Kunden gegenüber. Zu Recht gelten sie als Stille Heldinnen und Helden, die ihre Arbeit nicht im Hausbüro erledigen können, sondern an der Schnittstelle von Waren und Geld handeln. Besonders sensibel geht es in Bäckereien zu, wo das Gebäck erst verpackt und dann abgerechnet wird – meist mit Bargeld. Jürgen Waldschütz und seine Mannschaft können davon ein Lied singen, wie es zwischen Backstube und Verkaufstheke zugeht – panische Anwandlungen inklusive.

Ein gewöhnlicher Nachmittag im Edeka-Markt in Engen (Hegau), wo Bäcker Waldschütz eine von sechs Filialen betreibt. Das zugehörige kleine Café mit den lässigen Hockern ist abgeperrt und aufgestuhlt. An den Kassen sind Plexiglaswände aufgebaut. „Ein Spuckschutz“, wie Filialleiterin Corina Jäckle sagt. Manche Kunden halten Abstand und andere nicht, berichtet sie.

Einige kommen den Verkäuferinnen bedrohlich nahe und reden auf sie ein wie an der Biertheke, als ob sie von Abstandsregeln nie etwas gehört hätten. „Dann weiche ich aus und stelle mich an die Seite,“ sagt Jäckle schmunzelnd. Sie steht seit 15 Jahren im Verkauf. Angst vor Ansteckung? „Nein, die hatte ich nie,“ sagt sie im Gespräch mit dieser Zeitung.
600 Kunden kommen am Tag. Jeder kann ansteckend sein
Das ist nicht selbstverständlich. „Am Anfang der Krise waren meine Verkäuferinnen ängstlich,“ berichtet der Chef. „Sind wir gefährdet?“, fragen sie. 600 Kunden wollen täglich Kuchen oder Brot, das sind pro Verkaufskraft etwa 150 Vorgänge pro Tag. Die Infektionsgefahr ist also vielfach gegeben. Der Bäckermeister führte Einzelgespräche mit dem Ergebnis: „Chef, das machen wir.“ Keine Verkäuferin ist abgesprungen, denn auf sie kommt es an.

Die knusprige Ware fassen sie mit dem Handschuh an, das Geld mit der Hand. So kann nichts übertragen werden. Die meisten Kunden honorieren, dass ihnen frisches Brot und kein eingeschweißtes Tütenfutter verkauft wird. „Immer wieder bedanken sich Kunden. Bei ihnen kommt unsere Leistung an,“ sagt Nadine Sarstedt. Sie hatte zu Beginn der Krise noch schwere Bedenken. „Ich hatte Panik, wie ich mich schütze,“ sagt die gelernte Bäckerin leise. Die hat sie überwunden.
Der Fleischkäse bleibt liegen
Derweil macht sich Jürgen Waldschütz über die Kasse seine Gedanken. Die Umsätze gingen um etwa 30 Prozent zurück, berichtet er. Obwohl Brot ein Grundnahrungsmittel ist. Zwei Gründe kann er erkennen: Das Café ist geschlossen, in dem doch mancher hängenblieb, bevor er den vollen Einkaufswagen zum Auto schob. Und: Die Nachfrage nach Imbissen und Fleischkäswecken ist eingebrochen; sie wurden von Menschen gekauft, die inzwischen im Hausbüro arbeiten und sich zu Hause etwas zu essen machen.
Noch eine interessante Beobachtung macht der Engener Bäckermeister: Das Sonntagsgeschäft ist fast völlig eingebrochen. Offenbar ist der Brötchenverkauf an diesem Tag ein Luxus der Konsumenten. „Systemrelevant“ ist die ofenfrische Semmel wohl nicht. Waldschütz plant deshalb, seine Filialen an Sonntagen künftig geschlossen zu halten. Noch etwas wird ihm in diesen Tagen klar: Er hat zu viele Sorten an Kleingebäck in der Auslage. Braucht es alle 44 Varianten zwischen Lauge und Maiskörnern? Er wird also reduzieren und ausdünnen. Auch das ein Ergebnis der Corona-Krise.

Er freut sich schon auf die vier Enkel
Und danach? Der Engener Firmenchef weiß, was er tun wird nach der Krise, wenn alle Einschränkungen gefallen sind. „Ich werde meine vier Enkel besuchen“, die er derzeit nur auf dem Bildschirm erlebt. Das Herz tut ihm weh, wenn er daran denkt. Und noch etwas: Der überzeugte Katholik freut sich auf den ersten Sonntag, wo er das Haus verlassen und den Gottesdienst besuchen kann.