Die Spannung hat sich entladen. Seit Tagen hatte die Luft zwischen Kanzleramt und Länderchefs geknistert. Jetzt ist klar: Wegen zu vieler Unstimmigkeiten wird es am Montag anders als geplant keine Ministerpräsidentenkonferenz geben, um über die weitere Strategie zur Bekämpfung der Pandemie zu sprechen. Stattdessen soll das Infektionsschutzgesetz so geändert werden, dass einheitliche Regeln für die gesamte Republik gelten – zumindest in Sachen Notbremse.

Ab einer Inzidenz über 100 sollen dann verbindlich die gleichen Regeln gelten. Etwas, worum die Ministerpräsidenten seit Wochen und Monaten vergeblich rangen. Schon kommende Woche soll das Gesetz dem Bundestag vorgelegt werden.

Notbremse in Baden-Württemberg

Aber wie begeistert ist man in Stuttgart von der teilweisen Entmachtung durch Berlin? Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) stellt es so dar: „Wir haben schon mehrfach signalisiert, dass wir einen Rahmen, der länderübergreifend bei bestimmten Punkten für mehr Einheitlichkeit, Nachvollziehbarkeit und Rechtssicherheit sorgt, für sinnvoll und notwendig erachten. Wir finden es deshalb richtig, die Regeln der Notbremse ab einer Inzidenz von 100 verbindlich im Bundesinfektionsschutzgesetz zu verankern.“

Winfried Kretschmann (Grüne) begrüßt den Vorschlag aus Berlin. Eine anderslautende Ausgangssperre hat das Land aber trotzdem.
Winfried Kretschmann (Grüne) begrüßt den Vorschlag aus Berlin. Eine anderslautende Ausgangssperre hat das Land aber trotzdem. | Bild: Christoph Schmidt

Erst Ende März hatte die Landesregierung aber eine Änderung bei der Auslegung der Ausgangssperren auf den Weg gebracht, wonach diese erst ab einer Inzidenz von mehr als 150 zwingend greifen sollen, statt wie eigentlich vorgesehen bereits ab 100. Viele Kreise hatten sich nicht daran gehalten.

Kretschmann betonte: „Um es klar zu sagen: Die Länder haben bereits jetzt alle Instrumente in der Hand, um die Notbremse effektiv umzusetzen. So machen wir das auch in Baden-Württemberg. Dass hier noch einige zögern, ist angesichts der Pandemielage nicht nachvollziehbar.“

Unterstützung fehlt

Doch die Unterstützung des Unionsvorstoßes durch den Koalitionspartner SPD im Bundestag ist ungewiss. Während Vizekanzler Olaf Scholz den Vorstoß begrüßte, kritisierte SPD-Bundesvize Serpil Midyatli das Vorgehen scharf.

Auch in der Region sind sich die Vertreter der großen Koalition nicht ganz einig: Der Konstanzer CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Jung steht klar hinter dem Vorhaben: „Es geht nicht um mehr Kompetenzen, sondern um mehr Verbindlichkeit“, betont der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Unionsfraktionsvize Andreas Jung (CDU) spricht sich für die Änderung aus.
Unionsfraktionsvize Andreas Jung (CDU) spricht sich für die Änderung aus. | Bild: Kay Nietfeld

Tatsächlich sollen die Ministerpräsidentenkonferenzen nicht abgeschafft werden, wie bei der Bundespressekonferenz in Berlin betont wurde. Vielmehr sollen die Runden weiter stattfinden – etwa, um das Vorgehen bei den Impfungen abzustimmen. Jung sieht in dem Vorstoß vor allem die Möglichkeit, einen „verlässlichen bundesweiten Rahmen“ zu schaffen. „Regional differenzierte Antworten“ je nach Lage sind für ihn aber kein Widerspruch.

Rita Schwarzelühr-Sutter hält die Diskussion grundsätzlich für wichtig, den Zeitpunkt für Gesetzesänderungen aber für falsch.
Rita Schwarzelühr-Sutter hält die Diskussion grundsätzlich für wichtig, den Zeitpunkt für Gesetzesänderungen aber für falsch. | Bild: Susie Knoll

SPD-Bundestagsabgeordnete Rita Schwarzelühr-Sutter sieht das anders. Sie kritisiert zwar, „dass einzelne Ministerpräsidenten nicht einheitlich handeln, obwohl wir einheitliche Bewertungskriterien haben“. Schwarzelühr-Sutter will deshalb aber keine neuen Gesetze: „Die Bundesländer müssen die bestehenden Regeln konsequent anwenden.“

Stolperstein Bundesrat

Zwar lehnt sie eine Debatte um das Infektionsschutzgesetz nicht ab. Die Staatssekretärin fürchtet aber, dass „Änderungen des Infektionsschutzgesetzes im Bundesrat scheitern“ könnten. Damit könnte wertvolle Zeit im Kampf gegen das Virus verloren gehen. Zudem verweist sie auf die „erwartbaren Reaktionen aus dem Lager der Coronaleugner“.

Doch möglicherweise braucht es die Zustimmung vom Bundesrat gar nicht. Auf diese Möglichkeit hatte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble verwiesen. Demnach könne man entweder den Bund ermächtigen, bundeseinheitliche Regelungen für Corona-Maßnahmen zu erlassen. Dazu müsste neben dem Bundestag auch der Bundesrat dafür stimmen. Oder aber man könne „bestimmte Regeln für die Länder verbindlich vorgeben durch Bundesgesetz“. Dem müsse der Bundesrat nicht zustimmen, erklärte Schäuble.

Föderalismus als Bremser

Der Konstanzer Politik- und Verwaltungswissenschaftler Wolfgang Seibel sieht im deutschen Föderalismus und der damit einhergehenden „Dezentralisierung und Fragmentierung“, der in anderen Bereichen gut funktioniere, in der Pandemie eher ein Problem, wie er in einem ZDF-Interview sagte.