Seit dem 31. Oktober 2022 sitzt er in Schleswig-Holstein in Untersuchungshaft. Nun bekam die Öffentlichkeit den Mann, der seine von ihm getrennt lebende Ehefrau auf offener Straße mit einem Schuss getötet haben soll, erstmals seit der Verhaftung zu Gesicht.
Zum Auftakt des Mordprozesses am Landgericht Itzehoe betrat er den Saal mit einem Russisch-Wörterbuch zwischen seinen Händen, die mit Handschellen aneinandergekettet waren.
Trotz der auf ihn gerichteten Kameras senkte er den Kopf nicht. Auch sein Gesicht verbarg der grauhaarige Mann mit Brille nicht, so zeigen es die Aufnahmen. „Ich bin kein Gewalttäter, kein schlechter Mensch“ – so zitierte ihn die Nachrichtenagentur dpa. Angeklagt ist der 55-jährige Restaurantbesitzer aus Chemnitz wegen Vergewaltigung und Mord. Ihm droht eine lebenslange Haftstrafe.
Dort lauerte er ihr auf – mit der Absicht, zu töten?
17 Prozesstage hat das Landgericht Itzehoe angesetzt, um den Fall aufzuklären. Die Getötete und der gemeinsame 13-jährige Sohn haben einen Bezug zur Region. In Singen wollte die kleine Familie im Sommer 2022 neu anfangen. Ohne den Ehemann und Vater. Doch er fand sie, woraufhin Mutter und Sohn mit Hilfe der Mitarbeiterinnen des Singener Frauenhauses nach Heide in Schleswig-Holstein flohen.
Im März 2022 schon soll der Angeklagte sein Opfer in der gemeinsamen Wohnung in Sachsen vergewaltigt haben. Als die 37-Jährige ihn daraufhin anzeigte und mit ihrem Sohn flüchtete, soll er sie nach Heide verfolgt haben. Dort lauerte er ihr auf – mit der Absicht, zu töten. Davon geht die Staatsanwaltschaft aus.
Schuss offenbar ohne Rücksicht auf den Sohn
An dem Nachmittag war sie gerade mit dem Jungen auf einem Gehweg zu Fuß unterwegs, als neben ihr ein Fahrzeug hielt und ihr Verfolger ausstieg. Unvermittelt und aus nächster Nähe – ohne Rücksicht auf die Anwesenheit des gemeinsamen Sohnes – soll er ihr in den Mund geschossen haben. Anschließend ließ sich der mutmaßliche Täter zur Polizei fahren. Die Frau starb am selben Tag im Krankenhaus.
Der Sohn ist Nebenkläger in dem Verfahren, vor Gericht muss er allerdings nicht aussagen, dies teilte die Staatsanwältin Maxi Wantzen mit. Er wurde bereits vernommen. Ein Video davon soll an einem der nächsten Prozesstage gezeigt werden.
„Er hatte einen absoluten Besitzwillen“
Maxi Wantzen sagte im Gespräch mit NDR: „Dem Angeklagten wird vorgeworfen, aus Heimtücke gehandelt zu haben, weil er ihr vorher aufgelauert hat.“ Zudem werde ihm vorgeworfen, aus niedrigen Beweggründen gehandelt zu haben. „Weil er seine Frau für sich haben wollte. Er hatte einen absoluten Besitzwillen.“
Verteidigt wird der Chemnitzer von Rechtsanwalt Hermann Frank. Dieser brachte eine alternative Version der Ereignisse ins Spiel: Laut ihm könnte die Frau auch nach der Pistole gegriffen oder geschlagen haben, woraufhin sich versehentlich ein Schuss gelöst haben könnte.
Vor Gericht verwies er auf die Spurenlage: Die Untersuchungen hätten ergeben, dass der Oberkörper der Frau vorgebeugt und ihre Arme vorgestreckt gewesen seien, als der Schuss sie in den geöffneten Mund traf.
„Ich habe einen großen Fehler gemacht“
Der mutmaßliche Täter, der von einer Dolmetscherin begleitet wurde, sagte auf Deutsch: „Was passiert ist, ist ein schweres Unglück. Ich habe meine Frau verloren. Ich habe einen großen Fehler gemacht.“
Dem Gericht erklärte er, dass er nach Heide gefahren sei, um Frau und Kind zurückzuholen. Und die Pistole? Sei eine Dummheit gewesen. Mitgenommen habe er die Neun-Millimeter-Schusswaffe nur, beteuerte der Angeklagte, um einen Nebenbuhler abzuschrecken.
Die Familienverhältnisse gab er als stabil an, über seine Frau sagte er, sie habe zu viel Alkohol getrunken, was er habe unterbinden wollen, wie ihn dpa zitiert. Er nannte die Frau „liebevoll, aber naiv“. Sich selbst bezeichnete er als strengen, aber gerechten Vater. Seine Frau habe er nie geschlagen, nur geohrfeigt, auch die Vergewaltigung stritt er ab. „Das war keine Vergewaltigung.“
Alles ein Komplott?
Seine Version der Dinge endete schließlich mit einem Verdacht: „Interessierte Personen“, die er jedoch nicht näher bezeichnete, würden ihn im „schlechten Licht zeigen“ wollen.
Inhaltliche Nachfragen des Gerichts wollte er nicht beantworten.