Die Fliegerei, das sagen alle Piloten, ist die schönste Sache der Welt. Bei der Frage nach ihrer Gefahr erhält man meist ausweichende Antworten oder luftige Optimisten-Sätze, wie Fliegen sei „das sicherste auf der Welt“. Wer spricht schon gerne laut von der weniger angenehmen Seite seines Berufs oder Hobbys?
Ein Toter, zwei leicht Verletzte
Die kritische Seite der Fliegerei ist im Bodenseegebiet in diesen Tagen auffällig geworden. Am Mittwoch kam ein 72-jähriger Schweizer beim Anflug auf den Flughafen Altenrhein bei Staad ums Leben, nachdem er kurz nach dem Start eine technische Störung gemeldet hatte.

Am selben Tag überschlug sich eine RV-7-Sportmaschine des US-Bausatzherstellers Van's Aircraft bei der Landung auf dem Landeplatz Konstanz. Die Insassen wurden nur leicht verletzt. Anders Ende März: Zwei Insassen eines Motorflugzeugs wurden bei Konstanz schwer verletzt, als sie mit ihrer Maschine ins Wollmatinger Ried stürzten.

Die bis Samstag laufende Luftfahrtmesse Aero in Friedrichshafen beschert der Bodenseeregion durch fliegerisch anreisende Besucher mehr Flugverkehr, denn Kurztrips zu umliegenden Städten bieten sich an.
Für die vier Messetage wurden laut Bernd Behrend, Sprecher des Bodensee-Airport, rund 1600 An- und Abflugslots (Zeitfenster für Flugbewegungen) vergeben. Doch so groß wird dadurch die Zahl der Flieger am Himmel nicht, als dass sich daraus zwangsläufig eine Häufung von Unfällen ergäbe.
Wann wird nach einem Flugunfall ermittelt?
Die Experten der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) in Braunschweig halten sich von Spekulationen fern. „Für uns ist jeder Unfall ein Einzelfall und wird einzeln untersucht“, sagt Germout Freitag, Sprecher der BFU auf Anfrage.
Der Konstanzer Überschlag, so viel steht schon fest, werde „nicht weiter untersucht“. Die Gründe: „Es ist kein Personenschaden entstanden, und aus dem Unfall ergeben sich keine Erkenntnisse für die Luftfahrt“, so Freitag. Denn es war nur eine Bodenvertiefung, die die Havarie verursachte.
41 Tote bei Flugunfällen 2021 in Deutschland
Die BFU mit ihren nur 38 Mitarbeitern geht also nicht allen 2000 „Ereignismeldungen“ auf den Grund, wie es im Fachsprech heißt. Anders ist es bei den 142 Flugunfällen, die sich laut BFU-Zählung 2021 in Deutschland ereignet haben.
Wenn es Verletzte gibt oder Menschen ums Leben kommen, wird genau ermittelt. Im vergangenen Jahr waren es 27 Ereignisse, bei denen 41 Menschen ihr Leben verloren. Im Vorjahr gab es 31 Tote. Zum Vergleich: Im Straßenverkehr starben 2021 fast 2600 Menschen, Tendenz fallend.

In der Fliegerei bleiben die Zahlen über die Jahre hinweg dagegen ungefähr gleich. So zählte die BFU vor zehn Jahren 36 Flugunfall-Tote. Eine Auswertung zur Frage, wie oft Pilotenfehler und wie oft technisches Versagen für ein Unglück verantwortlich sind, gibt es nicht. „Allerdings konnten wir einmal herausfinden, dass ein Herzinfarkt während des Fluges zum Unfall geführt hat“, sagt BFU-Sprecher Freitag. Ansonsten fragen die Ermittler kaum nach der körperlichen und geistigen Verfassung von Piloten.
Ab 51 alle zwölf Monate Check beim Fliegerarzt
Mit Blick auf das Alter des jetzt verunglückten Schweizers (72) gewinnt das Gesundheitsthema indes nicht nur für Fliegerärzte an Brisanz, die Piloten im Alter von 50 und aufwärts alle 12 Monaten checken müssen und das sogenannte Tauglichkeitszeugnis, auch „Medical“ genannt, ausstellen.
Wie oft ein Pilot zum Arzt muss
„Wir haben das Thema ‚Fliegen im Alter‘ auf dem Schirm“, sagt Bernd Heuberger. Der Leiter des Referats für Ausbildung und Flugsicherheit beim Baden-Württembergischen Luftfahrtverband (BWLV) in Stuttgart sieht Handlungsbedarf und hat vor zwei Jahren den „Arbeitskreis Flugsicherheit“ gegründet.
Steigende Flugkosten führen zu weniger Flugpraxis
In der alternden Gesellschaft würde auch der Anteil der älteren Piloten immer höher. „Daneben führen steigende Kosten für Sprit, Landegebühren und Unterhaltung der Flugzeuge dazu, dass Flugstunden reduziert würden. „Damit geht Routine und Erfahrung verloren“, so Heuberger.
Der Experte plant eine Initiative: Bei der Auffrischungsschulung für Fluglehrer des BWLV im kommenden Herbst wird der Luftfahrtmediziner Benjamin Schaum aus dem hessischen Gelnhausen Wege aufzeigen, um Freizeitpiloten, die offensichtlich für ihr Hobby nicht mehr fit und routiniert genug sind, ins Bodenpersonal zu überführen.
Verdeckte Hinweise an den Flugmediziner
„Wir brauchen in den Vereinen eine Art Whistleblower, die bei entsprechenden Beobachtungen einem Fliegerarzt Hinweise geben“, sagt Heuberger. Auch „Vertrauensfluglehrer“ könnten mitwirken. „Denn es gibt auch jüngere Kameraden, die zu wenig fliegen und keine Routine entwickeln.“
In der Fliegerei sei es wie mit den Autofahrern. „Es gibt Senioren, die sich einsichtig zeigen und ihre Fluglizenz abgeben, und es gibt Piloten, die immer weitermachen wollen“, sagt Bernd Heuberger. Dazu komme oft „fliegerische Arroganz“: Die (falsche) Überzeugung, durch jahrzehntelange Flugpraxis gegen Unfälle immun zu sein.
Arroganz hat schon viele Piloten um ihr Leben gebracht
Jeder Flieger kennt Kameraden, die diese Haltung das Leben gekostet hat. Das „Medical“ ist als Filter nur begrenzt tauglich, denn der Fliegerarzt kann als alter Vertrauter milde gestimmt sein. Ursula Diestel, Präsidentin des Deutschen Fliegerarztverbands (DFV), hält es mit der Strenge. „Ich habe das Medical öfters verweigert“, sagt die Hamburger Ärztin auf Anfrage. Etwa wenn ein Demenztest nicht bestanden wurde, oder der Kunde seine Frau dabeihatte, „damit sie die Formulare ausfüllt“.
Der Weg, einfach den Arzt zu wechseln, ist durch die digitale Registrierung der Pilotenlizenz beim Luftfahrtbundesamt (LBA) verbaut. „Allerdings kann man sich in Österreich oder Tschechien nochmals vorstellen“, sagt Ursula Diestel. Grund: Den europaweiten Datenabgleich gibt es noch nicht.