Das Land Baden-Württemberg hat viele Baustellen – im konkreten wie auch im politischen Sinne. Seine aufregendste Baustelle schlägt es in diesen Wochen in Weingarten auf. Dort nehmen Restauratoren, Techniker und Kunsthistoriker seit einigen Wochen die Basilika Weingarten in Angriff. Wo sonst die alte Gabler-Orgel brummt und summt, hämmerten erst einmal die Gerüstbauer.
Inzwischen steht das Gerüst, dessen Aufbau fünf Wochen in Anspruch nahm. „Wir konnten es nicht einfach reinstellen“, berichtet Thomas Pehle vom Amt für Vermögen und Bau. Das riesige Gestell darf die hochempfindlichen Wände nämlich nicht berühren. Es steht deshalb freitragend im Raum und reicht derzeit 25 Meter vom Boden bis zur Decke. Die Formen der Architektur zeichnet es exakt nach. Monteure vor allem aus Rumänien fügten in teils gewagten Aktionen die Stangen zusammen.
Weingarten und der Wettbewerb der Äbte
In Weingarten steht der größte barocke Sakralbau nördlich der Alpen. Innerhalb von elf Jahren wurde St. Martin und Oswald inklusive Kuppel gebaut. Den Baumeister hatte man damals aus Österreich engagiert, wo imperiales Bauen an der Tagesordnung war.
Die Benediktiner, die in Weingarten bis 2010 saßen, waren ehrgeizig. Als Kuppel und Langhaus 1725 fertig waren, staunte die Welt: Abt und Konvent hatten eine Kirche hingestellt, die auch im reichen Oberschwaben ihresgleichen suchte. Das war die Absicht.

Die Klostervorsteher standen untereinander in einem unheilvollen Wettbewerb: Weingarten sollte und wollte machtvoller sein als die doppeltürmigen Bauten in St. Peter im Schwarzwald oder das ebenfalls imposante Salem. Das gelang, aber mit fatalen Folgen: Das Kloster Weingarten verschuldete sich in dieser Konkurrenz.
Warum dieser Palazzo?
Der olympische Wettlauf nach imponierenden Bauten wirkt heute befremdlich. Man fragt sich: Was hat schiere Größe mit Gebet zu tun? Und warum bauen Mönche einen sakralen Palazzo, wo sie laut Satzung der Armut verpflichtet sind? Die steinernen Zeugnisse dieser Ära stehen bis heute. In ihrer Pflege sind sie anspruchsvoll wie eine Prinzessin, ihre Schönheit welkt schnell dahin. Pehle sagt: „Diese Sanierung hält 40 bis 50 Jahre, wenn wir Glück haben.“
Wozu der Aufwand dann? Wer die mächtige Türe aufstößt und das Innere betritt, sieht zunächst keine Schäden. Zugegeben, die einst strahlend weißen Wände sind etwas dunkel, aber sonst?
Großes Kino in der Basilika
Wie nötig die Arbeit der Restauratoren sein wird, zeigt sich erst, wenn man auf dem Gerüst steht. Mit dem Aufzug fahren wir ruckelnd unter das Gewölbe, haarscharf an den Pfeilern vorbei. Wir steigen aus bei „Mariä Heimsuchung“ – so heißt eines der herrlichen Fresken aus der Hand von Cosmas Damian Asam, einem der gesuchtesten Maler seiner Zeit.
Moritz Köhler war schon einige Male dort oben. Als Architekt und Projektleiter der Sanierung ist er es gewohnt, ein Gebäude erst einmal von der technischen, statischen Seite zu betrachten. Jetzt steht er vor dem Fresko, das Asam auf einem klapprigen Gerüst in den feuchten Putz gedrückt hat und ist überwältigt. „Das ist großes Kino“. Die ausdrucksvollen Gesichter des Marien-Zyklus mit ausgreifenden Gebärden sind ganz nahe, ihre Wirkung fast bedrückend. Vor gut 300 Jahren wurden sie gemalt und sprechen bis heute an.
Der Arbeitsplatz auf dem Gerüst
Den besten Arbeitsplatz hat sich Florian Wiener eingerichtet. Er ist Bauleiter vor Ort und Restaurator (Firma Aedis). Auf der obersten Etage des Gerüsts stellte er eine Holzplatte auf zwei Böcke, packte eine zierliche Lampe drauf sowie einen Laptop. Wenn er hier zwischen flirrendem Staub und Asams Marien über seiner Dokumentation brütet, dann weiß er eines: Er hat den richtigen Beruf ergriffen.

Wiener kennt jedes Detail hier oben. Er hat sich eingefuchst in die Techniken dieser Zeit, in die Beschaffenheit des Materials, die Statik. Sein schwebender Schreibtisch dient nicht der Show. Acht Jahre lang wird er von dort die Sanierung des Innenraums begleiten. Das Gerüst wandert in diesem Zeitraum.
Sobald ein Joch abgeschlossen ist, wird das nächste in Angriff genommen. Der Höhepunkt bahnt sich an, wenn das Gerüst unter der Kuppel aufgerichtet wird. Dann sind die Handwerker und Statiker dem Himmel am nächsten – sie werkeln dann noch weiter oben wie der Organist an der mächtigen Orgel des Josef Gabler mit ihren exakt 6666 Pfeifen.

Der Bayer wusste, wie man Frauen malt
Florian Wiener zeigt auf die Feinheiten dieser Kunst. „Das ist hochqualitativ“, bilanziert er, und weist auf die eleganten Frauengestalten, die Asam auf die Wände geworfen hat. Aus biblischen Frauen wie Maria, Anna, Elisabeth macht er höfische Damen mit feinem Lidstrich und edel-blassem Teint. Wiener entfährt der völlig untechnische Satz: „Es ist eine große Ehre, hier zu arbeiten.“
Asam (+1739) zählt zu den Großen der Illusionsmalerei, wie sie das Barock liebte. Ihre Tricks vergrößern die ohnehin mächtigen Raummaße der Kirche. Asam war Bayer, die meisten Werke malte er für die vielen geistlichen Auftraggeber in seiner Heimat. Nach Weingarten wurde er geholt, um ein detailliertes Bildprogramm auf etwa 1100 Quadratmeter zu werfen. Das war rein physisch eine gigantische Leistung, musste der Mann seine Arbeit doch im Liegen vollbringen.

Jeder Restaurator hinterließ Spuren
Vom Gerüst aus wird der Zustand von Putz und dekorativen Elementen schonungslos sichtbar. In einer dunklen Ecke des Gerüsts arbeitet gerade Anastasia Saispaer. Die Praktikantin will später Restauratorin werden. Sie zeigt auf eine Stelle, an der sich die Farbe in dicken Schichten ablöst. Hier ist Matthäi den Letzten.
Die Herausforderung liegt nicht in der materialmüden Bildern, die 250 Jahre alt sind. Noch härter sind jene Schäden, die durch rustikale Ausbesserungen des 20. Jahrhunderts entstanden sind, zum Beispiel bei Arbeiten in den vergangenen Sechziger Jahren. Wohlmeinende Kunstmaler trugen nach eigenem Gutdünken Farbe auf jene Stellen auf, die sie für schadhaft hielten. Oder sie zogen Konturen nach und vergröberten den Strich des Barock-Genies Assam. Da ist guter Rat teuer, räumt Florian Wiener ein.
Der Denkmalschutz redet mit
Es gehört nämlich zu den Eigentümlichkeiten im deutschen Denkmalschutz, dass er nicht nur das jeweilige Original schützt, sondern auch verändernde Eingriffe in den folgenden Jahrhunderten, von denen jedes auf seine Art und mit wechselndem Geschick an der Basilika fuhrwerkte. Schicht um Schicht haben Handwerker ihre nach-barocken Handschriften hinterlassen. Alles und jedes ist schützenswert. Das stellt die Restauratoren der Gegenwart vor schier unlösbare Aufgaben. Was gilt nun im Relativismus der Stile?
Thomas Pehle ist der Kontaktmann zwischen der Sanierern in der Basilika und dem Denkmalschutz. Seine Kollegen dort schätzt er sehr. Gleichzeitig stellen sie frohgemut ihre Maximalforderungen in den Raum, die nur mit höchstem Aufwand zu meistern sind.
Da ist zum Beispiel das Heizen. Im Winter ist der Innenraum so kalt wie der Stall von Bethlehem. Der Denkmalschutz stellt sich mit Erfolg gegen eine Heizung: Sie schade den Gemälden und dem Stuck, da aufsteigende Wärme nur die Nässe nach oben befördert.
Christen wollen es auch im Winter kuschelig haben
Deshalb wurde bereits vor Jahren in einem vergleichsweise kleinen Nebenraum eine Winterkirche eingerichtet, damit die Christen nicht frieren müssen. Die eigentliche Basilika steht derweil leer. Die Mönche, die in dem mächtigen Chor in Weingarten bis 2010 beteten und sangen, haben die Kälte noch mit Gleichmut hingenommen. Doch war das eine andere Zeit.
Vielleicht gibt es einen Kompromiss. Thomas Pehle berichtet davon: In die Polster auf den Kirchenbänken können Heizpunkte eingebaut werden. Diese würden nicht den ganzen Raum aufheizen, sondern wärmend direkt ins Gesäß fahren.

Das Gerüst – ein Kunstwerk fast wie von Christo
Vom menschlichen Körper bis zu den himmlischen Gestalten, die Meister Asam auf die Decke fabrizierte: Weingarten ist ein Gesamtkunstwerk, es bildet wohl das Kronjuwel in der glitzernden Kette der Oberschwäbischen Barockstraße.
Das Juwel soll immer glänzen, will sagen: Auch wenn an Wänden und Putz gearbeitet wird, muss der Raum für die Gemeinde weiterhin offenstehen. „Der laufende Betrieb soll nicht beeinträchtigt werden“, sagt Pehle leicht unterkühlt. Das heißt: Gottesdienste, Einzelbesuche und Führungen durch die Basilika sind weiterhin möglich.
Derweil steht das graue Gerüst wie ein umgedrehtes, eckiges U im Mittelschiff. In seiner Symmetrie und mit der eleganten gläsernen Verkleidung wirkt es wie ein vergessenes Kunstwerk aus einer Zeit vor der Zeit, als es noch viele Götter gab.