Gerade sieben Tage benötigte das Coronavirus, um unsere in Baden-Württemberg lebende Tante Maria zu töten. Im Pflegeheim bei Stuttgart, wo sie aufgrund ihrer Sturzgefahr seit drei Jahren untergebracht war, ergab ein Routinetest am 7. Januar die Infektions-Diagnose. Obwohl das Heim angeblich alle Vorsichtsmaßnahmen ergriffen und Besuche seit langem strikt untersagt hatte, muss einer der Pfleger das Virus eingeschleppt haben.

USA-Korrespondent Friedemann Diederichs beklagt den Corona-Tod seiner Tante Maria. Für Menschen, die mutwillig die Corona-Regeln ...
USA-Korrespondent Friedemann Diederichs beklagt den Corona-Tod seiner Tante Maria. Für Menschen, die mutwillig die Corona-Regeln missachten, hat er kein Verständnis. | Bild: Friedemann Diederichs

Es war – verglichen mit anderen schweren Covid-19-Fällen und der oft notwendigen künstlichen Beatmung – ein gnädiger Tod, so wie es uns die Heimleitung am Telefon Mitte Januar schilderte. Maria, 87 Jahre alt und noch nicht geimpft, fühlte sich am Vortag schlapp. Aber hatte keine Atemprobleme oder Fieber. Am nächsten Morgen fanden sie die Schwestern leblos im Bett, der Körper noch warm.

Maria war ein typisches Kind der Kriegsgeneration. Sie überlebte Bomben und die Flucht aus Schlesien. Sie ließ sich mit ihrem Mann nahe Stuttgart nieder, in einem kleinen Ort nahe von Weinbergen, in dem jeder jeden kennt und grüßt. In den letzten Jahren lebte sie allein, bis sie die eigene Wohnung aufgeben musste und ins Heim zog. Aber heißt das auch, dass sie damit ihr Recht aufs Weiterleben verwirkte?

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Dank der ausgezeichneten medizinischen Betreuung in Deutschland gibt es immer mehr 100-Jährige im Land – und auch Menschen, die diese Schwelle überschreiten. Maria hatte keine schwerwiegenden Vorerkrankungen wie Herzschwäche oder ein Tumorleiden. Nur war der Blutdruck etwas niedrig, was gelegentlich zu Schwindel führte und Stürzen, die gottlob glimpflich ausgingen.

Sie hätte noch Jahre leben können

Sie hätte also, wäre sie nicht dem Virus zum Opfer gefallen, durchaus noch jahrelang weiterleben können. Jahre, in denen sie sich über Besuche oder Telefonate aus den so fernen USA hätte freuen können. Oder über Kartenspiele-Nachmittage mit ihren Freunden im Heim. Oder über ein Stück Torte aus der Konditorei. Die kleinen Dinge im Leben eben.

Warum schildere ich hier das Schicksal unserer Tante Maria, das außer uns Angehörigen anderen gleichgültig sein dürfte? Weil es mich so unendlich wütend macht, wenn ich Worte höre, mit denen die Ernsthaftigkeit der Bedrohung verniedlicht wird. Worte wie diese: Schaut euch doch die Statistik an! Alles halb so schlimm! Es sterben doch vor allem die über 65-Jährigen! Wir dürfen unser Leben nicht nach dem Virus ausrichten!

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Sätze wie diese werden, in Deutschland wie auch den USA, immer wieder von jenen propagiert, die ihre persönliche Freiheit partout über alles stellen – und deshalb auch dort, wo es keine Maskenpflicht gibt, auf einen solchen Schutz wann immer möglich verzichten.

Maria ist alleine gestorben

Unsere Tante Maria ist, was im Covid-Zeitalter zum grausamen Alltag gehört, alleine gestorben. Niemand hat ihr die Hand halten können – auch weil der Tod überraschend kam. Doch das ist die Ausnahme. Andere Menschen kämpfen tage- oder wochenlang mit wachsender Verzweiflung um Luft. Getrennt von jenen, die ihnen etwas bedeuten. Bis zum Abschied per Video-Chat.

Menschen sind keine Wegwerf-Produkte

Ja: Unsere Tante Maria war alt, auch nach heutigen Maßstäben der Langlebigkeit. Aber sie war kein Wegwerf-Produkt einer in Teilen eigensüchtigen und moralisch unter einer degenerativen Krankheit leidenden Gesellschaft, in der manche heute denken: Von einem bestimmten Alter aufwärts sind alle Menschen irgendwie verzichtbar. Hauptsache, wir können die Empfehlung zum Maskentragen und Distanzhalten ignorieren – und im Partykeller weiter feiern. The show must go on. Es lebe die Freiheit, denn vorzugsweise sterben ja die Alten. Wie unsere Tante Maria.