Weil es an Nachwuchs für die Lehrerzimmer mangelt und Jahr für Jahr Tausende Stellen an den Schulen unbesetzt bleiben, dreht das Land an allen möglichen Stellschrauben.
Dennoch macht Baden-Württembergs Kultusministerin Theresa Schopper den bereits stark belasteten Schulen nur wenig Hoffnung auf baldig bessere Zeiten.
Es sei schon jetzt absehbar, dass die freien Stellen im Sommer nicht durch fertig ausgebildete Referendare ersetzt werden könnten, sagte die Grünen-Ministerin mit Blick auf die Statistiken. Das heizt die Debatte über sogenannte Quereinsteiger, also Lehrer ohne klassische Ausbildung, wieder an.
Ministerin Schopper setzt auf freiwillige Mehrarbeit
„Es gibt ein Delta“, sagte Schopper der „Südwest Presse“ (Montag). Es müssten rund 5500 Stellen neu besetzt werden, es würden aber nur 4100 Referendare im Sommer erwartet, zudem seien im Schnitt pro Jahr rund 8000 Schwangere zu ersetzen.
Das liege auch daran, dass Baden-Württemberg seit 2010 rund 50.000 junge Lehrkräfte eingestellt habe, darunter sehr viele Frauen. „Da stehen jetzt oft Familienphasen an, viele nehmen Elternzeit und arbeiten in Teilzeit“, sagte Schopper. Um die Lücken zu füllen, müsse das Land aus dem Bestand schöpfen.
Die Ministerin setzt auf freiwillige Mehrarbeit, Pensionäre und Quereinsteiger. Nach ihrer Einschätzung wird die Unterrichtsversorgung „sich im selben Korridor wie zuletzt bewegen“.
„Viele Bewerber wollen nicht nach Waldshut oder auf die Schwäbische Alb“
Mangelregionen werde es aber immer geben. „Viele Bewerber wollen nicht nach Waldshut oder auf die Schwäbische Alb. Sie nehmen lieber eine befristete Vertretungsstelle in Freiburg oder Heidelberg als einen Beamtenposten, für den sie umziehen müssten.“ Selbst der Raum Stuttgart sei inzwischen eine Mangelregion.
Sorgen machen sich auch die Schulleitungen. Nach einer neuen Studie fürchten vier von fünf Schulleitungen (81 Prozent), künftig stark oder sehr stark vom Mangel an Personal betroffen zu sein.
An fast jeder zweiten baden-württembergischen Schule ist zum Beginn des laufenden Schuljahres bereits mindestens eine Stelle nicht besetzt gewesen, an etwa jeder vierten sind es sogar zwei oder mehr volle Stellen gewesen.
Das geht aus einer neuen Studie hervor, für die das Sozialforschungsinstitut forsa im Auftrag des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) bundesweit rund 1300 Schulleiterinnen und Schulleiter befragt hat – 253 davon aus Baden-Württemberg.
Zahl der Quereinsteiger deutlich gestiegen
„Schulleitungen haben eine deutliche Angst, dass der Lehrkräftemangel weiter zunimmt“, sagte der VBE-Bundes- und Landesvorsitzende Gerhard Brand. Außerdem sei die Zahl von Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern deutlich gestiegen, also von Menschen ohne klassische Lehramtsqualifikation.
„Waren es 2018 noch 18 Prozent, so hat sich dieser Wert bis zum vergangenen Jahr mehr als verdoppelt auf 39 Prozent“, sagte Brand. „Diese Entwicklung führt zu einer Entprofessionalisierung und damit einher geht ein sich fortsetzender Verlust an Qualität in der Bildung.“
Das Land werde aber auch nicht daran vorbeikommen, Quer- oder Seiteneinsteiger einzusetzen. „Wenn man es richtig angeht, können Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger helfen, den Lehrkräftemangel zu lindern und die Unterrichtsversorgung zu verbessern“, sagte Brand. Ohne hohe Hürden gehe es aber nicht.
Außerdem müssten Grundschullehrkräfte und Bestandslehrkräfte an Haupt- und Werkrealschulen besser bezahlt, mehr Studienplätze angeboten und der Nachwuchs besser betreut werden, forderte Brand. Kontraproduktiv seien höhere Deputate, größere Lerngruppen und schlechtere Chancen auf die Teilzeit. „Der Karren steckt tief in der Grütze“, sagte Brand.
Schoppper verweist auf Seiteneinstieg
Auch Schopper verwies auf den Seiteneinstieg: „Wir schauen, welche Wechsler aus anderen Branchen wir integrieren, welche ausländischen Abschlüsse wir akzeptieren und wie wir berufsbegleitend qualifizieren können.“ Den einen Königsweg gebe es aber nicht.
Die Bildungsgewerkschaft GEW sieht weitere Qualifizierungsangebote für Menschen ohne Lehramtsausbildung als überfällig an. „Wir sind an den Schulen auf diese Menschen angewiesen, da es die Landesregierung nicht geschafft hat, genug Lehrerinnen und Lehrer auszubilden“, sagte die GEW-Landesvorsitzende Monika Stein und warnte: „Wir dürfen die Qualität des Unterrichts nicht vergessen.“ Quereinsteiger bräuchten berufsbegleitend und von Anfang an hochwertige und intensive Fortbildungen. „Mit einer Schnellbleiche ist es nicht getan“, sagte Stein in Freiburg.
Auch für die Unternehmer Baden-Württemberg (UBW) ist der Seiteneinstieg in den Lehrerberuf eine Stellschraube, sofern die Qualitätsstandards gewahrt blieben. „Quereinsteigende können eine Bereicherung sein, zumal mit Erfahrungen aus der Berufswelt“, sagte der UBW-Geschäftsführer für Politik, Bildung und Arbeitsmarkt, Stefan Küpper. Ebenfalls wichtig sei es, über eine Lebensarbeitszeit, die Anzahl der Unterrichtsstunden bei Teilzeitlehrkräften und eine gezielte Berufsorientierungs-Offensive nachzudenken. (dpa)