James trägt seine Nummer auf einer Plastikmarke am Ohr. Sie endet auf 007. Dieser Gag muss sein. Ansonsten hat der Rinderbulle wenig mit dem Top-Geheimagenten gemein, außer sein Überleben nach einem anstrengenden Job. Dass er noch am Leben ist, verdankt er nicht wie Bond sich selbst, sondern Menschen wie Miriam Stump (46).

Jetzt steht die Frau aus Liggeringen bei Radolfzell neben James‘ gewaltigem Schädel, krault seine weißen Locken und kommt ins Erzählen. Und wie das bei Tierfreunden so ist, erzählt sie ausführlich. Gefühle für Tiere – und auch für Nutztiere wie sie in deutschen Fleischfabriken stehen – hat Miriam Stump zweifelsfrei. Sonst würde sie keine Rinder vor dem Schlachthof retten.

Ein Schlachthof als pädagogische Anstalt

Einen Schlachthof, „den sollte jeder mal von innen gesehen haben“, sagt die verheiratete Mutter von zwei Söhnen (11 und 26). Dann, meint sie, würde mancher sein Fleisch und seine Wurst bewusster essen. Und sich vielleicht fragen, ob er seinen Fleischkonsum in bisherigem Umfang beibehalten wolle.

Miriam Stumps kleines Rinder-Pflegeheim auf dem Erlenhof bei Wahlwies – wo Rosi, Ronja, Romika und Ylva gemütlich ihr Heu mampfen – ist ein lebender Denkanstoß. Er erinnert daran, dass es der Mensch bei Rindern mit intelligenten Lebewesen zu tun hat, die familiäre und freundschaftliche Gefühle für ihre Stallgefährten haben und sich um ihre Kinderkälber sorgen.

Stump spricht von „Wertschätzung“, die diese Tiere verdient hätten. Immerhin haben sie jahrelang für die Menschen geschuftet, pro Jahr in Kalb zur Welt gebracht, damit die Milch in Strömen in die Melkanlage fließt. Am Ende ist dann ihr Tod der bittere Lohn.

In Überlingen steht der Tierarzt jederzeit bereit

Das will Miriam Stump zumindest für einige ausgewählte Tiere auf dem Hof nicht akzeptieren. Ein halbes Dutzend Pensionäre hat sie in Obhut. Bei Beschwerden kommt Tierarzt Gottlieb Scherrer aus Überlingen mit Medikamenten. Für alles hat Stump einen Spenderkreis von etwa 20 Leuten aufgebaut, denn nach dem Kauf einer ausgemusterten Kuh kosten Unterkunft und Verpflegung rund 100 Euro im Monat.

Die Freunde pensionierter Milchkühe und verrenteter Bullen auf dem Erlenhof. Von links: Miriam Stump mit ihrem Sohn Oscar und ihrem Mann ...
Die Freunde pensionierter Milchkühe und verrenteter Bullen auf dem Erlenhof. Von links: Miriam Stump mit ihrem Sohn Oscar und ihrem Mann Thomas Schmidhuber, Oliver Rascher, der künftig den benachbarten Neuhof des Pestalozzi-Kinderdorfs leitet, und Mitarbeiter Benjamin Eggesberger. | Bild: Susanne Michel

Dafür führt das Pestalozzi-Kinderdorf in Wahlwies – Träger des Erlenhofs – eine Kostenstelle. Sie heißt „Rosine & Friends“ und ist nach der Erstbewohnerin des Veteranenheims benannt, die 2024 in kuh-biblischen Alter von 19 Jahren eingeschläfert werden musste.

Kinder haben oft keine Ahnung davon, woher ihr Essen kommt

Früher ging Miriam Stump zu Demos vor Schlachthöfe, heute arbeitet sie im Sozialdienst am Stockacher Krankenhaus, ist leiser aber nicht weniger engagiert. Wenn sie etwas zu sagen hätte im Stuttgarter Kultusministerium, würde sie Bauernhof- und Stallbesuche ab dem Grundschulalter zur Pflicht machen. „Die Kinder wissen gar nicht mehr, woher das kommt, was sie essen“, sagt sie. Das Bewusstsein für die Herkunft von Lebensmitteln sei allgemein schwach, bei Kindern völlig unterentwickelt. Also raus in die Natur!

Es wundert nicht, dass Stump für ihre Familie nur vegan kocht. Aber sie ist keine Ideologin, sie ärgert sich, wenn es über Essensfragen zu Kleinkriegen kommt. „Da geht es immer gegeneinander“, kritisiert sie den Lagerkampf zwischen den Denkschulen. Ihr geht es um das Handeln an der Theke. „Jeder Einkaufszettel“, sagt sie, sei auch ein Stimmzettel für die eine oder die andere Art von Lebensmittelproduktion.

Das ist ein Wort, dem sie ausweicht, vor allem wenn ein Hof wieder die Tierwürde missachtet hat, wie jüngst im Allgäu. Daher steht für sie fest, dass die Kontrolle von Höfen auf Missstände viel öfter stattfinden muss. Stattdessen werde hier penibel geschaut, ob die Ohrmarken alle vollständig sind. 007-Bulle James nimmt das gelassen.

Wer das Projekt als Spender unterstützen möchte:

Pestalozzi Kinderdorf
Rosine & Friends
Kostenstelle -161-
Bankverbindung: DE 66¦6925¦0035¦0006¦0076¦94