Sind Sie kommunikativ, positiv denkend, offen für neue Ideen und haben Spaß an Traditionen? Haben Sie Verständnis für die Belange einer aktiven und vielfältigen Dorfgemeinschaft? Dann ist vielleicht die Stelle des Bürgermeisters in Herdwangen-Schönach etwas für Sie.

Unterzeile: „Gestalten. Entscheiden. Umsetzen“

Am 5. März wird in der 3500-Einwohner-Gemeinde im Landkreis Sigmaringen ein neuer Bürgermeister gewählt. Eigentlich nichts Besonderes, das kommt in jeder Gemeinde mindestens alle acht Jahre vor. Besonders ist an dieser Wahl vor allem eines: Ein Kreis von Bürgern hat sich zusammengetan, um selbst nach geeigneten Kandidaten zu suchen. Das Profil ihres Wunschkandidaten haben sie in einer Stellenanzeige formuliert, die auch im SÜDKURIER kürzlich erschienen ist. Gesucht: Bürgermeister (m/w/d), Unterzeile: „Gestalten. Entscheiden. Umsetzen“.

Fünf Vertreter der Gruppe sitzen an einem grauen Januar-Nachmittag in den Räumlichkeiten der Werbeagentur Kreativ Kompanie im Ortsteil Ebratsweiler. Vier gestandene Männer und eine ebenso gestandene Frau. Sie sind Schreinermeister, Elektrotechnikermeister, Versicherungsmakler und Geschäftsführerin, haben eigene Betriebe. Alles Macher – und einen Macher, gerne auch eine Macherin, suchen sie auch.

Anderes Profil durchaus erwünscht

„Wir brauchen einen Gestalter, keinen Verwalter“, sagt Wolfgang Neuburger, 52, Schreinermeister mit eigenem Küchenstudio. „Einen, der Raum für Neues schaffen will“, ergänzt Harald Geng, ebenfalls 52 und Schreinermeister mit eigener Schreinerei und Zimmerei. Dass dies auch ein Verwaltungsexperte sein kann, ist nicht ausgeschlossen. Aber der Kandidat oder die Kandidatin darf eben gerne auch ein anderes Profil haben. „Das Ziel unserer Initiative ist, dass wir das Spektrum vergrößern“, sagt Michael Möhrle, 37, Elektrotechnikermeister mit eigenem Betrieb.

Darum geht‘s: Das Rathaus in Herdwangen, von dem aus die Gemeinde verwaltet – und gestaltet – wird.
Darum geht‘s: Das Rathaus in Herdwangen, von dem aus die Gemeinde verwaltet – und gestaltet – wird. | Bild: Angelika Wohlfrom

Üblicherweise werden Bürgermeisterstellen im Staatsanzeiger ausgeschrieben. Aber dort sieht sie nur, wer konkret auf der Suche ist, oder schon in der Verwaltung tätig. Die Fünf aber möchten ihre Gemeinde auch anderen schmackhaft machen. „Es sollen auch Leute angesprochen werden, die bislang noch gar nicht auf die Idee gekommen sind, Bürgermeister zu werden“, sagt Winfried Wetzel, 45, Versicherungsmakler.

Bislang gibt es nur eine Bewerbung

Die Fünf, die im Besprechungsraum von Melanie Wetzels (34) Werbeagentur zusammensitzen, sind der harte Kern der Bürgermeister-Sucher, nicht alle konnten das Treffen mitten am Arbeitstag einrichten. Die Idee entstand, nachdem bekannt wurde, dass Rathauschef Ralph Gerster nach Pfullendorf wechseln würde. Inzwischen hat ein Kandidat, Ulrich Werner, Jurist aus Sulzbach an der Murr, seine Bewerbung eingereicht. Ein anderer, nicht namentlich bekannter Kandidat hat seine Bewerbung wieder zurückgezogen.

Bei dieser einen Bewerbung muss es bis zum Ende der Frist am 6. Februar freilich nicht bleiben. Auch bei der letzten Wahl hätten Kandidaten erst wenige Tage zuvor ihren Hut in den Ring geworfen, berichtet Kämmerin Andrea Rothmund. Aussichtsreiche Kandidaten checken häufig die Lage ab und bewerben sich erst, wenn klar ist, dass ihre Chancen gut stehen. Aber Garantien gibt es nicht.

Auch Tengen hofft auf mehr Bewerber

Immer wieder sind die Kandidaten dünn gesät. Auch in der Hegau-Gemeinde Tengen hat sich bislang nur ein Kandidat um die Nachfolge von Marian Schreier beworben, Gemeinderäte und Verwaltung hoffen auf mehr. Es werde landesweit immer schwerer, Bewerber zu finden, sagte Schreier kürzlich dem SÜDKURIER. In Wutach im Schwarzwald wagte sich der erste Bewerber erst anderthalb Wochen vor Fristende aus der Deckung.

Lother Riebsamen
Lother Riebsamen | Bild: Sandra Häusler

„Ein bisschen beunruhigend“ findet Lothar Riebsamen, ehemaliger CDU-Bundestagsabgeordneter und zuvor Bürgermeister von Herdwangen-Schönach, den Trend. „Als ich weggegangen bin, war das noch kein Problem. Da gab es zwei gute Kandidaten und zwei weitere Interessierte.“ Seiner Beobachtung nach ist die Bereitschaft zum Ortswechsel nicht mehr so groß, weil die Ehepartner oft einen guten Job hätten. „Bei mir war damals noch klar, dass meine Frau das mitmacht.“

16 Ein-Bewerber-Wahlen

Der Ulmer Politikwissenschaftler Vinzenz Huzel hat 2019 in einer Studie „ernst zu nehmende Tendenzen eines Bewerbermangels“ festgestellt. Bei 1153 Wahlen von 2008 bis 2015, die er ausgewertet hat, traten zwar im Schnitt 2,3 Bewerber an. Bei kleinen Kommunen herrsche aber echter Bewerbermangel. Zudem sorgen so genannte Spaßkandidaten landauf, landab beim Verband Baden-Württembergischer Bürgermeister für Unmut.

Beim Gemeindetag Baden-Württemberg sieht man die Gründe für den Bewerbermangel in der zeitlichen Belastung, aber auch der juristischen Verantwortung: Der Gemeindetag verweist auf das Badeseeurteil von 2017, nach dem Bürgermeister in Haftung genommen werden, gibt es an einer Badestelle keine Aufsicht. Der Städtetag im Land hat bei einer Untersuchung von 123 Gemeinden zwischen 2008 und 2016 16 Ein-Bewerber-Wahlen festgestellt.

Bürger sollen eine echte Wahl haben

Die fünf Macher von Herdwangen-Schönach wollen jedenfalls kein Risiko eingehen. Sie hätten keine Angst, aber die Befürchtung, dass man keine Wahl habe, sagt Geng: „Die Bürger sollen die größtmögliche Auswahl haben.“ Die Erweiterung des demokratischen Spektrums ist ihnen auch etwas wert, wie viel genau wollen sie nicht sagen, aber Stellenanzeigen gibt es nicht umsonst.

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„Es geht darum, dass man sich heutzutage um die Bewerber bewerben muss – vor 15 Jahren war‘s noch umgekehrt“, weiß Holger Buchholz. Der Geschäftsführer einer Personalberatungsfirma hat mit der Gruppe die Stellenanzeigen entworfen. Normalerweise sucht Buchholz für seine Kunden aus dem Mittelstand Geschäftsführer und Spezialisten. Die Stelle des Rathauschefs ist die Ungewöhnlichste, um die er sich derzeit bemüht.

Mit fünf Interessenten gesprochen

Wobei die Gruppe den Wählern keineswegs vorgreifen will. Sie betreiben kein Bürgermeister-Casting und wollen keinen Kandidaten coachen. „Wir schicken keinen ins Rennen“, sagt Geng. Um niemanden in den Vordergrund zu rücken, verraten sie nicht, mit wem sie bereits Kontakt hatten. Nur so viel erzählt Buchholz: Mit fünf Personen habe er inzwischen gesprochen. „Dafür dass wir niemanden aktiv ansprechen, ist das ganz schön viel.“

Dass ihre Gemeinde einiges zu bieten hat, darüber sind sich die Fünf selbstredend einig: An Infrastruktur ist einiges vorhanden – darunter drei Kindergärten, zwei Grundschulen, ein Dorfladen. 14 Kilometer nördlich von Überlingen sei das Wohnen noch einigermaßen erschwinglich. Es gebe „ganz tolle Arbeitgeber“, meinen die Fünf und schmunzeln, drei Gewerbegebiete, eine gute Busanbindung. Wohnen und arbeiten sei hier vor Ort möglich. Und dann ist da noch die Vereinskultur: Musik, Fußball, Tennis, Narren, Schützen. „Es ist für jeden was dabei“, meint Möhrle.

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Was den Fünfen fehlt, ist ein Raum für gastliche Geselligkeit. Zwei Wirtshäuser sind seit Jahren dicht, die Gebäude stehen leer. Hier, stellen sie sich vor, sollte die Gemeinde aktiv werden. Beim Wohnen im Alter sehen sie Nachholbedarf. Außerdem müssten neue Gewerbe- und Bauflächen geschaffen werden, damit die Zukunft ebenso rosig wird wie die Gegenwart. Das Geld dazu wäre nach ihrer Meinung vorhanden.

Tatsächlich bestätigt Kämmerin Rothmund, dass die Gemeinde schuldenfrei ist. „Die Finanzlage ist gut“, sagt Rothmund. Aber sie werde 2023 voraussichtlich wie bei allen Gemeinden aufgrund der hohen Energiepreise schwieriger werden.

Kann das ein Verwaltungs-Neuling überhaupt?

Herdwangens bisheriger Bürgermeister Gerster erledigte auch Verwaltungsarbeit, wie die Bauleitplanung, die Abwicklung der Grundstücksgeschäfte, Aufgaben im Abwasserbereich und er begleitete Bauprojekte. Die Frage ist: Wie gut käme ein Quereinsteiger damit klar?

Ex-Bürgermeister Riebsamen hält es gerade in kleineren Gemeinden für nötig, dass der Rathauschef auch Sacharbeit übernimmt. Kämmerin Rothmund pflichtet bei: „Bei uns hat der Bürgermeister nicht nur repräsentative Aufgaben. Er muss nicht nur die politischen Entscheidungen treffen.“ Aber das könne man schon lernen.

Bleibt noch eine Frage: Warum tritt eigentlich nicht einer der fünf Macher selbst an für den Macher-Job im Rathaus? Die Fünf winken ab. „Von uns sucht keiner eine neue Herausforderung“, erklärt Neuburger. Aber andere hoffentlich.