Kenner der Tuner- und Poserszene sprechen davon, dass sich die Stadt Singen ein Eigentor geschossen haben könnte. Wegen des am Mittwoch verhängten Verbots von Gruppentreffen der Szene könnte es zu Solidaritätsbekundungen von Autoliebhabern aus Augsburg, Ingolstadt und Norddeutschland kommen, die nun zur Unterstützung nach Singen kommen wollen.

„Ich hab alle gebeten, die Füße still zu halten und gebe mein Bestes, dass es dieses und nächstes Wochenende in Singen, Stockach, Überlingen und Konstanz ruhig bleibt. Ich möchte beweisen, dass es klappt“, sagt das Überlinger Szenemitglied Mateusz Ostrozny. Die Schweizer Szeneführer hätten bereits eingewilligt und ihre Mitglieder mit einem Aufruf in sozialen Netzwerken informiert: „Das sowie nächst Weekend gits KEI Treffe!“.

Information der Schweizer Tuner- und Poserszene, dass es an den nächsten beiden Wochenenden keine Treffen gibt.
Information der Schweizer Tuner- und Poserszene, dass es an den nächsten beiden Wochenenden keine Treffen gibt. | Bild: privat

Aus einschlägigen Chatgruppen hat der SÜDKURIER jedoch erfahren, dass das Verbot der Stadt umgangen werden könnte, indem sich die Szene in Singen unter der Woche trifft oder am Freitag vor 20 Uhr. Außerdem gibt es – zum Teil unter dem Motto „FreeSingen“ oder „FreeBodensee“ – Ideen, sich das unveränderte Fahrzeug von Mama oder Papa auszuborgen oder mit alternativen Verkehrsmitteln an Wochenenden in großer Zahl präsent zu sein: „Bald auch in Singen – seid alle dabei!! Aral Kfc aka Nordschleife vom Süden aka Südschleife – Was erlaubt ist: Fahrrad, E-Scooter, E-Bikes, Rollstuhl, Rollator, Dreirad, Bobbycar (nur getunt bitte sonst wirds peinlich“, heißt es in einer neuen, wohl nicht ganz ernst gemeinten Tuner-Gruppe. In einem anderen Chat droht ein südbadisches Szenemitglied dagegen: „Wenn alles versagt und wir ein Jahr rummachen, dann stellen wir uns alle in Singen auf und ziehen Burnouts (durchdrehende Reifen, Anm.), bis die ganze Stadt im Qualm versinkt.“

„Lebensgefährlich, was da läuft“

Für die Singener Bürgermeisterin Ute Seifried ist das Verbot gegen die Szene eine absolute Notwendigkeit: „Wir hatten schon so große Probleme in Singen, zum Teil ist es lebensgefährlich, was da läuft – auch für andere Verkehrsteilnehmer. Ich war selbst an den Schauplätzen unterwegs und die Stimmung ist brutal aggressiv geworden“, sagt Seifried, die in der Stadt für die öffentliche Ordnung zuständig ist.

Sehen Sie hier unsere Video-Reportage aus Singen:
Auto-Poser, Tuner und die Behörden: Der Streit um die Autoszene im Kreis Konstanz Video: René Laglstorfer

Würde die Szene mit dem Fahrrad anreisen und sich treffen, habe sie „überhaupt kein Problem“ damit, sofern sich die Teilnehmer an die Verkehrsregeln halten. „Jeder, der sich ordnungsgemäß verhält und andere nicht behindert, ist in Singen willkommen. Von mir aus auch mit dem Bobbycar“, sagt die Bürgermeisterin mit einem Schmunzeln.

Ute Seifried, Sozialbürgermeisterin Singen
Ute Seifried, Sozialbürgermeisterin Singen | Bild: Kirsten Astor

Auch die Polizei, die sich bei ihren Vorbereitungen auf das Wochenende nicht in die Karten blicken lassen möchte, habe nichts gegen Tuner auf alternativen Verkehrsmitteln. „Wenn die Poserszene mit dem Fahrrad nach Singen kommt, hätte sicher niemand etwas dagegen, zumal es ja bei Fahrrädern mittlerweile ebenfalls sehr anschauliche Exponate gibt. Es wäre mit Sicherheit ein absolutes Novum der Szene“, sagt Polizei-Sprecher Uwe Vincon mit einem Augenzwinkern.

Mamas oder Papas Auto als Protestalternative müsse dagegen zwangsläufig nicht leiser, schwächer oder optisch unattraktiver sein. „Es kommt bei Autos im öffentlichen Straßenverkehr ja grundsätzlich zuerst auf den Fahrer oder Fahrerin hinterm Steuer und erst dann auf Leistung und Optik des Fahrzeugs an. Selbst mit einem Kleinwagen kann man sich noch völlig inakzeptabel im Verkehr verhalten“, sagt Vincon.

„Alle in die gleiche Schublade geschmissen“

Beide Seiten gut verstehen kann die regelmäßige Szeneteilnehmerin Isabella Fuchs aus Steißlingen. Sie sieht in der Vorgehensweise der Stadt den falschen Weg. „Ich habe vier Kinder und suche immer Kompromisslösungen. Aber was die Stadt jetzt vorhat, hat mit Kompromiss nichts zu tun, das treibt die Leute nur in die umliegenden Dörfer und macht es für die Anwohner viel unangenehmer“, sagt Fuchs, die mit ihrem Mann in Radolfzell ein Abschleppunternehmen führt.

Sie selbst sei Freitagabends gerne mit ihrem veränderten Auto mit „schönen Felgen“ an der Aral-Tankstelle in Singen und unterhalte sich mit den Leuten. „Aber deswegen bin ich kein böser Tuner oder Raser oder belästige die Stadt. Wir werden alle in die gleiche Schublade geschmissen. Es würde mehr Sinn machen gegen die einzelnen schwarzen Schafe vorzugehen“, sagt die 52-Jährige.

Die Steißlingerin Isabella Fuchs nimmt regelmäßig an den Tuning-Treffen in Singen teil und führt ein Abschleppunternehmen in Radolfzell
Die Steißlingerin Isabella Fuchs nimmt regelmäßig an den Tuning-Treffen in Singen teil und führt ein Abschleppunternehmen in Radolfzell | Bild: privat

Einen Platzverweis würde sie nur wegen ihrer „Altersklasse“ nicht erhalten. „Nur die Jungen werden weggeschickt, aber wir waren alle einmal jung. Durch die extremen Absperrungen sind die Tuner in die Wohngebiete getrieben worden. Ich versteh‘ die Anwohner und weiß wie laut das ist, wenn die Schweizer Richtung Autobahn abziehen, das dröhnt schon richtig rein“, sagt Fuchs. Die geplanten Beschlagnahmungen würden nur die „Kleinen“ treffen, die sich das Auto selbst hergerichtet hätten. „Aber wer einen Mercedes AMG geleast hat, wie das viele Schweizer machen, gibt das Auto einfach wieder zurück.“

Dabei gebe es alternative Orte, die sich für ein Tuner- und Posertreffen eignen würden, beispielsweise eine kleine Rennstrecke außerhalb von Steißlingen mit großen Parkplätzen. „Die würden sogar Eintritt zahlen, aber auch das wird nicht erlaubt“, sagt die Unternehmerin.

Massive Kontrollen in Konstanz geplant

Nachdem die Tuner- und Poserszene in Singen bereits am vergangenen Wochenende nach Konstanz ausgewichen war, bereiten sich dort die Behörden intensiv auf eine neuerliche Präsenz von hochmotorisierten Fahrzeugen vor. „Die Polizei wird an den nächsten Wochenenden sehr, sehr gut aufgestellt sein und Bereitschaftsstärke erhalten. Wir stehen auch in Kontakt mit den Schweizer Behörden und der Grenzwacht. Was am vergangenen Samstag geschehen ist, wird so nicht mehr passieren“, sagt Frank Conze, Leiter der Abteilung Verkehrswesen bei der Stadt Konstanz.

Frank Conze, Abteilungsleiter Verkehrswesen der Stadt Konstanz.
Frank Conze, Abteilungsleiter Verkehrswesen der Stadt Konstanz. | Bild: Timm Lechler

Ein Viertel der Personen aus der Tuner- und Poserszene vom vergangenen Wochenende sei den Behörden namentlich bekannt. Manche von ihnen hätten sogar in Gärten uriniert und sich dann auch noch unverschämt verhalten, sagt Conze. Massive Kontrollen würden an den nächsten Wochenenden in Konstanz durchgeführt und bei Wiederholungstätern erhöhte Bußgelder eingehoben. „Was wir aber nicht machen können, ist, alle Straßen und Parkplätze in Konstanz abriegeln“, sagt der Konstanzer Abteilungsleiter.

Konstanz: Glücksfall enge Straßen?

Laut Einschätzung der Behörden werde sich die Szene ohnehin nicht dauerhaft in Konstanz niederlassen, da die Stadt für Tuner und Poser nicht attraktiv sei. „Wir haben keine riesenbreiten Straßen wie in Singen. Die engen Straßen sind endlich einmal ein Vorteil für unsere Stadt“, sagt der Leiter der Abteilung Verkehrswesen.

Eine Verbot gegen Szenetreffen, wie das Singen gemacht habe, könne die Stadt Konstanz noch nicht erlassen. Dafür bräuchte es einen „Leidensdruck auf hohem Singener Niveau. Das wäre jetzt noch unverhältnismäßig“, sagt Conze. Oberbürgermeister Uli Burchardt ergänzt: „In Konstanz kann man mit guten Lastenrädern oder coolen Fahrrädern posen – aber nicht mit PS-Boliden. Dafür gibt es bei uns kein Publikum.“