Dass die Geschichte, obwohl mehr als 90 Jahre alt und oft erzählt, immer noch fasziniert, wundert die beiden Frauen nicht. „Da ist das Geheimnis“, sagt Walburg Friebe. „Und Mord und Totschlag.“ Ihre Tochter Karoline Negraßus hingegen sieht das Auswanderer-Motiv als Treibstoff des Interesses. Viele träumen davon, neu anzufangen. Frei zu sein. Autonom zu leben. Auf einer Insel weit draußen im Ozean. Und so kann es enden. Mit Mord und Totschlag.

Ein nie gelöster wahrer Kriminalfall

Das Geheimnis: Was geschah im März 1934 auf der Galápagos-Insel Floreana mit der exzentrischen, äußerst egomanischen angeblichen Baronin Eloise Wagner de Bousquet und ihrem Liebhaber Robert Philippson? Wurden sie ermordet, die Leichen den Haien vorgeworfen? Höchstwahrscheinlich. Ermordet von wem? Verdächtig ist bis heute die gesamte Aussteiger-Kolonie von Floreana, fünf Erwachsene also. Gelöst wurde der Kriminalfall nie.

„Eden“, die neue Kino-Version der sogenannten Galápagos-Affäre – immerhin von Hollywood-Starregisseur Ron Howard und mit prominenter Besetzung –, haben Walburg Friebe und ihre Tochter noch nicht gesehen. Eigentlich wollten sie sofort, als der Film anlief, ins Kino, erzählen sie bei einer Tasse Kaffee an einem sonnigen Vormittag in Meersburg.

Irgendetwas hat sie dann zaudern lassen und schließlich abgeschreckt. „Eden“ wurde auf irgendwann verschoben. Fast unerträglich wäre es, wenn die Darstellung Dore Strauchs krass abweichen sollte von dem freundlichen Bild, das sie von ihr habe, erklärt Walburg Friebe.

Karoline Negraßus und ihre Mutter Walburg Friebe am Bodenseeufer. Die Geschichte ihrer Tante und Großtante Dore Strauch wird derzeit im ...
Karoline Negraßus und ihre Mutter Walburg Friebe am Bodenseeufer. Die Geschichte ihrer Tante und Großtante Dore Strauch wird derzeit im Kinofilm „Eden“ erzählt. | Bild: privat

Die Frau, die Dr. Ritter sterben lässt

Für sie war Dore Strauch eine warmherzige, liebevolle und ehrliche Frau, so wurde in der Familie von ihr erzählt. Im Aussteiger-Krimi von Galápagos hingegen ist Dore Strauch die Frau, die Dr. Friedrich Ritter, ihren Insel-Guru, qualvoll sterben lässt, nachdem sie ihn in Mordabsicht mit verdorbenem Hühnerfleisch bekocht hat. Dore Strauch war Walburg Friebes Tante und Karoline Negraßus‘ Großtante.

Für Friedrich Ritter verließ Dore Strauch im Jahr 1929 ihren Ehemann, den Gymnasiallehrer Körwin, und ihre Familie in Berlin. Sie verließ Deutschland und die Behaglichkeiten der Zivilisation, um mit dem Arzt und Philosophen Ritter – geboren übrigens in Wollbach nahe Lörrach – auf einer einsamen Vulkaninsel ein viel ehrlicheres, erfüllteres, selbstbestimmtes Leben zu suchen. Doch ihr Eden war ein dorniges Stück Erde.

Das Gemälde zeigt Dore Strauch. Es entstand 1927 vor ihrer Abreise nach Galápagos. Die Familie wundert sich, dass darin schon viel von ...
Das Gemälde zeigt Dore Strauch. Es entstand 1927 vor ihrer Abreise nach Galápagos. Die Familie wundert sich, dass darin schon viel von ihrer späteren Traurigkeit zu sehen ist. Es sei, als habe der Maler die düstere Zukunft in sie hineingemalt. | Bild: privat

Karoline Negraßus sieht Dore Strauch als weltoffenen Freigeist. Eine Frau, die zu großen Träumen fähig war und bereit, dafür viele Widrigkeiten in Kauf zu nehmen. Die ihrem Herzen folgte. Sie sagt, dass sie sich ihrer Großtante in dieser Hinsicht sehr verbunden fühle. Fernweh kennt Negraßus nur zu gut. Auch sie treibe es immer wieder hinaus in die Welt.

Anders als ihre beiden Schwestern habe sie Dore Strauchs Schicksal von Kindesbeinen, von den ersten Erzählungen der Großmutter an fasziniert. „Das ist ein Teil meiner Biografie.“ Karoline Negraßus ist Schulleiterin in Osnabrück und nutzt die Sommerferien für große Reisen mit dem Rucksack.

Der selbst ernannte „Robinson auf Galápagos“

Dore Strauch (im Film „Eden“ dargestellt von Vanessa Kirby) litt an Multipler Sklerose. Dr. Ritter hatte versprochen, dass das ursprüngliche Leben auf Floreana sie heilen werde. Stattdessen hatte Dore Strauch zu schuften und litt unter der Mitleidlosigkeit ihres Gefährten. Ritter widmete sich lieber seinen philosophischen Schriften und Artikeln für die internationale Presse, in denen er sich selbst als „der Robinson auf Galápagos“ würdigte.

Jude Law als Dr. Friedrich Ritter und Vanessa Kirby als Dore Strauch in einer Szene des Films „Eden“. Der Film kam Anfang April in die ...
Jude Law als Dr. Friedrich Ritter und Vanessa Kirby als Dore Strauch in einer Szene des Films „Eden“. Der Film kam Anfang April in die deutschen Kinos. | Bild: Leonine/dpa

Da bröckelte wohl die große Liebe, vermutet Walburg Friebe. Als dann, angelockt von Ritters Artikeln, weitere Siedler auf Floreana eintrafen – erst die Familie Wittmer aus Köln, dann die egomanische angebliche Baronin mit ihren beiden Liebhabern und ihren Wahnsinns-Plänen für ein Luxushotel -, nahm das Verhängnis seinen Lauf. „Die Zivilisation, die sie beide ablehnten, war wieder da. Das war für beide eine große Enttäuschung“, meint Friebe.

„Das kann nicht stimmen“

Dass allerdings Dore Strauch den Dr. Ritter, ihre einstige Lichtgestalt, mit verdorbenem Hühnerfleisch vergiftet haben soll, kann Walburg Friebe nicht glauben. „Das kann nicht stimmen“, sagt sie, eine solche Tat würde allem widersprechen, was sie über ihre Tante gehört habe.

Zuhause habe sie eine dicke Mappe mit Kurzgeschichten und Betrachtungen, die Dore auf Floreana geschrieben habe, erzählt die 82 Jahre alte Walburg Friebe, die seit über 50 Jahren am Bodensee, in Immenstaad, lebt und früher als Lehrerin arbeitete. Dore Straub sei eine sehr fantasievolle Frau gewesen.

Die britische Schauspielerin Vanessa Kirby verkörpert die Dore Strauch.
Die britische Schauspielerin Vanessa Kirby verkörpert die Dore Strauch. | Bild: TIZIANA FABI, AFP

Was auch immer in jenem Jahr 1934 unter dem Vulkan geschah: Den hasserfüllten letzten Satz des qualvoll sterbenden Friedrich Ritter (dargestellt von Jude Law) lässt sich auch Regisseur Ron Howard nicht entgehen. In der wahren Geschichte konnte der Sterbende nicht mehr sprechen, er hat den Satz auf einen Zettel geschrieben. Im Film ätzt er ihn Dore Strauch ins Gesicht: „Ich verfluche dich im letzten Augenblick.“

Nie wieder über Galápagos gesprochen

Kann man sich von einer solchen Geschichte erholen? Nein, sagt Walburg Friebe. Dore Strauch sei über die bizarren Ereignisse da draußen auf der Vulkaninsel nie hinweggekommen. 1935 kehrte Dore Strauch nach Deutschland zurück. Das weltweite Medieninteresse, das sie anfangs begleitete, habe rasch abgenommen. Wie selbstverständlich habe die Familie Dore wieder aufgenommen, berichtet Friebe. Sie selbst hat ihre Tante nicht mehr kennen gelernt. Doch in der Familie wurde viel über sie erzählt.

Traurig sei die Dore gewesen, verschlossen, in sich gekehrt. Enttäuscht. Ihr Lebensmut sei gebrochen gewesen. Sie wurde schwer krank, konnte in der Berliner Wohnung das Bett kaum noch verlassen. Dore Strauch starb 1942 im Alter von 41 Jahren.

Gleich 1935 hat sie über die Jahre mit Ritter ein – wenig gelesenes – Buch geschrieben und darin ihren einstigen Guru in den Himmel gehoben und die Beziehung zu ihm verklärt. Doch über Galápagos gesprochen hat sie, so die Familie, niemals wieder.