Herr Hendricks, sie sind der stellvertretende Vorsitzende der Zukunftswerkstatt, des Vereins also, der die Markdorfer Tafel trägt. Der Tafelladen im Stadtgraben hatte einige Wochen geschlossen, weil viele der ehrenamtlichen Helfer zur Risikogruppe gehören. War Ihnen in dieser Zeit langweilig?
Langeweile habe ich nie. Ich weiß mich sehr gut – und sinnvoll – zu beschäftigen. Eher schon fehlt es mir an Zeit.
An Zeit wofür?
Da sich ja in unserem Bekanntenkreis herumgesprochen hat, dass ich gerne tüftele und dass ich gerne handwerklich arbeite, gibt es immer mal eine Anfrage, ob ich nicht dies oder jenes machen kann.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel habe ich in den vergangenen Wochen für eine gute Bekannte das Dach ausgebaut. Da gibt es nun einen neuen Aufgang zum Dachstuhl; da gibt es jetzt auch eine Dämmung; und da ist jetzt auch ein Fenster.
Und das machen sie alles ganz alleine?
Nein, das Fenster habe ich mit einem Zimmermann zusammen gemacht.
Ist das Begabung oder einfach nur viel Geschick und Lerneifer?
Sie kennen ja den Spruch: Dem Ingenieur ist nichts zu schwer. Na ja, zwei linke Hände darf man natürlich nicht haben, wenn man viel selber machen will. Im Grunde ist es aber familiäre Prägung. Mein Vater, übrigens ein Lehrer, hat daheim auch immer alles selber gemacht. Und ich stand daneben und habe zugeschaut, aber auch geholfen.
Da sind wir bei einem meiner Stichwörter. Sie helfen in der Tafel. Weil sie wissen, dass es selbst bei uns hier, in einer relativ wohlhabenden Gegend Bedürftige gibt, bei denen die Haushaltskasse nicht gerade überquillt. Ist das vorwiegend ein soziales Anliegen ihrerseits? Oder richtet sich ihre Hilfe für die Zukunftswerkstatt, die Tafel gegen die allgemein verbreitete Lebensmittelverschwendung?
Beides spielt eine Rolle.
Erläutern sie das doch bitte!
Die Hilfe für Bedürftige ist wichtig. Die hat die Tafel übrigens auch beim Lockdown der vergangenen Wochen nicht völlig eingestellt. Wir haben Tüten mit haltbaren Lebensmitteln zur Diakonie gebracht, damit sich unsere Tafelkunden die dort abholen konnten. Und die Tafel hat aus ihrer Spendenkasse Geld für Lebensmittelgutscheine genommen. Auch die gab es bei der Diakonie …
Immer noch?
Während wir geschlossen hatten, also bis zum 28. Mai. Da konnten sich die Tafelkunden einmal in der Woche Lebensmittel abholen – allerdings keine Milchprodukte und auch keine Frischware wie Gemüse. Inzwischen habe wir ja wieder auf. Und jetzt gibt es wieder alles.

Aber ich habe sie unterbrochen. Sie wollten, glaube ich, auf die Lebensmittelverschendung kommen?
Ich finde, das ist ein Frevel, wenn Essen, Essbares in den Müll kommt …
Wieso Frevel?
Weil wir achtsam damit umgehen sollten. Wie es das Wort schon sagt, sind Lebensmittel Produkte, die unser Leben erst ermöglichen. Sie werden aufwändig produziert. Immer steckt da viel Arbeit drin. So dass es nicht richtig sein kann, sie achtlos fortzuschmeißen.
Spricht da ein Kind der Kriegsgeneration?
Sicherlich. Wir wurden zum sorgsamen Umgang mit dem Essen erzogen. Was mittags übrig geblieben ist, das gab es dann am Abend.
Kann man diese Einstellung heute immer noch vermitteln – in unserer Zeit des Überflusses?
Die Zukunftswerkstatt versucht das jedenfalls. Wir – ich nicht so sehr, eher nur indirekt, da ich mehr für die technischen Dinge in der Tafel zuständig bin – wir Mitglieder gehen an die Schulen und schildern, wie es zugeht in der Lebensmittelindustrie, im Handel. Aber auch wie viel Lebensmittel wir Verbraucher nicht essen, sondern wegwerfen. Auch wie viel an Energie, an Rohstoffen und Arbeit vergeudet wird. Nachhaltig ist das also gar nicht. Ökologie und Ökonomie spielen gleichzeitig eine Rolle. Ich finde, dass der Umgang mit Lebensmitteln und Ressourcen ein eigenes Unterrichtsfach sein sollte. In Großbritannien gibt es das meines Wissens nach schon länger. In Deutschland beziehungsweise in Baden-Württemberg aber auch schon. Hab‘ mal über ein Projekt im Wahlpflichtbereich „Alltagskultur, Ernährung, Soziales“ der Realschule am Markdorfer Bildungszentrum geschrieben.
Herr Hendricks, als ich vor ihrer Haustür gestanden habe ist mir ein Schild aufgefallen. Darauf steht – sinngemäß, dass es einer Katze braucht, damit ein Haus zum Heim wird. Sind sie tierlieb?
Aber ja. Muss ich aber auch sein, schließlich ist meine Frau die Vorsitzende des örtlichen Tierschutzvereins.
Und der helfen sie auch bei ihrer Arbeit?
Wenn ich ihr helfen kann ja. Am liebsten technisch konstruktiv. Jüngst habe ich zwei Katzengehege aufgebaut. Durch Crowdfunding finanziert, galt es die nur noch zu installieren. Ich habe elektronische Katzenfallen gebaut, aber auch Wildkameras bei den Futterplätzen für streunende Katzen installiert.
Ist‘s wirklich bloß die technische Seite?
Nein, der Tierschutz liegt mir sehr am Herzen.
Verraten sie auch warum?
Weil Tiere Teil der Schöpfung sind. Für mich haben sie auch eine Seele.
Eine Seele?
Wie immer man es nennen will, wenn Wesen empfinden, Gefühle zeigen, sogar Anteil nehmen.
Haben sie Beispiele?
Da gibt es viele. Wir alle kennen den Hund, der über sein verstorbenes Herrschen trauert. Uns ist neulich ein Kater begegnet, der zu einer offensichtlich niedergeschlagenen, deprimierten Katze in einem unserer Gehege hineingegangen ist – und sie mit der Pfote gestupst hat. So als wollte er sie aufmuntern.
Was sie da erzählen, klingt recht ganzheitlich?
Das soll es auch. Am Ende sind wir alle Mitgeschöpfe auf dieser Welt.