Lydia Simon hat seit ihrer Geburt Narben auf der Netzhaut. „Als ich gewachsen bin, ist die Netzhaut nicht mitgewachsen“, erzählt sie bei einem Treffen mit dem SÜDKURIER. Mehrere Operationen als Kleinkind brachten nichts. Deswegen ist Lydia Simon seit ihrem dritten Lebensjahr blind.
„Ich durfte vieles noch als sehendes Kind lernen, das war ein großes Glück“, sagt die heute 34-Jährige mit ruhiger Stimme. „Und trotzdem war ich noch so klein, dass ich jetzt nichts vermissen kann.“ Wenn Lydia Simon erzählt, dreht sich ihr Gesicht immer wieder. Sie hört genau, aus welcher Richtung die Geräusche zu ihr kommen. Ihre Hand liegt fest an der Kaffeetasse.
Nach dem Abi ins Psychologie-Studium
Auch, wenn es nicht immer einfach war, hat Lydia Simon mit ihrer Krankheit ihren ganz eigenen Weg durchs Leben gefunden. Nach dem Abitur auf einer integrativen Regelschule ging es für sie flugs in Richtung Psychologie-Studium. Ihren Master beendete sie 2015. Durch verschiedene Praktika versuchte Lydia Simon dann Fuß im Berufsleben zu fassen.

„Ich habe schnell gemerkt, dass es das Eine ist, blind zu studieren. In meiner Situation einen Arbeitgeber zu finden, ist das Andere“, sagt die 34-Jährige und nimmt einen Schluck von ihrem Kaffee. Dann erzählt sie weiter. Davon, dass die Suche nach einem Job nicht immer einfach war.
„Meistens war es die Unsicherheit. Viele Arbeitgeber wissen nicht, wie es mit behinderten Menschen läuft“, sagt Lydia Simon. „Viele denken sich sicherlich, dass sie mit anderen weniger Arbeit haben.“ Die Meersburgerin findet diese Einstellung schade. „Klar steckt man als Arbeitgeber am Anfang vielleicht etwas mehr Zeit rein, aber am Ende leiste ich ja genau dieselbe Arbeit, wie Menschen ohne Behinderung.“
Im Bewerbungsgespräch muss sie sich beweisen
Umso glücklicher macht es Lydia Simon, dass sie seit September einen neuen Job hat – und zwar als Beraterin bei der Agentur für Arbeit in Konstanz. „Der Bewerbungsprozess lief schnell und unkompliziert. Man hat gemerkt, dass die Agentur Erfahrung mit behinderten Menschen hat“, erzählt die 34-Jährige.
Ihre Blindheit habe im Bewerbungsgespräch gar keine Rolle gespielt. Bei anderen Gesprächen mit potenziellen Arbeitgebern habe sie sich häufig beweisen müssen. „Oft war ich auf dem Prüfstand. Einmal musste ich demonstrieren, dass ich einen Computer bedienen kann“, erinnert sich Lydia Simon.
Spezielle Programme helfen im Arbeitsalltag
Arbeiten am Computer sind für sie jedoch kein Problem. Mithilfe spezieller Software könne sie all das machen, was andere Mitarbeiter auch können. „Das Programm kann mir entweder vorlesen oder ich bekomme den Text in Blindenschrift auf einem Gerät angezeigt, dass an den PC gekoppelt ist“, erklärt sie.
Dass die 34-jährige Meersburgerin in ihrem Job all das machen kann, was andere auch machen, bestätigt Eva Schmidt, Pressesprecherin der Agentur: „Lydia Simon ist eine Mitarbeiterin, wie jede andere.“ Wenn Simon doch einmal nicht mehr weiterweiß, hat sie mehrere blinde Kollegen bei der Arbeitsagentur, die sie um Hilfe fragen kann. „Ich fühle mich wohl und verstehe mich gut mit allen. Sie sind sehr offen und unterstützen mich“, sagt sie.
Hilfe und Unterstützung von Fremden
Diese Erfahrung macht Lydia Simon nicht nur bei der Arbeit. Auch im Alltag erlebe sie häufig Hilfsbereitschaft. „Besonders junge Menschen kommen oft zu mir und fragen, ob sie mir helfen können. Zum Beispiel, wenn ich am Bus stehe.“ Diese Hilfe nimmt die 34-Jährige dann gerne an.
Nett findet es Simon außerdem, wenn sich Menschen für sie interessieren. Ihr Fragen stellen. Das bietet sie auch von sich aus zu Beginn eines jeden Beratungsgespräches bei der Arbeitsagentur an. Nachdem Lydia Simon die Kunden begrüßt hat, mit dem Satz: „Wie Sie sehen, sehe ich nichts.“