Immer mittwochs in Owingen: Seit mehreren Wochen treffen sich auch dort Demonstranten zu einem sogenannten Spaziergang. Sie bringen Kuhglocken mit, Trillerpfeifen, Lichter – und erheben ihre Stimme gegen die Impfpflicht.

An diesem Mittwoch ist alles ein bisschen anders. In sozialen Netzwerken rief eine Person anonym dazu auf, in weißer Kleidung „zahlreich, friedlich und fröhlich“ vor dem Rathaus zu erscheinen. Normalerweise fände hier jetzt ein Hemdglonkerumzug statt, also ein närrischer Aufzug, bei dem die Leute weiße lange Hemden tragen. Doch Fasnet fällt wegen Corona weitgehend flach. Die Demonstranten wollen die Gunst der Stunde nutzen, um in den Spuren der Narretei ihre eigene Botschaft zu verkünden.

Die Polizei

Auf dem Vorplatz des Rathauses haben sich erst eine Hand voll Demonstranten eingefunden. Die Polizei fährt mit zwei VW-Bussen vor. Ein Beamter erkundigt sich, ob jemand die Versammlung angemeldet habe. Niemand outet sich. Jeder behauptet von sich, ein ganz normaler Spaziergänger zu sein. Dem Beamten bleibt nichts anderes übrig, als sich wieder ins Auto zu setzen und den weiteren Aufzug an Personen zu beobachten. Am Ende werden es um die 50 sein.

Bürgermeister Henrik Wengert sagte im Vorfeld, dass er kein Problem damit habe, wenn im Dorf friedlich demonstriert wird. Er ruft aber dazu auf, die Demo anzumelden. Das sei kein großer Verwaltungsakt, die Gemeindeverwaltung sei gerne behilflich dabei.

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Die Demonstranten

Als die Bedarfsfußgängerampel vor dem Rathaus von Rot auf Grün umschnappt, setzt sich der Zug in Bewegung. Die Personen an der Spitze wechseln, niemand will die Führung erkennbar übernehmen. Es könnte ja so gedeutet werden, als hätte hier jemand offiziell den Hut auf.

Eine Gruppe von etwa 50 sogenannten Spaziergängern demonstrierte am Mittwoch in Owingen gegen die Coronamaßnahmen.
Eine Gruppe von etwa 50 sogenannten Spaziergängern demonstrierte am Mittwoch in Owingen gegen die Coronamaßnahmen. | Bild: Hilser, Stefan

Einer führt eine Friedenstaube an einem Stab mit sich. Ein Teilnehmer zieht ein Leiterwägelchen hinter sich her, er hat eine Lichterkette daran festgemacht, und wie bei einem Maiausflug zieht er Getränke im Wägelchen umher. Seinen Namen nennt er nicht. Er habe einen Bürojob, sein Fitnessstudio sei geschlossen, da habe er Spaziergänge dringend nötig. „Gerade in Zeiten von Corona! Mal die Bronchien auslüften.“ Was ihn motiviert, mit den anderen nach Owingen zu kommen? „Es ist so schön hier.“

Es wird nicht skandiert, nur kreuz und quer durch den Ort gelaufen – begleitet vom VW-Bus der Polizeibeamten, die darauf achten, dass der Autoverkehr nicht behindert wird. Vereinzelt schallt aus dem Kreis der sogenannten Spaziergänger der Ruf: Narri, Narro. Doch närrisch klingt das nicht.

Unter den Demonstranten ist die aus Owingen stammende und in Markdorf lebende Elli Miller. Seit in Ravensburg ein kleines Häufchen Demonstranten anfing, gegen die Coronamaßnahmen laut zu werden, war sie dort schon mit dabei. Sie kommt aus der Anti-Gentechnik-Protestbewegung.

„Wir sind die Mitte der Gesellschaft.“ Elli Miller, Markdorf, auf einem Bild im Dezember in Ravensburg.
„Wir sind die Mitte der Gesellschaft.“ Elli Miller, Markdorf, auf einem Bild im Dezember in Ravensburg. | Bild: Hilser, Stefan

Der SÜDKURIER begegnete ihr bereits bei einer Demo in Ravensburg im Dezember. Wie sie sagt, sei sie regelmäßig dort, auch auf den sogenannten Spaziergängen in Markdorf. Ihr sei es wichtig, zu einem friedlichen Diskurs beizutragen.

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Sie freue sich zu sehen, dass immer mehr Männer auf die Straße gingen, sagt Elli Miller. „Am Anfang waren es vor allem junge Mütter“. Eine in ihren Augen drohende Impfpflicht für Kinder habe die Frauen aufgerüttelt. „Jetzt werden es immer mehr. Ich sehe Leute, die sonst nie zum Demonstrieren gegangen sind. Wir sind die Mitte der Gesellschaft.“

Der Gegendemonstrant

Das sieht ein älterer Herr aus Owingen ganz anders. Er stellt sich als Ein-Mann-Gegendemo an die Straße und hält ein kleines Plakat in die Höhe. Darauf steht geschrieben: „Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt.“ Die Mehrheit, so seine Überzeugung, trage die Coronamaßnahmen mit. „Die Demonstranten aber sagen immer nur Ich Ich Ich und denken nicht an die anderen, die unter Corona leiden.“ Er könne da nicht mehr still zu Hause sitzen. Sein einsamer Auftritt verlangt Mut. Der endet aber bei der Bitte, für die Zeitung seinen Namen preiszugeben.

Dieses Zitat wird fälschlicherweise Rosa Luxemburg zugeschrieben, aber geschenkt. Die Aussage, die der Gegendemonstrant in Owingen ...
Dieses Zitat wird fälschlicherweise Rosa Luxemburg zugeschrieben, aber geschenkt. Die Aussage, die der Gegendemonstrant in Owingen treffen möchte, ist klar. Die Leute sollten nicht demonstrieren, sondern sich mit einer Impfung solidarisch zeigen. | Bild: Hilser, Stefan

Eine Teilnehmerin aus Überlingen hat sich das Plakat des Gegendemonstranten angeschaut. Sie weist seinen Vorhalt zurück. Es sei doch so, dass die Politik sich anmaße, den Freiheitsbegriff zu definieren, und dass Freiheit als eine Art Gnadenakt betrachtet werde. „Das spaltet die Gesellschaft immer mehr. Und ich weiß nicht, wie wir aus diesem Schlamassel wieder herauskommen.“

Sie und zwei weitere Personen in ihrer Gruppe lehnen es ab, ihren Namen der Zeitung zu nennen, auch ein Foto lehnen sie ab. Es könne ja jemand den Abstand zwischen ihnen messen und dann ein Bußgeld verhängen. „Das ist doch alles schon passiert“, sagt eine.

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Die Hemdglonker

Der Demozug endet dort, wo er begonnen hat, vor dem Rathaus auf dem Coudoux-Platz, benannt nach Owingens französischer Partnergemeinde. Ein paar Männer klopfen dort mit Holzkeilen einen Narrenbaum fest. Eher ein Narrenbäumchen. Es ist auf den ersten Blick nicht ganz klar, ob sie demonstrieren, wenn ja, für oder gegen was? Auch ihr Auftreten sieht ein bisschen nach einem konspirativen Treffen aus. Offiziell angekündigt wurde diese närrische Aktion im Dorf mitnichten.

Auf dem Rathausvorplatz klopfen die Männer einen Narrenbaum fest, während hier ein Demozug von Impfkritikern endet.
Auf dem Rathausvorplatz klopfen die Männer einen Narrenbaum fest, während hier ein Demozug von Impfkritikern endet. | Bild: Hilser, Stefan

Der Owinger Bildhauer, Musiker und Fastnachter, Hans-Georg Benz, steht mit seiner Trompete auf dem Coudoux-Platz. Nein, sagt er, „zum Demonstrieren sind mir meine Nerven zu schade“. Sie hätten sich im privaten Rahmen spontan getroffen, um ein bisschen Fastnacht zu feiern. Es störe ihn nicht, dass zur Hemdglonkerzeit die Demonstranten aufgezogen sind. „Das hätten die ja sowieso gemacht.“

Einmal seien sie an einem Mittwoch vor seiner Haustüre durchgezogen. „Ich war gerade dabei, den Holzofen anzumachen.“ Zuerst habe er sich gewundert, was im Ofen pfeift, bis er feststellte, dass es die Trillerpfeifen der Demonstranten waren.

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Benz bedauert, dass so viele Fastnachtsveranstaltungen abgesagt werden mussten, wo es am Ende nun doch mehr hätten sein dürfen. Beruflich ist auch er Opfer der Pandemie. Die Auftragslage für Masken – also die kunstvoll von Benz geschnitzten Masken – sei um 50 Prozent eingebrochen. Er sehe die Coronapolitik kritisch, die Angst vor der Krankheit sei aber auch vorhanden. „Das hält sich in etwa die Waage.“ Deswegen zum Demonstrieren gehen? „Das bringt ja eh nichts.“

Lieber demonstrieren er und die anderen im weißen Gewand eine gepflegte Fastnachtskultur. Zu ihr gehört der Schalk, der nun aus Benzens Augen blitzt. „Wir warten, bis die Polizei fort ist, dann marschieren wir zum Engel rüber.“ Die Bedenken sind seit Mittwoch unbegründet. Laut neuer Coronaverordnung dürfen sie zur Musik marschieren, halt ganz privat und voll geimpft.