Affendame Cindy ist 31,5 Jahre alt und damit die älteste Bewohnerin des Affenbergs in Salem. In Menschenjahren umgerechnet wäre sie „weit über 100“, so Parkleiter Roland Hilgartner. Cindy ist noch rüstig, erfreue sich bester Gesundheit, wie Hilgartner betont. Ob Cindy das 32. Jahr noch vollmachen wird, das kann keiner vorhersagen.
Doch was passiert mit der Leiche, wenn Cindy das Zeitliche segnet? Einen Friedhof für Affen gibt es auf dem Affenberg nicht – auch keinen Tierfriedhof in der Gemeinde Salem. Der leblose Körper wird nach Aulendorf gebracht, zum Staatlichen Tierärztlichen Untersuchungsamt (STUA). Dort wird eine Obduktion vorgenommen, um die Todesursache festzustellen. Der Bericht wird im Anschluss nach Salem geschickt.

Altersschwäche ist die häufigste Todesursache
Was im Bericht stehen wird, wenn es um Cindys Todesursache gehen wird? „Ich bin mir ziemlich sicher, dass es Organversagen sein wird – also an Altersschwäche„, sagt Hilgartner. Organversagen infolge von Altersschwäche sei die häufigste Todesursache. „In diesem Jahr hatten wir beispielsweise insgesamt drei Todesfälle.“ Alle drei sind an Altersschwäche gestorben. „Demgegenüber stehen sieben Geburten in diesem Jahr.“ Im Schnitt sterben fünf bis zehn Affen im Jahr – demgegenüber stünden fünf bis 15 Affenbabys, die in Salem das Licht der Welt erblicken.
Aktuell leben rund 200 Berberaffen in Salem. Die Altersstruktur ist recht unterschiedlich, auch innerhalb der drei großen Gruppen, in die sich die Affenpopulation gegliedert hat. In der größten Gruppe, der auch Cindy und der zweitältesten Affe (sie ist 30 Jahre alt) angehören, leben rund 80 Affen. Sie wird angeführt von Cindys 19 Jahre altem Sohn Lentigo.

Es leben viele junge Affen in Salem
Was der Gruppe altersmäßig fehle, ist die Mitte – kein Affe ist zwischen 23 und 26 Jahre alt. Die Folge: In einigen Jahren werden vermutlich – aus dieser Gruppe – weniger Affen versterben. Zumindest, wenn sie gesund bleiben. Dazu trage der soziale Austausch bei. Da seien sich Berberaffen und Menschen sehr ähnlich: Der soziale Kontakt nimmt im Alter häufig ab. Bei Cindy sei das anders – sie hat regen Kontakt zur Gruppe. Das könnte auch einer der Gründe sein, weshalb sie dieses hohe Affenalter erreicht habe.
Unter Hilgartners Mitarbeitern hat Cindy schon eine besondere Stellung. In der Affengruppe hat die alte Dame allerdings keine „herausragende Stellung“. In der Hierarchie ihrer Gruppe ist Cindy im oberen Drittel anzusiedeln. In der freien Wildbahn würde sie sich „in der Mitte der Gruppe“ befinden und wäre so vor Angriffen von Raubfeinden besser geschützt als andere. In früheren Jahrzehnten waren Berberlöwen und Leoparden, die im Atlasgebirge lebten, die Raubfeinde der Berberaffen. Beide Arten sind ausgestorben, heute ist der Hirtenhund ein Raubfeind.
In Salem fehlt diese Gefahrenquelle. In den Genen schlummert die Furcht vor diesen aber immer noch: Wenn alte und schwache Affen, es nicht mehr selbstständig auf den Baum schaffen, „sind sie großem Stress ausgesetzt. Sie haben Angst vor ihren Raubfeinden“. Dann seien die Tiere auch schon zu alt oder sehr krank. „Bei so kranken Tieren wollen wir das Leiden nicht noch künstlich verlängern“, so Hilgartner. In Absprache mit dem Tierarzt würden diese Affen eingeschläfert werden. Häufiger komme es vor, dass ein Affe, der an Altersschwäche gestorben ist, am Morgen von den Mitarbeitern am Fuße eines Schlafbaums gefunden wird. Die Reise des leblosen Körpers führt, nachdem er in Aulendorf untersucht wurde, nach Orsingen – zur Tierkörperbeseitigungsanlage.

Was passiert mit den Hinterbliebenen? „Man weiß von paarlebenden Affenarten, dass diese einen höheren Stresslevel zeigen, wenn der Paarpartner verstirbt.“ Das sei über das Stresshormon Cortisol messbar, sagt Roland Hilgartner. Doch von Trauer könne man dabei nicht sprechen. Eher von einem Verlustgefühl oder vom „Stress, sein Territorium alleine gegen Konkurrenten verteidigen oder seinen Nachwuchs nun alleine aufziehen beziehungsweise einen neuen Paarpartner finden zu müssen“.
Wenn es so etwas wie Trauer bei Tieren gibt, dann am ehesten bei Menschenaffen, so Hilgartner. „Aber hier wäre ich vorsichtig mit voreiligen Schlussfolgerungen, die oft schnell vermenschlicht werden.“ Bei Berberaffen gibt es kein Ritual, wenn Tiere versterben. „Sie scheinen das zu ignorieren, selbst wenn ein ranghohes Tier verstirbt.“ Ein auffälliges Verhalten der Hinterbliebenen konnte nicht beobachtet werden, selbst von nah verwandten Individuen nicht.

Bei Hilgartners Mitarbeitern komme es durchaus vor, dass die eine oder andere Träne fließt, wenn ein Tier stirbt. „Wir erleben die Tiere täglich, erleben wie sie aufwachsen, wie sie sich in der Gruppe etablieren.“ Jedes Tier habe seinen Charakter und seine Geschichte. „Da bleiben Emotionen nicht aus, wenn eines unserer Tiere stirbt. Auch mich berührt es – bei aller Professionalität – wenn ein Affe stirbt.“