Der Dorferschoppen hat noch nicht begonnen, da klingt‘s schon aus hundert Männerkehlen auf die Münsterstraße: „Ein weißer Schwan, ziehet den Kahn...“ Gestern Nachmittag, bald 14 Uhr, ein kleines Mädchen, an der Hand ihren Papa, fragt: „Feiern die Geburtstag?“ Antwort: „Nein, das ist Fastnacht.“

Ausgleich zum fehlenden Narrenkonzert

Gute Fastnacht sogar. Vielleicht lag‘s daran, dass das Narrenkonzert in diesem Jahr dem Viererbundtreffen zum Opfer fiel. Der Dorferschoppen legte an Niveau erheblich zu, galt es doch, den Verlust an Narretei auszugleichen. Den neun Akteuren in der Butte des Dorferschoppens ist das bei der Premiere gestern gut gelungen. Am Montag gibt es eine Zweitaufführung.

Politprominenz am Tisch

Vielleicht lag‘s auch nur daran, dass Geistlichkeit im Raume saß? Denn erstmals folgte der katholische Stadtpfarrer Bernd Walter der Einladung zum Dorfer, wo er am Ehrentisch in den zusammengelegten Gaststätten Krone und Galgen Platz nahm. Ist es seiner Anwesenheit zu verdanken, dass die Zoten in den allertiefsten Schubladen diesmal liegen blieben? Walter saß neben früheren Oberbürgermeister(innen) Ebersbach, Weber und Becker, dem amtierenden OB Zeitler, dem Ulmer OB Gunter Czisch (der über viele Jahre Verwaltungserfahrung im Überlinger Rathaus sammelte und alte Verbundenheit spürt), neben den Abgeordneten Hahn und Hoher sowie aus Bund und EU, Riebsamen und Lins. Auch die Chefs der Volksbank saßen mit am Ehrentisch – das über fünf Stunden dauernde Programm muss Labsal für ihre Seele gewesen sein.

Labsal für die Volksbank-Chefs

Warum das? Wenn sich die Herren in der Butte nicht nur dem Schnaps, sondern auch der Kommunalpolitik widmeten, schenkten sie es fast durchweg der neuen dreiköpfigen Ratsfraktion BÜB+ ein. Hier im Speziellen wegen deren Nein zum Volksbank-Neubau. Jörg Bohm leitet den Dorferschoppen witzig und souverän. „Nicht das Erreichte zählt, das Erzählte reicht“, lautet sein Motto, gibt also Feuer frei für die närrische Wirklichkeit.

Jörg Bohm.
Jörg Bohm. | Bild: Hilser, Stefan

Jörg Bohm sitzt auch für die CDU am Ratstisch – insofern ist der Dorferschoppen auch ein verlängerter Ratstisch. Bohm fragte, was denn das + am BÜB bedeute. Er erklärte es mit der internationalen Vorwahl +49: „Das Plus steht als Platzhalter für die zwei Nullen bei der internationalen Vorwahl – und bei drei Nullen haben Sie sich garantiert verwählt.“ Dem OB beschied Jörg Bohm gleich zu Beginn, dass ihm im Dorfer nicht viel drohe. Schließlich habe er ja auch nichts gemacht.

Harald Messner.
Harald Messner. | Bild: Hilser, Stefan

Herbert Gommeringer stieg als erster in die Butte und legte die Latte hoch. Das war bei ihm nicht garantiert, ist er doch die Wundertüte im Dorfer-Repertoire. Seine Kostümierung mit umgehängtem Fensterrahmen und Dackel, der ihm über die Schulter blickte, war originell. Von einem Dackel handelte auch die Geschichte, die er über Alex Metzler erzählte, dem zwei Dackel im Hödinger Tobel abhanden gekommen seien. Statt ihnen hinterherzurennen, habe er sie mit dem Auto verfolgt, das dann streng vom Weg abkam. Gommeringer: „Toyota und Dackel aus dem Dreck gezogen, die beiden Hunde waren dann aber immer noch weg.“

Frank Neumann
Frank Neumann | Bild: Hilser, Stefan

Frank Neumann schlüpfte in die Rolle des Markthändlers und brachte faule Äpfel zu Schleuderpreisen in Umlauf. Neumann, Referent des CDU-Bundestagsabgeodneten Riebsamen, hatte sogar einen Witz über seinen Chef auf Lager. Der habe seine politischen Schwerpunktthemen Gesundheit und Infrastruktur durcheinandergewürfelt und sich vehement „für die Elektrifizierung der Bodenseegürtelrose“ ausgesprochen. Über Greta Thunbergs Jünger lästerte er: „Goldenen Löffel im Maul und stromfressendes Handy am Ohr.“ Dem in Überlingen wohnenden Chef der Deutschen Umwelthilfe, Jürgen Resch, sagte er nach: „Der produziert massiv Schadstoffe, wenn er bloß ‚d Gosch aufmacht.“

„Wildlecker Scherzbuben“

Neu im Programm waren die „Wildlecker Scherzbuben“, singendes Duo mit Michael Jeckel und Harald Messner. „Wenn im Dorf die Bratkartoffeln blühn‘“ klang ihre Melodie. Wem diese Zeilen galten? „Me findt e Hoor i jedre Suppe, Kopfsubstanz vun re Gummipuppe, Haubtsach me zeigt em Bürger feist, der Stadtrat isch halt doch Kleingeist.“ Sowie: „Mir hond dehom e Garteschau, des Lieblingskind vu minere Frau – die Garteschau des wird de Hit, de Rescht vum Kaff – des juckt mit it.“

Harald Messner.
Harald Messner. | Bild: Hilser, Stefan

Das Publikum trug schon Sorge, ob‘s das für Jeckel schon gewesen sei? Nein, er und Messner legten auch solo aufs Parkett. Messner als „wunderfitziger Clown“ vom Dorf, der auf dem Weg zum LGS-Vorverkauf besoffen scheiterte.

Michael Jeckel.
Michael Jeckel. | Bild: Hilser, Stefan

Und Jeckel, Gastwirt, brillierte in seiner Paraderolle als Damglonke mit viel derb-frivolem und nicht zitierfähigem Wortwitz. Sein Fundus an Intimitäten über Überlinger Halb-Promis, die er in seinem Alltag über den Tresen hinweg aufschnappt, ist derart groß, dass in jedem Halbsatz seiner Butte privateste Geheimnisse stecken. Darf Fastnacht das? Der Dorfer schon, die Stadtkapelle unter Leitung von Ralf Ochs spielt dafür aber einen schrägen Tusch und die Besucher stimmen nach dem ersten Gegröle ein chorales Uiuiuiuiuiui an, was so viel heißt wie: Sag‘s vor dieser Türe bloß niemandem weiter. Sei vor allem Frauen gegenüber schweigsam, für die der Dorferschoppen ja auch nicht gemacht ist.

Michael Braun
Michael Braun | Bild: Hilser, Stefan

Mimi (Michael) Braun schlüpfte in die Rolle der alten Nixe vom Lenk-Brunnen. Gäbe es einen Preis fürs beste Kostüm, er läge weit vorne im Ranking. Bezeichnete sich als „die meistfotografierte Überlingerin, die jetzt 20 Jahre lang die Klappe gehalten hat“. Manch einer im Raum, stellte er fest, denkt sich jetzt: „Wenn man so eine nur daheim hätte.“ Rahmenhandlung bildete die Klage der alten Nixe, die vor und während und nach der Eisbahn in eine Kiste gesperrt wurde, 60 Tage ohne Licht. Von den um sie herum tätigen Männern im Stich gelassen, bis ihm Helene Fischer, „uneheliche Tochter eines Fischers aus der Fischerhäuservorstadt“ mit einem Lied Trost spendete: „Atemnot in der Nacht – was der Weigelt mit mir macht.“

Um eine wiederholten Einsargung bei der nächsten Eisbahn vorzubeugen, suchte sich die Alte eine neue Bleibe. Im Rathaus oder statt eines Apostels im Münster. Den beiden Hausherren, OB Zeitler und Pfarrer Walter, die beiden als Ehrengäste im Dorfer saßen, gab er mit auf den Weg: „Ihr braucht mit den beiden Immobilien nicht so anzugeben, die haben wir Euch nur ausgeliehen und die bleiben am Ende Eurer Karrieren vermutlich genau da stehen wo sie jetzt stehen – den Kursaal könnt ihr mitnehmen.“

Chris Herr.
Chris Herr. | Bild: Hilser, Stefan

Chris (Christoph) Herr, erfahren aus Narrenkonzert und Männerkaffee, feierte seine Premiere beim Dorfer – und das Publikum feierte ihn. Als „Grätiger Thunfisch“ spielte er den Onkel von Greta Thunberg, der sich vor verdreckten Meeren in den Überlinger Nellenbach flüchtete. Inhaltlich schuf er eine Klammer zwischen Greta-Hassern und Befürwortern. „So stolz ich auf die Kleine bin, Panik schüren macht keinen Sinn.“ Man könnte doch mal probieren, mehr Bier zu trinken statt Fleisch zu essen. Und letztlich läuft‘s klimatisch auch bei ihm auf den Schnaps hinaus: „Was soll ich tun, Fisch? Du hast die Wahl, Fisch! Auf dass die Welt sich erhole, zum Wohle!“

Achim Friesenhagen.
Achim Friesenhagen. | Bild: Hilser, Stefan

Achim Friesenhagen schlüpfte in seine liebste Rolle als Horst Schlämmer, bietet sie ihm doch den Rahmen für derbe Betrachtungen zur Stadtpolitik, zum Sipplinger im Allgemeinen und zu ihm als attraktivem Mann im Besonderen. Beim Yogafestival lernte er seine innere Mitte zu finden, und dass auf der Welt alles seinen Ausgleich habe. Schlämmers Schöpfungsgeschichte aus dem Yin und Yang: Berge zu Meer, Urwald zu trockener Steppe, Überlingen zu Sipplingen. Die LGS, da ist sich Schlämmer sicher, wird super. „Ich befürchte nur, wenn die Touristen einfallen, dann hilft auch keine Marienerscheinung mehr wie damals bei den Schweden.“

Matthias Wigger
Matthias Wigger | Bild: Hilser, Stefan

Und was könnte Matthias Wigger besser, als in die Rolle eines Fischers zu schlüpfen? Schließlich stimmt das geübte Publikum im Saal schon „Die Fischerin vom Bodensee“ an, wenn er nur auf dem Weg zur Butte ist. Als „Aale F(r)anz“ erzählte er allefänzige Geschichten. Doch was ist Allefanz? „Wenn sich ein Veganer einen Schweizer Wurstsalat bestellt und er nur die Zwiebeln übrig lässt.“ Traditionell bietet er den letzten Auftritt beim Dorfer, das Publikum schon gut angeheitert, will eigentlich nur noch Singen. Und so endet alles, wie es begonnen hat: „Ein weißer Schwan...“

Das waren die Dorferschoppen 2017, 2018 und 2019:

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