Das Umfeld sei „vergiftet“, Brauchtumswerte seien „mit Füßen getreten“ worden: Es war keine Büttenrede, die Harry Kirchmaier, der Chef der Hänselezunft Überlingen, bei der Hauptversammlung des Traditionsvereins hielt. Es war seine letzte Rede als Hänselevater, als Vereinschef, in der er mit dem Ordnungsamt der Stadt Überlingen und dem Polizeirevier Überlingen ein Hühnchen rupfte und seinen Rücktritt verkündete.

Kirchmaier verwies auf das Bußgeldverfahren gegen ihn wegen illegalen Schnellens in der Corona-Pandemie. Nach Dreikönig 2021 ist ihm vorgeworfen worden, ohne triftigen Grund das Haus verlassen zu haben. Pikanterweise wurde das Verfahren mit Datum vom Schmotzigen Donnerstag eröffnet.

Außerdem verwies Kirchmaier in seiner Ansprache auf Ermittlungen der Polizei gegen Hänsele, die am Fastnachtssamstag im Häs in der Stadt mit der Karbatsche schnellten und der Verkehrsbehinderung beschuldigt wurden, eine weitere Person wurde wegen Ruhestörung angezeigt, weil sie an Fastnacht den Narrenmarsch durchs geöffnete Fenster schallen ließ. Damit werde das traditionelle närrische Umfeld in Überlingen „vergiftet“, sagte Harry Kirchmaier vor rund 170 Mitgliedern der Hänseleversammlung. „Brauchtumswerte werden mit Füßen getreten“, kommentierte er.
„So viel Porzellan zerschlagen“
Bevor Kirchmaier, der der Hänselezunft 16 Jahre lang vorgestanden hatte, sein Amt niederlegte, verwies er darauf, dass in seinem Ehrenamt viel Herzblut stecke, „und viel viel Freizeit“. Die Verfahren hätten ihm aufs Gemüt geschlagen und seine Gesundheit angegriffen. Er habe aber auch viel Rückhalt in der Bevölkerung erfahren. Ein Hänselvater müsse mit den Behörden zusammenarbeiten. „Es ist aber so viel Porzellan zerschlagen worden, dass ich das nicht mehr will. Und deshalb trete ich hier und jetzt zurück.“

Uwe Wolfensperger, bisher stellvertretender Hänselevater, übernimmt den Vorsitz kommissarisch bis zur nächsten Hauptversammlung, die voraussichtlich im November 2022 stattfinden wird. Der Vorsitzende der Narrenzunft Überlingen, Narrenmutter Wolfgang Lechler, würdigte Kirchmaier mit dem „Mutterkreuz in Gold am Bande“, der höchsten Auszeichnung, die der Dachverein der Überlinger Fastnacht zu vergeben hat.

Lechler sagte: „Harry ist ein ganz besonderer Mensch.“ Er habe es vermocht, Narrenzunft und Hänselezunft zusammenzuführen. Narrenvater Thomas Pross drückte aus, was viele im Saal wohl so empfunden haben: „Das sind ergreifende Momente.“
Rückblick: Ordnungsamt rüffelt Kirchmaiers Gang an die Öffentlichkeit
Die Karbatschenaffäre, das Verhalten der Überlinger Polizei am Fastnachtssamstag, aber auch die Bußgeldverfahren gegen drei Skifahrer, die den nötigen Abstand nicht gewahrt hätten, sorgte bundesweit für Schlagzeilen. OB Jan Zeitler sprach damals von einer „nie da gewesenen Ausnahmesituation“, die konsequentes Handeln erfordere. Die Polizei begründete ihren Einsatz mit der damals gültigen Coronaverordnung, sie erkannte auf Verstöße gegen Ausgangsbeschränkungen. Im April stellte das Ordnungsamt der Stadt Überlingen das Verfahren gegen Harry Kirchmaier ein. Zugleich rüffelte die Behörde den Narren für seinen Gang an die Öffentlichkeit. Davon ließ sich Kirchmaier nicht abschrecken und deutete damals schon an, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen sei.