Tochter Marika packt mit an: Im Garten der Familie Gutmann gilt es, ein Balkonkraftwerk zum Licht zu drehen. Damit es mehr Strom produziert. Obwohl Wolken den Himmel über ihrem Haus in Überlingen-Bonndorf verdunkeln, fließen von den auf einem Tisch montierten Solarmodulen nun 120 Watt durch die Stromleitung. Das reicht, um bei Gutmanns ein paar Lampen anzuknipsen.
Bei direkter Sonneneinstrahlung liefert das tragbare Sonnenkraftwerk 400 Watt. Es gehört der Initiative Überlingen Zero, die es für jeweils zwei Wochen kostenlos zur Verfügung stellt. Wie Bernd Hillebrandt von Überlingen Zero vorrechnet, könne mit 400 Watt die Grundlast eines Haushalts abgedeckt werden. Gemeint sind Kühlschrank, Gefriertruhe, Stand-by-Betrieb elektronischer Geräte oder vielleicht noch ein Ventilator. Der Strom fließt vom eigenen Garten ins Haus, ohne dass die Nutzer dafür extra zahlen müssen.
Vater Florian Gutmann, Musiker und Musiklehrer, hat sich als Testperson bei der Initiative Überlingen Zero gemeldet und nun erste Erfahrungen mit dem Balkonkraftwerk gesammelt. Das Testgerät wiegt nur etwa vier Kilo und kann von Hand an jede x-beliebige Stelle gehängt, geschraubt oder auch fest montiert werden. Mitsamt einem Wechselrichter wird es in eine beliebige Steckdose im Haus gesteckt und bringt bei idealer Sonneneinstrahlung die besagten 400 Watt.
Wie Bernd Hillebrandt von Überlingen Zero sagt, seien Anlagen mit 800 Watt pro Wohnung erlaubt. Innerhalb weniger Jahre, abhängig vom Strompreis, ließen sich die Anschaffungskosten refinanzieren. Die Rechnung ist ganz einfach: Ein 800-Watt-Balkonkraftwerk produziere jährlich etwa 800 Kilowattstunden. Bei einem angenommenen Strompreis von 30 Cent spart man jährlich Stromkosten von 240 Euro. Bei steigenden Strompreisen könne sich so eine Anlage bereits in zwei bis drei Jahren amortisieren, so Hillebrandt. Die Lebensdauer eines Balkonkraftwerks liege bei rund 20 Jahren, spiele die Investitionskosten also mehrfach wieder ein. Zusätzlich zum eigentlichen Solarmodul empfiehlt er den Kauf einer Batterie, in der überschüssiger Strom, bevor er ungenutzt ins öffentliche Stromnetz abfließen würde, für die Nacht gespeichert werden kann.
Die Gruppe Überlingen Zero, die sich auf lokaler Ebene für einen besseren Klimaschutz engagiert, will mit dem Verleih das Interesse an selbstgemachtem Strom wecken. „Schnupper-Kraftwerk“, nennt es Bernd Hillebrandt. „Appetit machen, den Spieltrieb ansprechen“, so könnten die Nutzer feststellen, dass Klimaschutz Spaß macht. Im Idealfall ziehe die Aktion Kreise und stecke ganze Straßenzüge an. Hillebrandt: „Das Thema ist infektiös.“
Einfach wie Legospielen
Bei Gutmanns in Bonndorf bewirkte die Testphase, dass sich die ganze Familie mit dem Stromverbrauch auseinandersetzt. Florian Gutmann: „Die Sensibilisierung für das Thema ist total gut gelungen, weil man plötzlich darüber nachdenkt, was Strom eigentlich ist.“ Die Installation sei unkompliziert. „Mein Sohn sagte: Wenn man Lego spielen kann, kann man das auch.“ Das kleine Kraftwerk zeigt, wo klimafreundlicher Strom herkommt. Aber wo fließt am meisten hin? Das ist überall dort der Fall, wo Wärme produziert werden muss. Sie hätten entsetzt festgestellt, dass ihre Espressomaschine bei vier Tassen Espresso täglich Strom für 111 Euro pro Jahr benötigt. Gutmann: „Ein Schock für mich.“
Jannik Vester, Klimaschutzmanager der Stadt Überlingen, begleitete den Pressetermin bei Gutmanns im Garten. Das Projekt habe eine niedrige Hemmschwelle, es vermittle auf anschauliche Weise den Vorteil einer eigenen PV-Anlage. „Eine tolle Initiative“, lobte er die Gruppe Überlingen Zero. Als Klimaschutzmanager der Stadt ist Vester verantwortlich für eine Bündelungsaktion zum Einkauf von Modulen, Batterien oder Wallboxen für Autos. Es handelt sich um eine Art Einkaufsgemeinschaft, mit der Investitionskosten um 10 bis 15 Prozent gesenkt werden könnten. In den letzten Wochen hätten sich der Aktion 112 Interessenten angeschlossen. Darunter Familie Gutmann.
Unabhängig vom Stromkonzern
Das Schnupper-Kraftwerk war für Gutmanns die Initialzündung, das Thema weiterzudenken. „Wir möchten autark werden.“ Sie hätten nun das Ziel, sich ganz unabhängig von Stromkonzernen zu machen, indem sie auf das Hausdach eine größere PV-Anlage schrauben, ihre Ölbrennwertheizung durch eine Wärmepumpe ersetzen und ihr Elektro-Auto in das Zusammenspiel integrieren. Über die Bündelungsaktion der Stadt versprechen sie sich niedrigere Investitionen. Gar keine Stromkosten mehr? Das ist ihr Ziel, und umso besser schmeckt ihnen dann auch wieder der Espresso.