An Regeln in Zusammenhang mit der Pandemie hat es das ganze Jahr über nicht gemangelt. Am letzten Tag kommen noch ein paar in Sachen Feuerwerk hinzu. Wie 2020 dürfen keine Knaller oder Raketen verkauft werden, um Unfälle durch den unsachgemäßen Gebrauch zu vermeiden und die Kliniken nicht noch weiter zu belasten. Sorgt das Böllerverbot also für Erleichterung bei Notfallmedizinern? Und wer profitiert noch von einer pyrotechnischen Enthaltsamkeit zu Silvester? Der SÜDKURIER hat bei Menschen in Überlingen nachgefragt, die es wissen müssen.

Eher Brüche und Gehirnerschütterungen

„Die typischen Verletzungen in der Silvesternacht sind weniger Verbrennungen, sondern Brüche oder Gehirnerschütterungen durch Stürze“, berichtet Claas-Christoph Hölscher, leitender Oberarzt der Unfallchirurgie im Helios-Spital. Diese Patienten seien meistens Jugendliche, die zu viel Alkohol konsumiert hätten. Während die Versorgung der Frakturen zu ihren Aufgaben gehört, sind für die Betreuung von Menschen mit Alkoholvergiftungen die Internisten zuständig. Also die Mediziner, die sich vor allem um die Corona-Patienten kümmern. „Ab einem Alkoholgehalt von drei Promille im Blut müssen die Patienten überwacht werden, das kostet Kapazitäten“, ergänzt Oberärztin Marita Teste-Salle.

Oberärztin Marita Teste-Salle sagt: „Ab einem Alkoholgehalt von drei Promille im Blut müssen die Patienten überwacht werden, das ...
Oberärztin Marita Teste-Salle sagt: „Ab einem Alkoholgehalt von drei Promille im Blut müssen die Patienten überwacht werden, das kostet Kapazitäten.“ | Bild: Simone Gneiting

Claas-Christoph Hölscher fügt hinzu, dass die Pandemie zurzeit Auswirkungen auf alle Abteilungen habe, die sich gegenseitig unterstützten. Aktuell stünden beispielsweise wegen der angewachsenen Intensivstation weniger OP-Säle zur Verfügung. Zu einer Doppelbelastung komme es bei den Anästhesisten, die Covid-Patienten und Operationen betreuten.

Oberarzt Julian Kuth kann dem Böller-Verbot aus medizinischer Sicht dennoch positive Seiten abgewinnen. „Der Feinstaub durch das Abbrennen der Raketen in der Luft kann für Corona-Patienten zum Problem werden“, sagt Kuth. Er hebt noch einen weiteren Aspekt hervor. Es komme immer wieder vor, dass nicht gezündete Raketen oder Knaller am Neujahrsmorgen von Kindern aufgelesen und angesteckt würden. „So eine verletzte Kinderhand ist kein schöner Anblick!“, berichtet Julian Kuth aus Erfahrung. Zusammen mit seinen Kollegen warnt er an dieser Stelle vor Feuerwerkskörpern aus dem Ausland oder dem Internet ohne Prüfsiegel, die viel gefährlicher seien, als die sonst üblicherweise erhältlichen Produkte.

Oberarzt Julian Kuth sagt: „Der Feinstaub durch das Abbrennen der Raketen in der Luft kann für Corona-Patienten zum Problem ...
Oberarzt Julian Kuth sagt: „Der Feinstaub durch das Abbrennen der Raketen in der Luft kann für Corona-Patienten zum Problem werden.“ | Bild: Simone Gneiting

Die meiste Belastung für die Notfallmediziner und die Krankenhäuser verursacht also vor allem übermäßiger Alkoholgenuss. Wie kurios das sein kann, macht Claas-Christoph Hölscher an einem Beispiel deutlich, das er vor einigen Jahren in der Silvesternacht in Überlingen erlebt hat. Damals kam ein Mann in die Notaufnahme, der stark alkoholisiert barfuß von einer Mauer gesprungen war. Obwohl er sich dabei beide Fersenbeine gebrochen hatte, kam er zu Fuß ins Krankenhaus, um sich behandeln zu lassen. „Uns hilft am meisten vernünftiges Handeln der Bevölkerung!“, resümiert Marita Teste-Salle.

Auch Polizei sieht Alkoholkonsum als Problem

Auch Simon Göppert von der Pressestelle des Polizeipräsidiums Ravensburg sieht zum Jahreswechsel mehr den Alkoholkonsum als Problem, weniger die Böller. „Zu den üblichen Einsätzen an Silvester gehören Konflikte manchmal auch Reibereien, bei denen wir eingreifen müssen. Oft ist Alkohol im Spiel“, so Göppert. Die Leute würden sich auch ohne Feuerwerk draußen treffen. Daher rechnet er mit keinem großen Effekt des Verbots für ihre Arbeit.

Auf ein ruhiges Silvester könnten sich die Beamten daher nicht einstellen, so Göppert. Es gehöre zur Aufgabe der Polizei, die Einhaltung der aktuellen Auflagen zu überprüfen, größere Versammlungen aufzulösen oder die Masken- und Abstandsregeln zu kontrollieren. „Wir müssen auf alles vorbereitet sein und je nach den geltenden Regeln spontan und flexibel agieren“, erklärt Simon Göppert.

Feuerwehr warnt wie Ärzte vor illegaler Pyrotechnik

„Während vielerorts in Deutschland die Silvesternacht zu einer der einsatzreichsten Nächte zählt, trifft dies für die Feuerwehr Überlingen, zumindest wenn man die letzten Jahre betrachtet, nicht zu“, schreibt Daniel Dillmann auf Anfrage. Er gehört zum Team Öffentlichkeitsarbeit bei der Freiwilligen Feuerwehr in Überlingen. Hier verbuchte man den letzten Einsatz in einer Silvesternacht im Jahr 2018. Damals brannte ein Mülleimer. Das Verkaufsverbot von Feuerwerkskörpern begrüßten die Feuerwehren trotzdem, „da sich hieraus auch unsere Einsatzzahlen reduzieren sollten und weitere Gefahrenquellen reduziert werden“, so Dillmann. Aber wie immer seien er und seine Kollegen in dieser Nacht in erhöhter Alarmbereitschaft.

Er fügt noch Tipps für die Verwendung des auch in diesem Jahr erhältliche Kleinstfeuerwerks an: „Insbesondere Wunderkerzen sollten niemals unbeaufsichtigt sein. Zudem wollen wir eindringlich vor dem Kauf illegaler Pyrotechnik oder dem Versuch der eigenen Herstellung warnen! Feuerwerk ist Sprengstoff und bedarf daher besonderer Vorsicht!“

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Stadtreinigung muss weniger Müll beseitigen

Zu den größten Nutznießern des Feuerwerk-Verbots dürften die Mitarbeiter der Stadtreinigung gehören. In früheren Jahren wären am 1. Januar mindestens zehn Leute und eine Kehrmaschine sechs bis sieben Stunden lang im Einsatz gewesen, um den gröbsten Silvestermüll zu beseitigen, so die Pressestelle der Stadt auf Nachfrage. Im zurückliegenden Jahr, als erstmals das generelle Verbot galt, waren vier Mitarbeiter knapp drei Stunden mit den Aufräumarbeiten beschäftigt.

Am meisten vermüllt waren früher die Promenade und der Bereich Mantelhafen sowie alle beliebten Aussichtpunkte mit Blick auf den See, wie beispielsweise in der Rauensteinstraße. Dort musste die Stadtreinigung vor allem Verpackungsmaterialien von Feuerwerkskörpern, Flaschen sowie Reste von gezündeten Feuerwerkskörpern oder Raketen entsorgen. Im Jahr 2020, als erstmals ein Verkaufsverbot erlassen wurde, ließ sich ein deutlicher Unterschied erkennen. „Der Müll reduzierte sich mindestens um die Hälfte. In früheren Jahren wurden mindestens zwei Tonnen Müll am 1. Januar gesammelt. Bei der letzten Silvesterreinigung waren es lediglich 250 Kilogramm“, teilt die Pressestelle mit.

Müll von Feuerwerks-Batterien und Böllern beim Minigolfplatz. Das Bild entstand im Januar 2020.
Müll von Feuerwerks-Batterien und Böllern beim Minigolfplatz. Das Bild entstand im Januar 2020. | Bild: Jürgen Gundelsweiler

Umwelt und Tiere leiden unter Feuerwerkskörpern

Zu den eindeutigen Profiteuren eines Verbots für den Verkauf von Feuerwerk gehören die Umwelt sowie Wild- und Haustiere. Der in Überlingen lebende Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, setzt sich seit Jahren für ein Verbot von Feuerwerkskörpern ein. Dem SÜDKURIER sagte er Ende 2019: „Einmal im Jahr gibt es eine Verschmutzungs-Orgie, die Umwelt wird dabei regelrecht verwüstet, auch viele Plastik-Fragmente gelangen dadurch in die Nahrungskette.“

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Das Bundesumweltamt weist in einer aktuellen Veröffentlichung darauf hin, dass in der Vergangenheit, also vor Corona, die Feinstaubbelastung in der Neujahrsnacht eine der höchsten im ganzen Jahr gewesen sei. „Grund ist das Silvesterfeuerwerk und dessen Feinstaubausstoß“, ist in der Publikation nachzulesen. Die Daten einer Vielzahl an Messstationen hätten Werte oberhalb der Tagesgrenzwerte registriert. Die bisher einzige Ausnahme stellte die Neujahrsnacht 2020 dar, als wegen der Corona-Maßnahmen und dem Verkaufsverbot keine Spitzenwerte registriert wurden.

Feuerwerkskörper verursachen nicht nur Feinstaub und jede Menge Plastikmüll. Die Raketen enthalten nicht selten problematische Hilfsstoffe, die für die Farbeffekte sorgen. Das als giftig geltende Barium zum Beispiel erzeugt grüne und Strontium-Verbindungen rote Farben am Himmel. Nicht zu vergessen ist der Lärm von Knallern und Raketen. Er stresst Haustiere und kann die vielen am Bodensee überwinternden Seevögel in Panik versetzen.