Als sie Ende 2019 aus dem Gefängnis entlassen wurde, hatte sie nichts: Ihr Mann war in der Zwischenzeit gestorben, das Haus verkauft. „Ich hatte nicht einmal ein eigenes Bankkonto“, erzählt die 71-jährige Angeklagte vor dem Amtsgericht Überlingen. Dort musste sie sich wegen Betrugs in zwei Fällen und falscher Versicherung an Eides statt verantworten.
Die Staatsanwaltschaft warf der Seniorin aus Überlingen vor, zwei Rechnungen für Möbelstücke einer Schreinerei nicht beglichen zu haben. Zudem wurde ihr zur Last gelegt, gegenüber einem Gerichtsvollzieher des Amtsgerichts keine ehrlichen Angaben zu ihrem Einkommen getätigt zu haben.
Wie die Seniorin vor Gericht erzählte, musste sie ihr Leben nach ihrer Inhaftierung – ebenfalls wegen Betrugs – komplett neu aufbauen. „Meine Tochter hat mir geholfen, aber wir haben kein gutes Verhältnis“, berichtete sie. Weil die Angeklagte kein Haus mehr hatte, zog sie in die ehemalige Wohnung ihrer Eltern nach Überlingen. Dort wollte sie sich einrichten und bestellte im April 2020 Möbel bei einer Schreinerei.
Beim ersten Auftrag handelte es sich unter anderen um ein Bett und einen Schrank sowie die Montage der Möbelstücke im Gesamtwert von etwa 2000 Euro. Die zweite Bestellung beinhaltete einen weiteren Schrank und dessen Montage im Wert von etwa 500 Euro. Beide Rechnungen beglich die 71-Jährige jedoch nicht.
Angeklagte: „Ich hatte keine Übersicht“
„Das mit den Möbeln war keine Absicht, ich habe sie ja auch bezahlt. Also vergangenes Jahr“, bekräftigte die Angeklagte gegenüber Richter Alexander von Kennel. Dieser wollte wissen: „Was haben Sie sich denn beim Kauf gedacht?“ Die Seniorin erklärte, dass sie ein neues Schlafzimmer brauchte, Geld hatte und auch bezahlen wollte. „Es kam einfach viel zusammen. Der Stress mit meiner Tochter, das verkaufte Haus. Ich hatte keine Übersicht“, gab sie zu.
Richter von Kennel zeigte zwar Verständnis für die Situation der Frau, konnte aber nicht verstehen, warum sie die Rechnungen bei der Schreinerei nicht beglich. „Sie hatten monatliche Einnahmen von etwa 2000 Euro. Und der Akte entnehme ich, dass sie auch noch zwei Pferde hatten und ein Auto. Da hätten sie doch auch was verkaufen können, um die Rechnungen zu bezahlen“, sagte er deutlich.
Richter: „Nicht eindeutig, dass man Bewährung geben könnte“
Der Verteidiger der Seniorin ergriff das Wort und erklärte: „Sie hat es zu diesem Zeitpunkt nicht auf die Kette gekriegt, zu bezahlen.“ Alexander von Kennel verwies auf die Vorstrafen der 71-Jährigen, alle im Bereich Betrug. „Für den Fall einer Verurteilung ist es nicht eindeutig, dass man Bewährung geben könnte“, betonte er.
Wegen der falschen Versicherung an Eides statt rief der Richter den zuständigen Gerichtsvollzieher des Überlinger Amtsgerichts in den Zeugenstand. Wie er berichtete, habe er die angeklagte Frau zuhause besucht und ihr Vermögen erfasst. Grund der Vollstreckung waren nicht beglichene Anwaltskosten aus dem Jahr 2014 in Höhe von 500 Euro.
Zeuge: „Pferde und Auto hat sie angegeben“
„Es geht um die fehlende Witwenrente, von der mir die Frau nichts erzählte“, sagte der Gerichtsvollzieher, der jedoch auch betonte: „Ich kann nicht explizit bekräftigen, dass ich in dem Punkt noch einmal nachgehakt habe.“ Auf Nachfrage beschrieb er die Angeklagte als „quirlige und freundliche Frau, die keine Zahlungsversprechen halten konnte“. Außerdem betonte der Gerichtsvollzieher, dass die Frau auf ihn nicht den Eindruck machte, als hätte sie die Witwenrente absichtlich verschwiegen. „Die Pferde und das Auto hat sie ja auch angegeben“, begründete er.
Zuletzt verwies der Verteidiger auf mehrere ärztliche Gutachten, die bestätigen, dass die Angeklagte an Demenz erkrankt ist. Er forderte deswegen Freispruch für seine Mandantin. Sie sei zwar chaotisch, doch befand sich zum Zeitpunkt der Taten in einem Ausnahmezustand und habe nicht vorsätzlich gehandelt, sagte er in seinem Plädoyer.
Anders entschied sich der Staatsanwalt, der eine Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten ohne Bewährung forderte. Den Fakt der Erkrankung nahm Richter Alexander von Kennel jedoch ernst und folgte somit dem Verteidiger: „Die Angeklagte wird freigesprochen.“ Er habe bei den Handlungen der Frau keinen Vorsatz erkennen können. „Für Betrug müsste außerdem entweder eine Zahlungsunfähigkeit oder -unwilligkeit gegeben sein. Das kann ich nicht nachweisen“, erklärte von Kennel seine Entscheidung.