Waldrappe fallen öfter mal aufgrund ungewöhnlichen Verhaltens auf. Zwei Weibchen aus der Kolonie im bayerischen Burghausen brüteten 2021 auf einem Fenstersims in Rom. Auch ein Flug drei Jahre zuvor führte in den Süden: Fünf Hödinger Waldrappe büxten 2018 aus dem Winterquartier in der Toskana ebenfalls nach Rom aus. Jetzt ging es in die andere Richtung. Ende Oktober startete eine Gruppe von mindestens 18 Jungvögeln von Salzburg in den Norden. Sie stammen aus den Brutkolonien Kuchl im Land Salzburg sowie Burghausen.
Laut einer Mitteilung waren unter ihnen zwei mit GPS-Sendern ausgestattete subadulte Vögel – anderthalb beziehungsweise zweieinhalb Jahre alt –, elf ebenfalls besenderte Jungvögel, die in diesem Jahr in den beiden Brutkolonien flügge geworden sind, sowie weitere fünf nicht besenderte Jungvögel. Von diesen fünf Waldrappen gehören zwei zur Freiflugkolonie der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau in Oberösterreich.

Die Gruppe flog zielstrebig nach Norden: zunächst über Niederbayern nach Tschechien. Weiter ging es Richtung Westen in die Oberpfalz, Ludwigsstadt im Norden Bayerns, die Region um Diesdorf in Sachsen-Anhalt und Bleckede südöstlich von Hamburg. Nur drei Waldrappe waren zwischenzeitlich wieder nach Salzburg zurückgekehrt. Unter ihnen befanden sich die beiden Subadulten Koda und Eugen, bei denen es sich um die einzigen zugerfahrenen Vögel mit Kenntnis des Wintergebiets in der Toskana handelte.
In drei Tagen mehr als 1300 Kilometer
Der besenderte Jungvogel Satus folgte einem Kurs weiter nach Norden. Er erreichte am 29. Oktober die Ostsee in der Nähe von Zingst. Einen Tag später überquerte er das Meer auf einer Strecke von rund 100 Kilometern und landete in Schweden. Sichtmeldungen zufolge war Satus in einer Gruppe mit fünf weiteren unbesenderten Jungvögeln unterwegs und hält sich seit Tagen in der Umgebung von Jönköping auf. „Die Gruppe hat auf ihrem bisherigen Flug beachtliche Leistungen gezeigt. Insgesamt sind sie in nur drei Tagen mehr als 1300 Kilometer geflogen, 615 Kilometer allein am Sonntag (29. Oktober)“, teilt das Waldrappteam mit.
Die GPS-Daten von Satus weisen auf gute Windunterstützung hin: Die Fluggeschwindigkeit lag teils bei über 100 Kilometern pro Stunde. Mehr als doppelt so schnell wie die aktive Fluggeschwindigkeit der Waldrappe von etwa 40 bis 45 Stundenkilometern. Seine Begleiter konnten als drei weitere Jungvögel der Kuchler Kolonie (ohne Ringmarkierung) und zwei Jungvögel der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle identifiziert werden.
Der zweite Teil der Ursprungsgruppe ist ihnen indes auf den Fersen. Struppi und seine acht besenderten Begleiter hatten bei Bleckede Rast gemacht. „Dank vieler engagierter Personen haben wir mittlerweile die gesicherte Information, dass es sich in dieser Gruppe um insgesamt 23 Jungvögel handelt. Eine große Truppe, die einiges an Interesse auf sich zog“, erklärt das Waldrappteam. Versammelt haben sich auch hier Jungvögel aus den Kolonien Kuchl und Burghausen sowie der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle. „Die Gruppe hat heute Vormittag das Elbtal verlassen und befindet sich erneut auf dem Flug weiter Richtung Norden“, hieß es am 3. November auf der Facebook-Seite der Wissenschaftler.
Gründe für das Flugverhalten sind unklar
„Wodurch dieses Flugverhalten ausgelöst wurde, ist nicht bekannt“, schreibt das Waldrappteam. Die Jungvögel folgten ihrer Zugmotivation, jedoch ohne Kenntnis über die Lage des Wintergebiets. Die Biologen gehen davon aus, „dass [sie] aktuell in Schweden und Norddeutschland noch gute Bedingungen und ausreichend Nahrung vorfinden und nicht akut bedroht sind“. Die Experten hoffen allerdings, „dass die Jungvögel letztlich wieder umkehren und in ihr Brutgebiet zurückkehren. Dort können sie trotz der späten Jahreszeit noch auf zugerfahrene Leitvögel treffen“. Denn die extrem hohen Herbsttemperaturen hätten wieder dazu geführt, dass sich die Vögel immer noch im Umfeld der Brutgebiete aufhielten.

Die Überlinger Waldrappe sind dieses Jahr übrigens motivierter als in den Vorjahren. „Kurz bevor die letzten wärmeren Tage am Bodensee vorbei waren, kam ein Großteil (...) plötzlich in Bewegung und hat sich auf den Weg gemacht. Bernardo, Zoppo, Urmel, Obelix und Ciop sowie die beiden subadulten Yosi und Calzino sind gestartet und haben die diesjährigen Jungvögel mit in den Schweizer Alpenraum genommen“, berichtete das Waldrappteam Mitte Oktober. Die verbliebenen Waldrappe, die deutlich später gestartet wären und das Wetter nicht genutzt hätten, seien kurzerhand transferiert worden.
Das Waldrappteam ist gerade bei Vögeln ohne GPS-Sender auf Sichtmeldungen angewiesen. Diese können mit oder ohne Bilder per E-Mail an info@waldrapp.eu geschickt werden.