Der Fall beschäftigte die Justiz über drei Jahre hinweg, er ging aber aus wie das Hornberger Schießen: In Überlingen überführten Ermittler im Jahr 2020 einen Clan, der gewerbsmäßig Teppichreinigungen zu Wucherpreisen angeboten haben soll. Gegen vier Familienmitglieder im Alter zwischen 27 und 57 Jahren wurde jetzt am Amtsgericht Konstanz ein Prozess eröffnet. Die Beweislage war aber so dünn, dass der Prozess gegen Zahlung einer Auflage eingestellt wurde. Der Prozess gegen einen Hintermann, der mutmaßlich die Fäden in der Hand hielt, konnte nie eröffnet werden, weil der Mann unbekannt verzogen ist.

Juristisch betrachtet kommt Wucher in Frage

Die Anklage lautete auf Wucher. Ein Begriff, den Sandra Reichner für zu harmlos hält. „Das war Betrug, moralisch betrachtet war das Betrug.“ Sie begleitete ihren Vater, der als Zeuge am Amtsgericht geladen war. Hans Reichner lebt in Allensbach, früher Überlingen. Er ist Gründer der Firma Biologa und Erfinder des ersten Netzfreischalters. Ihr Vater habe immer hart gearbeitet, umso mehr ärgere es sie, dass jemand versuchte, ihm so dreist Geld aus der Tasche zu ziehen – für die Reinigung von Perserteppichen, die heutzutage nichts mehr wert seien.

Tochter verhindert größeren Schaden

Hans Reichner meldete sich im Juli 2020 auf eine Werbeanzeige einer Überlinger Teppichreinigungsfirma. Ein Trupp aus Überlingen sei sofort zu ihm nach Hause gekommen, habe seinen Teppich eingerollt und fortgeschleppt. Laut Anklageschrift knöpften sie ihm eine Anzahlung von 500 Euro in bar ab, vereinbarten insgesamt aber eine Zahlung über 3700 Euro. Irgendwie kam ihm die Sache spanisch vor, deshalb erzählte er es seiner Tochter. Auf ihr Anraten hin informierte er die Polizei und die Ermittlungen kamen ins Rollen.

Rechtzeitig Angehörigen ins Vertrauen ziehen

Sandra Reichner betont, wie wichtig es ist, dass man mit seinen betagten Eltern gut in Kontakt bleibt. Sonst ist die Gefahr groß, dass sich aus falsch verstandener Scham jemand nicht offenbart, nachdem er windigen Geschäftsleuten auf den Leim gegangen ist. Sie könnten dann wiederum Druck aufbauen und noch mehr Geld abzocken. Angehörige dagegen, die mit Abstand auf die Sache blicken, sich vielleicht Alternativangebote einholen, könnten einen größeren Schaden verhindern.

Miese Masche mit angeblich wertvollen Teppichen: Eine mittlerweile in Überlingen nicht mehr ansässige Firma schwatzte ahnungslosen ...
Miese Masche mit angeblich wertvollen Teppichen: Eine mittlerweile in Überlingen nicht mehr ansässige Firma schwatzte ahnungslosen Kunden Arbeiten zu überteuerten Preise auf. | Bild: Hilser, Stefan

Der Fall Reichner ist nicht der einzige Fall. Als Zeuge vor Gericht war ein 82-jährige Mann aus Konstanz geladen, der seine Frau vor einem Deal mit den Angeklagten bremste. Das ging so: Seine Frau habe ihm freudig darüber berichtet, dass sie ihren etwa zwei Mal drei Meter großen Perserteppich für 3000 Euro reinigen lasse. „Ein Erbstück, das meiner Frau ganz lieb war, dem ich selbst aber keinen Wert zugemessen habe“, erzählte er dem SÜDKURIER. Er sei sofort nach Überlingen in das Geschäft des Clans gefahren und habe die Herausgabe des Teppichs gefordert. Erst hätten sie behauptet, er sei schon in der Reinigung, tatsächlich lag er aber im Lieferwagen, der vor dem Geschäft geparkt war. Was mit der Anzahlung über mehrere hundert Euro, die seine Frau bezahlt hatte geschah, ist nicht bekannt.

Die vier Angeklagten kommen straffrei davon

Die geladenen Zeugen hätten vor Gericht gerne ausgesagt. Es kam aber nicht dazu. Niemand wurde in den Zeugenstand gerufen, denn das Gericht stellte den Prozess gegen die vier Angeklagten ein. Sie zahlen teils eine Auflage von 1000 Euro oder leisten 120 Arbeitsstunden ab. Die Beweislage, mit der zweifelsfrei Wucher nachgewiesen hätte können, war offensichtlich sehr dünn.

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Der SÜDKURIER berichtete im August 2021 über einen Senior aus Radolfzell, dem der Überlinger Clan fast 15.000 Euro abgeknöpft hätte. Der Fall war ähnlich gelagert, auch hier wurde behauptet, es handle sich um einen wahnsinnig wertvollen Teppich, für dessen Werterhalt eine aufwändige Reinigung, Reparatur und Erneuerung der Fransen nötig sei. In diesem Fall schritt eine stutzig gewordene Bankangestellte ein, als der Herr das viele Bargeld abheben wollte. Zudem meldete sich nach dem Bericht in unserer Redaktion eine Geschäftsfrau aus Salem, die 2500 Euro für eine mutmaßlich sehr überteuerte Teppichreinigung auszahlte. „Dieselbe Masche!“, ärgerte sie sich, ging aber nicht zur Polizei.

Umzug in Nacht- und Nebel-Aktion

Als der SÜDKURIER die Firma damals am Telefon mit den Vorwürfen konfrontierte, antwortete ein Mitglied der Familie, dass es sich nicht um Wucher handle, sondern der Preis gerechtfertigt sei. Ein vereinbartes Interview in dem Geschäft, in dem der Aufwand näher erklärt werden sollte, platzte, weil der angekündigte Gesprächspartner nicht zum Termin erschienen ist.

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Eine weitere Zeugin wäre die Vermieterin des Clans gewesen. Sie berichtete dem SÜDKURIER davon, dass sie über das Geschäftsgebaren der Angeklagten nichts sagen hätte könne, nur, dass sie noch Mietschulden bei ihr hätten. Sie seien nämlich in einer Nacht- und Nebel-Aktion aus Überlingen fortgezogen.