Bis Ende des Jahres wird die Telekom alle analogen und ISDN-Telefonschlüsse ihrer Privatkunden auf Internet-Telefonie umgestellt haben. Im Lauf des Jahres 2020 soll IP-Telefonie auch bei allen Geschäftskunden Standard sein. Wöchentlich werden die Anschlüsse von bis zu 70.000 Kunden migriert.
Problemgebiet Hotzenwald
Das funktioniere in der Regel gut, sagt die Telekom. Nur bei einer sehr geringen Anzahl von Kunden könne es zu Problemen kommen. Dies treffe insbesondere für Anschlüsse weit außerhalb von Ortschaften zu, wo der nächste Telekom-Verteilerkasten mehrere Kilometer entfernt sei und kein Breitbandnetz besteht. Willkommen im Hotzenwald!
Vor über 20 Jahren zog der Tontechniker Till Erb in den zur Gemeinde Rickenbach gehörenden kleinen Weiler Jungholz. „Ich hatte als erster im Dorf Internet“, erzählt er bei einer Tasse Kaffee am Esstisch in seiner Wohnküche. Zuerst brachte AOL das Internet über ein pfeifendes Modem ins Haus. Später wechselte Erb zur Telekom.
Telefonieren oder surfen – beides geht nicht
Zuerst hegte er noch Hoffnungen auf einen Anschluss an die Datenautobahn irgendwann. Schließlich gewöhnte er sich daran, dass im Download pro Sekunde nicht mehr als 2 MBit drin waren. „Ich bin hier eben 4,5 Kilometer vom nächsten Verteiler in Rickenbach entfernt.“ Wenn Erb in seinem Arbeitszimmer zum Beispiel für die Hotzenwälder Kleinkunstbühne Videos von Live-Auftritten im Café „Verkehrt“ zur Bearbeitung hochlud, dauerte das schon mal mehrere Stunden.
Anfang 2018 stellte die Telekom Erbs Anschluss auf Internet-Telefonie um. Danach begannen die Probleme. „Verkauft haben sie mir 16 MBit. Es kamen aber nur die alten 2 MBit ins Dorf, davon hat die Telefonie 1,5 benötigt, der Rest reichte nicht fürs Internet“, berichtet Erb. Die Telekom räumte ihm schließlich ein Sonderkündigungsrecht ein.
Seit Anfang 2019 ist der Tontechniker bei Festnetztelefonie und Internet Kunde eines kleinen regionalen Dienstleisters, der entlang des Hochrheins und im Hotzenwald über Funk über zwei Dutzend Ortschaften mit schnellem Internet versorgt.
Der 950 Meter hoch über dem Rhein- und dem Wehratal gelegene Herrischrieder Ortsteil Hornberg bietet eine phantastische Fernsicht. Das Internet allerdings ruckelt aus einem sieben Kilometer entfernten Verteiler an. Hier betreibt Nicolaus von der Osten seit 2010 in einem ehemaligen Bauernhaus die Ferienwohnungsanlage Dreiländerblick.

Als Ersatz für die miserable Mobilfunkverbindung konnten die Gäste in den fünf modern eingerichteten Appartements bis vor kurzem kostenlos die dort verfügbaren ISDN-Telefone benutzen. „Es hat alles soweit funktioniert, bis auf IP umgestellt wurde“, erinnert sich von der Osten. Noch fast zwei Jahre später kommt dem 63-Jährigen die Galle hoch, wenn er davon berichtet, was Verkäufer ihm aufschwatzen, obwohl es technisch gar nicht funktionieren konnte.
Zuerst sei ihm für die Ferienwohnungen eine Hybrid-Lösung mit DSL- und LTE-Verbindungen versprochen worden, so von der Osten. Mal habe die eine Linie funktioniert, mal die andere. Schließlich habe die Telekom im Mai 2018 wieder ISDN aktiviert. Doch natürlich konnte das nur eine Zwischenlösung sein. Dezember 2018 habe er die definitive Kündigung durch die Telekom erhalten. „Da die mir keine funktionierende Lösung anbieten konnten, habe ich gesagt: ‚Dann lassen wir‘s eben.‘“
Nichts geht mehr
Seitdem könne er seinen Gästen kein Festnetz mehr zur Verfügung stellen. Im Juli 2019 folgte schließlich auch die Kündigung für den privat genutzten ISDN-Anschluss, auf den inzwischen auch die geschäftlichen Nummern geschaltet worden waren. Von der Osten versuchte es mit einem neuen Vertrag mit der Telekom. „Am 17. Oktober haben sie ISDN endgültig abgeschaltet und Cloud PBX aktiviert. Danach ging gar nichts mehr.“
Dass von der Osten wieder übers Telefon Verbindung zur Welt hat, verdankt er der eigenen Initiative und der exponierten Lage seines Hauses. Der studierte Elektrotechniker und ehemalige Geschäftsführer einer Digitaldruckerei holte sich über einen 37 Kilometer entfernt stehenden französischen Funkmasten, die Mobilfunkkarte eines französischen Anbieters und einen Vertrag mit einem Düsseldorfer Internet-Telefonie-Anbieter wieder Festnetz ins Haus.
Dass er zu solchen technischen Purzelbäumen gezwungen wird, macht ihn wütend – auch als Steuerzahler. Ausgerechnet das reiche Deutschland leiste sich eines der schlechtest ausgebauten Kommunikationsnetze der Welt. „Ich war in Finnland, ich war im Baltikum, ich war in Polen – nirgendwo ist man so vergessen wie hier!“
Hätten vor 100 oder 50 Jahren die gleichen Maximen gegolten wie heute, wäre zu seinem Haus wohl nie eine Strom- oder eine Telefonleitung gelegt worden, glaubt Walter Freter. Denn das habe sich damals in dem zur Gemeinde Herrischried gehörenden Wehrhalden betriebswirtschaftlich genauso wenig gelohnt, wie heute der Aufbau eines flächendeckenden Breitbandnetzes.
Hoffnung Breitbandausbau
Aber dass es dem Quasi-Festnetzmonopolisten nun auch noch erlaubt sei, das im Hotzenwald verlässlich funktionierende ISDN einfach zu kappen, obwohl kein funktionierender Ersatz zur Verfügung stehe? „Ich weiß nicht, ob das mit dem Versorgungsauftrag vereinbar ist, den die Telekom doch immer noch zu erfüllen hat“, sag der 61-jährige selbständige Architekt.
Freter ist froh darüber, dass das Land, der Landkreis Waldshut und die Gemeinden endlich auf den Plan getreten sind, dem offensichtlichen Versagen des Marktes mit öffentlichen Investitionen in die Breitbandinfrastruktur zu begegnen.
2017 haben Kreis und Gemeinden begonnen, mit finanzieller Unterstützung des Landes ein 380 Kilometer langes Rückgrat für die Breitband-Erschließung zu bauen, ein privater regionaler Versorger soll es später betreiben. Rund 30 Millionen Euro investiert der Landkreis in das Backbone-Netz, mindestens weitere 170 Millionen kostet die Gemeinden der Bau der Ortsnetze.
„Realistisch gesehen werden wir hier in Herrischried frühestens in vier Jahren funktionierendes Breitband haben“, glaubt Freter. Bis dahin werde er eben doppelt zahlen müssen, bilanziert er nüchtern. Um weiterhin den fürs Geschäft wichtigen Festnetzanschluss nutzen zu können, hat der Architekt seinen alten ISDN-Vertrag in einen neuen für IP umgewandelt.
Weil auch bei ihm das bis dahin schlecht und recht funktionierende „Dorf-DSL“ wegen der Internettelefonie in die Knie ging, musste er sich um Ersatz bemühen. Zu seinem Glück empfängt er seit der Errichtung von fünf Windrädern 2016 auf dem auf der anderen Seite des Wehratals liegenden Rohrenkopf ein LTE-Signal. Das kann er zur Herstellung einer zuverlässigen Internetverbindung nutzen, für die er allerdings extra zahlen muss.
Am besten funktioniert die Sache mit der Internet-Telefonie eigentlich noch bei Axel Laule. Das vor allem, weil der im Laufenburger Stadtteil Hochsal lebende 62-jährige Chemietechniker vorwiegend analog unterwegs ist. Bis zum Eintritt in die Altersteilzeit pendelte der drahtige Laule, den alle nur Gusty nennen, die 30 Kilometer zu seiner Arbeitsstelle in Rheinfelden mit dem Rad. Die fünf Kilometer zur abendlichen Doppelkopfrunde in Laufenburg legt er zu Fuß zurück. Die Tageszeitung hat er auf Papier abonniert.
Online über das Schweizer Netz
„Das Internet brauche ich eigentlich nur für Online-Banking und um mal ein Musikvido auf Youtube zu schauen“, sagt Laule. Doch nicht einmal dafür reichten nach der Umstellung auf IP im Sommer 2018 die 2 MBit, die ihm in Hochsal zur Verfügung stehen. Laule wandte sich an den technischen Service der Telekom. „Die waren sehr freundlich und haben mir gleich gesagt, dass das bei mir gar nicht funktionieren kann, was sie mir verkauft haben.“
Ein Techniker stöpselte Laules Router aus steckte das Telefonkabel in die alte Telefondose. Was aussieht wie analog, ist digital. Denn Laules Anschluss wird über das IP-Netz bedient. Das Telefonieren funktioniert, weil der Verteilerkasten nicht so weit entfernt ist, dass das Kupferkabel die Daten vollends ausbremsen könnte, bevor sie den Hausanschluss erreicht haben.
Und es funktioniert, weil Laule die Leitung nicht fürs Internet benötigt. Denn er geht im keine zwei Kilometer Luftlinie von der Schweizer Grenze entfernten Hochsal jetzt über das Schweizer Mobilfunknetz online. Dafür hat er sich die SIM-Karte eines Schweizer Anbieters besorgt. Laule: „Das klappt super und ist auch billig. Hier in Hochsal machen das einige so.“