Einsatzgebiet 1: Wohngemeinschaften für seelisch stark belasteten Menschen
Früher hatte Friedrich „Freddy“ Golz (75) ein normales Leben: „Ich war verheiratet, hatte zwei Kinder, war erfolgreich selbstständig“, erinnert er sich, „doch dann ist alles auf einmal zusammengebrochen“. 2009 geht sein einst europaweit erfolgreiches Industrieunternehmen pleite, er muss Insolvenz anmelden. Gleichzeitig zerbricht seine Ehe und schon bald darauf bekommt er zum ersten Mal die Diagnose: „Krebs!“ Über die Jahre folgen drei weitere Male. Er übersteht Darmkrebs, Lungenkrebs, Kehlkopfkrebs und Hautkrebs.

„Ich war nervlich sehr am Ende, das alles zusammen hat mir den Boden unter den Füßen weggerissen“, sagt Freddy Golz kopfschüttelnd. Über einen Betreuer, der Menschen in psychischen Notlagen hilft, bekommt er damals einen Platz in einer Awo-Wohngemeinschaft im östlichen Landkreis Waldshut. Seit fast zehn Jahren wohnt er hier, hat ein eigenes kleines Zimmer, voller Bilder, Zeitungsartikel und anderen persönlichen Stücken, die an seine schönste und erfolgreichste Zeit erinnern. Der ganze Stolz von Freddy Golz ist ein Bild von einem Ferienhaus auf Teneriffa, direkt am Atlantik, das er sechs Jahre lang sein Zuhause nennen durfte.
„Manchmal spielt das Leben einem Menschen übel mit“, sagt Barbara Muster-Heinz, stellvertretende Geschäftsführerin der Awo Waldshut- „Das ist eine von sieben Awo-Wohngemeinschaften im Landkreis, die seelisch stark belasteten Menschen ein sicheres Zuhause bieten.“ Wöchentliche ambulante Besuche durch geschultes Fachpersonal sollen Menschen wie Freddy Golz die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen. Der Mensch und seine individuellen Probleme und Bedürfnisse stünden in diesem Awo-Hilfsangebot im Zentrum. „Ganz individuell versuchen wir, den Betroffenen beizustehen und mit ihnen gemeinsam neue Wege zu finden“, so Muser-Heinz. „Zuhören, da sein, unterstützen, wo Hilfe am dringendsten gebraucht wird – das sind die Aufgaben von rund 15 Mitarbeitern.“
Freddy Golz braucht neben den regelmäßigen Gesprächen auch ärztlichen Beistand, da der Diabetiker täglich Insulin gespritzt bekommt. „Ohne die Hilfe der Awo wäre ich damals obdachlos geworden oder hätte mich selbst komplett aufgegeben“, sagt Freddy Golz heute. „Auch wenn das Leben in einer Wohngemeinschaft in meinem Alter nicht immer leicht ist, bin ich der Awo sehr dankbar – ich habe ein Zuhause!“
100 Jahre Awo – Von der Idee bis zu den Kreisverbänden
Einsatzgebiet 2: Seniorenwohnen in Wutöschingen
Claudia und Friedrich Rogg aus Bettmaringen sind seit 46 Jahren ein Paar. „Wir sind so gerne gemeinsam gereist – durch Afrika, ans Nordkap, mit dem Kreuzfahrtschiff quer über das Mittelmeer“, erinnert sich Claudia Rogg, „wir hatten ein so lebendiges und aktives Eheleben“. Doch 2016 fingen bei ihrem Mann die ersten Beschwerden an: Erst Schwindel, dann Lähmungen und schließlich stand es fest: „Er hat PSP, eine seltene Art von Parkinson, bei der besonders Augen-, Schluckmuskeln und Stimmbänder betroffen sind“, sagt Claudia Rogg.
Zunächst braucht er nur Gehhilfen, kann sogar noch mit Freunden Skat spielen. Doch schleichend wird die Krankheit schlimmer. Ende 2018 ist er ein Pflegefall, der 24 Stunden betreut werden muss. „Ich wollte das alles alleine schaffen, habe es nicht übers Herz gebracht, mir professionelle Hilfe zu holen“, erinnert sich Claudia Rogg. Die Familie, vor allem ihre Schwägerin, unterstützt sie, wo es geht. Doch nachts sitzt Claudia Rogg an seinem Bett, um ihm bei Hustenanfällen beizustehen. Tagsüber schmeißt sie den Haushalt, pflegt, füttert und umsorgt ihren Mann in jeder Minute.

„Im Juni 2019 bin ich zusammengebrochen, ich war am Ende“, erinnert sie sich, „die schlaflosen Nächte, die Sorgen – das alles war purer Stress, der sich auch auf meine Gesundheit niedergeschlagen hat.“ Aus Erschöpfung entschließt sie, sich drei Wochen Pause zu gönnen und ihren Mann in dieser Zeit in Kurzzeitpflege, in das Awo-Seniorenzentrum „Sonnengarten“ in Wutöschingen zu geben.
Seit 2007 gibt es hier mitten im Ortskern 28 Wohnungen für „Betreutes Wohnen“ und 50 Plätze für Menschen im Pflegeheim. „Häusliche Pflege kann die Angehörigen sehr belasten. Ist der Schritt mal getan, sind sie oft sehr dankbar, dass ihre Partner, Eltern oder Großeltern bei uns ein neues Zuhause finden, wo sie durch Pflege und Betreuung gut aufgehoben sind“, sagt Martina Meier, Leiterin des Seniorenzentrums. „Die Angehörigen können ein Stück der Last an uns abgeben und die gemeinsame Zeit wieder schätzen.“
So geht es auch Claudia Rogg: „Nach den drei Wochen Kurzzeitpflege habe ich gemerkt, dass es ihm gut geht, er gut aufgehoben ist und habe mich getraut ihn loszulassen“, sagt sie. „Die häusliche Pflege war eine Riesenlast – zu diesem Schritt hätte ich mich schon viel früher durchringen sollen.“ Sie besucht ihn jeden zweiten Tag und holt ihren Friedrich, solange es noch geht, an den Wochenenden für kuschelige Fernsehabende nach Hause. „Das ist so viel wert“, sagt sie lächelnd.
Einsatzgebiet 3: Hilfe bei der Integration
Es war der 23. Januar 2016, 5 Uhr morgens, als Scharfan Karschak (27) an der türkischen Küste in ein überfülltes Schlauchboot stieg, um das Mittelmeer zu überqueren. „Ich hatte Angst, es war dunkel und mir war bitterkalt“, erinnert sich der syrische Kurde. Seine heutige Frau, Sivan Imbrahim (24), hatte das Mittelmeer ebenfalls in einem Gummiboot überquert. Und beide hatten sich als Teil der großen Flüchtlingswellen 2015/2016 bis nach Bad Säckingen durchgeschlagen.
„Wir kommen beide aus der Nähe von Aleppo, aber erst hier in Deutschland haben wir uns kennengelernt und geheiratet“, sagt Karschak stolz und deutet auf ein Hochzeitbild, auf dem seine Sivan aussieht wie eine Prinzessin. Am Anfang sei es schwer gewesen, in Deutschland. Doch das Integrationsmanagement für geflüchtete Menschen, das die Awo im Auftrag der Stadt Bad Säckingen übernommen hat, hat beiden beim Start ihres neuen Lebens geholfen. „Die vielen Anträge für Sprachschulbesuche, Wohngeld und Asyl waren am Anfang sehr kompliziert“, erinnert sich Karschak.

Rafika Aydogan ist eine von drei Integrationsmanagern in Bad Säckingen. „Wir begleiten aktuell rund 150 Menschen und deren Familien in allen Lebensbereichen“, sagt Aydogan. „Unsere Aufgabe ist es, sie beim Start in Deutschland zu unterstützen und ihnen dabei zu helfen, Teil unserer Gesellschaft zu werden.“ Die Vermittlung von Sprachkursen, Ausbildungs-, Praktikums- und Arbeitsstellen, Wohnungen, Arztterminen und Vereinen sieht sie ebenso als Teil der Aufgabe, wie die Begleitung und Aufklärung rund um die kulturellen Unterschiede und die vielen Fragen, die diese Unterschiede aufwerfen. „Ziel ist es, dass jeder ein selbstständiges Leben leben kann“, sagt Aydogan.
Bei Scharfan und Sivan ist das geglückt: Heute sprechen beide gut deutsch. Sie haben eine eigene kleine Wohnung, ein Auto und Scharfan Karschak hat eine Festanstellung. „Endlich sind wir frei und nicht mehr abhängig von Ämtern und Behörden“, sagt er. In ihrer neuen Heimat genießen sie besonders gemeinsame Spaziergänge an der Rheinpromenade. „Wir freuen uns auf eine sichere Zukunft. Das ist ganz besonders wichtig, denn jetzt werden wir eine Familie. Im Mai bekommen wir unser erstes Baby“, lächelt Sivan Imbrahim. „Wir sind in Deutschland angekommen und lieben Bad Säckingen.“
Und auch weiterhin wird Integrationsmanagerin Rafika Aydogan für die Familie da sein: „Sivan ist stark sehbehindert, sie hat nur noch eine 20-prozentige Sehfähigkeit“, sagt Aydogan. „Sobald das Baby da ist, werde ich die beiden zu Spezialisten begleiten, um zu sehen, ob es eine medizinische Lösung für die junge Frau gibt.“