Weite Kreise hat die Berichterstattung unserer Zeitung über die ablehnende Haltung der Mitarbeiter des Klinikums Hochrhein gegenüber der geplanten Gründung einer Pflegekammer im Land gezogen – und ein breites Spektrum an Reaktionen hervorgerufen. Der Gründungsausschuss der Institution wirbt nun mit Verve für die Einrichtung und kündigt Informationsveranstaltungen an. Unterdessen findet eine Pflegefachkraft aus Rheinland-Pfalz, einem von zwei Bundesländern, in denen es bereits eine Pflegekammer gibt deutliche Worte der Ablehnung und appelliert an ihre baden-württembergischen Berufskollegen: „Wehrt euch gegen die geplante Pflegekammer. Sie ist so unnötig wie ein Kropf.“

Woran entzündet sich der Widerstand der Klinik-Mitarbeiter?

Stellvertretend für viele ihrer Kollegen hatten Elke Milkau und Peter Vogelbacher, zwei langjährige Mitarbeiter des Klinikums Hochrhein, wie auch der Betriebsratsvorsitzende des Klinikums, Klaus Spinner, auf Nachfrage unserer Zeitung ihre Kritik an der geplanten Pflegekammer-Gründung zum Ausdruck gebracht. Insbesondere monierten sie die Erfassung persönlicher Daten, die ohne ihr Wissen erfolgt sei.

Aspekte wie die Pflichtmitgliedschaft, die Befürchtung, es werde ein weiteres Instrument geschaffen, das Pflegekräfte gängeln könnte, ist groß. Auch lasse sich nicht erkennen, wie eine Pflegekammer den Pflegeberuf qualitativ aufwerten oder das Renommee steigern könne, so die Betroffenen: „Eine Pflegekammer mit Zwangsmitgliedschaft wird sicherlich nicht dafür sorgen, dass mehr junge Leute diesen Beruf ergreifen oder dass die Rahmenbedingungen besser werden.“

Wie sehen das Betroffene in Rheinland-Pfalz?

Die Zuschrift von Michelle Schauf, Koordinationsleitung der Arbeitsgemeinschaft Behinderte und Senioren (ABS) im rheinland-pfälzischen Meerfeld, scheint Wasser auf die Mühlen der Kritiker zu sein: Die Pflegekräfte leisteten „seit Jahren schon diese Zwangsabgabe mit weit über 100 Euro pro Jahr an die Pflegekammer“, schreibt sie als Reaktion auf unsere Berichterstattung. Als Gegenleistung erhielten die Pflegekräfte vier Hochglanzbroschüren übers Jahr „mit längst veralteten Informationen, die kein Mensch braucht und die niemandem nützen“.

Die „Chefetage“ bestehe auch vorwiegend aus Personen, die gar nicht in der Pflege tätig seien oder dies jemals waren, und folglich keine nennenswerte Ahnung von dem Metier besäßen, das sie repräsentieren sollten. Entsprechend blieben Sorgen und Nöte der Kammermitglieder häufig unbeachtet, und die wirklich „heißen Eisen“ würden ihrer Erfahrung nach nicht angepackt – sehr im Gegensatz zu anderen Institutionen, so Schauf.

Wie reagiert der Kammer-Gründungsausschuss?

Derweil wandten sich in einer ersten Reaktion auch gleich mehrere Mitglieder des Gründungsausschusses der Pflegekammer an unsere Zeitung. Auf Anfrage unserer Zeitung erteilte Ausschuss-Vertreterin Alexandra Heeser Auskunft und verwahrte sich vor allem gegen den Vorwurf der mangelnden Vorab-Information vor Erfassung der Daten. So sei den Arbeitgebern bereits im Vorfeld rechtzeitig Material zur Verfügung gestellt worden, das eben zum Zwecke der Mitarbeiterinfo hätte genutzt werden sollen: „Wenn dies nicht erfolgt ist, hat der Arbeitgeber hier ein Pfund verspielt, die Pflegekräfte transparent einzubinden“, so Heeser.

Wichtig sei insbesondere hervorzuheben, dass die Pflegekammer für den Pflegeberuf sehr wohl erhebliche Vorteile mit sich bringe: „Mit ihr bekommt der Beruf Pflege überhaupt erst eine berufspolitische Entscheidungsfreiheit und eine Stimme im politischen Gesundheitswesen“, betont Heeser. Denn: „Das dauernde Gejammer der Berufsgruppe sowie die fehlende einheitliche Stimme in der Öffentlichkeit sind Gründe, warum der Beruf auch in der Wahrnehmung unattraktiv ist.“

Wie sollen Pflegekräfte von der Kammer profitieren?

Nur mit einer Kammer lasse sich hier etwas zum Besseren ändern, denn es ließen sich eine Berufsordnung eine Fort- und Weiterbildungsordnung schaffen und somit Standards setzen. Ganz abgesehen davon werde mit der Kammer und ihrer Pflichtmitgliedschaft überhaupt erstmals geklärt, wie viele Pflegekräfte es in Baden-Württemberg überhaupt gebe. Das, so Heeser, wisse bislang nämlich nicht einmal das Sozialministerium.

„Wenn wir an den Bedingungen vor Ort in der Pflege etwas ändern wollen, dann müssen wir auf politischer Ebene ansetzen.“ Das wolle die Pflegekammer tun, und könne das als Körperschaft des öffentlichen Rechts auch umsetzen. Durch die Pflichtmitgliedschaft sei auch gewährleistet, dass die Kammer „als einzige Organisation für alle Pflegenden sprechen kann“.

Diese Zielsetzung verfange offenbar gerade beim pflegerischen Nachwuchs, wie Alexandra Heeser darstellt, denn bei Auszubildenden komme die Idee der Pflegekammer sehr gut an. Dies sei nicht zuletzt dadurch zu erklären, dass auch die Möglichkeit bestehe, verlässliche Standards zur beruflichen Weiterentwicklung zu etablieren. Die Förderung des Images des Pflegeberufs sei ohnehin eine wichtige Aufgabe.

Wie sehen die Erfahrungen mit Pflegekammern in anderen Bundesländern aus?

Aktuell gibt es neben Rheinland-Pfalz nur noch eine Pflegekammer in Nordrhein-Westfalen Pflegekammern. Gemeinsam mit dem Deutschen Pflegerat formieren sie auch die Bundespflegekammer.

In Schleswig-Holstein und Niedersachsen wurden die Institutionen per Mitgliedervotum wieder abgeschafft. In Schleswig-Holstein votierten 92 Prozent der Mitglieder für die Auflösung, in Niedersachsen 71 Prozent. Durchgehender Kritikpunkt war laut Medienberichten vor allem der unklare Zweck der Pflegekammer zwischen Gewerkschaften und anderen Berufsverbänden.

Bayern hat mit der „Vereinigung der Pflegenden in Bayern“ eine Alternative zur Pflegekammer geschaffen, die auf freiwilliger Mitgliedschaft basiert. Alle anderen Bundesländer verfügen noch nicht über eine Pflegekammer oder eine vergleichbare Institution.

Wie geht es in Baden-Württemberg weiter?

In erster Linie mit Werbung. Auf verschiedenen Kanälen werde der Gründungsausschuss seine Bemühungen in Sachen Information in den kommenden Wochen und Monaten fortsetzen. Zum Einsatz kommen Kammerbotschafter, die Veranstaltungen in den Regionen anbieten. Es gebe Anzeigenkampagnen und Infos im Internet, kündigt Alexandra Heeser an.

Der Gründungsausschuss werde am 8. Januar 2024 schließlich alle gemeldeten Pflegefachpersonen anschreiben. Danach haben diese sechs Wochen Zeit, Widerspruch einzulegen. Widersprüche, die vor Versand des Anschreibens beim Gründungsausschuss eingehen, werden nicht gewertet.

Am 11. März werde das Sozialministerium feststellen, ob das 60-Prozent-Quorum erreicht wurde, sprich: Wenn 60 Prozent der Pflegekräfte einer Mitgliedschaft zustimmen, kommt die Kammer zustande. Dann sind auch all jene automatisch Pflichtmitglied, die sich dagegen ausgesprochen haben.

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