Acht bis zwölf Wohnmobile und Wohnwagen mit französischen Kennzeichen standen jüngst über einen Zeitraum von rund zwei Wochen auf dem Parkplatz beim Bad Säckinger Waldbad. Sie beherbergten Menschen, die hier übernachteten, sich abends versammelten, zusammen aßen und lachten, wie Beobachter schildern. Ein Verhalten, das völlig konträr zum aktuellen Erleben der meisten Einwohner der Stadt wirkte. Ist doch das gesellschaftliche Leben durch Lockdown und Corona-Verordnung nahezu zum Erliegen gekommen. Treffen sind nur in äußerst begrenztem Umfang erlaubt, und gerade im Hinblick auf Einreisen aus Frankreich gelten strikte Richtlinien.
Folglich fand sich am Waldbad eine Situation, die teils für Kopfschütteln und Unverständnis sorgte und einigen Bad Säckinger Bürgern übel aufstieß. So auch Christian Kühn, der sich in dieser Zeit immer wieder an das Ordnungsamt der Stadt wandte, „da dieses Verhalten meiner Meinung nach klar gegen die Corona-Verordnung verstößt“.
Doch was hatte es mit den Menschen beim Waldbad überhaupt auf sich? Hatten sich etwa Camping-Touristen in der Kurstadt versammelt? „Nein. Es handelt sich um eine Gruppe des fahrenden Volks“, erklärt Muriel Schwerdtner, die Leiterin des städtischen Rechts- und Ordnungsamts auf Nachfrage des SÜDKURIER. Keineswegs ungewöhnlich sei es, dass die Gruppe um diese Jahreszeit in Bad Säckingen Halt mache, ein paar Tage hier verweile und dann weiterziehe. Unter normalen Bedingungen also kein Problem. Doch wie sieht das in Pandemiezeiten aus?
Eine Gruppe, die durchs Raster der Pandemie-Verordnungen fällt
Der Umgang mit dem fahrenden Volk sei generell schwierig, so Schwerdtner: „Diese Menschen haben kein Zuhause, wie es für uns selbstverständlich ist. Ihr Haus ist das Wohnmobil oder der Wohnwagen.“ Anders wie es beispielsweise im Nachbarland Frankreich verpflichtend ist, verfügen die meisten Städte in Deutschland – darunter auch Bad Säckingen – nicht über einen festen Platz, wo die Menschen des fahrenden Volks mit ihren Fahrzeugen stehen können.
„Wir haben uns in der Stadtverwaltung bewusst dafür entschieden, die Menschen beim Waldbad campieren zu lassen“, so Schwerdtner. Als Hauptgrund führte sie die Corona-Verordnung an und führte aus: „Der Platz befindet sich etwas außerhalb und wenn wir den Personen mit ihren Fahrzeugen mehrere Plätze im Stadtgebiet zugewiesen hätten, hätten wir mehr Bewegungen gehabt“, so Schwerdtner. Und die seien ja gerade unter Pandemiebedingungen zu vermeiden.
Aber misst die Stadt hier nicht mit zweierlei Maß? Diesen Eindruck hatte unter anderem Christian Kühn: „Es kann doch nicht sein, dass Bürger ein Bußgeld bekommen, wenn sie während der Ausgangssperre alleine spazieren gehen, die Kontaktbeschränkungen und Quarantänevorschriften in diesem Fall aber nicht durchgesetzt werden.“ Kühn möchte mit seiner Haltung keinesfalls in eine fremdenfeindliche Ecke gestellt werden: „Mir ist sehr wichtig hervorzuheben, dass es mir überhaupt nicht um diese Bevölkerungsgruppe geht, sondern nur um den Infektionsschutz und die Umsetzung der Regeln, die einfach für alle gleich sein müssen.“
„Die Corona-Verordnung gilt selbstverständlich für alle Personen, die sich hier aufhalten, gleichermaßen“, bestätigt Schwerdtner und so hätten Mitarbeiter des städtischen Ordnungsamts den Menschen beim Waldbad die geltenden Regeln und auch die Kontaktbeschränkungen erklärt.
Gruppe wird faktisch als ein Haushalt definiert
Doch welche Regelungen sind in der Corona-Verordnung für das fahrende Volk während der Pandemie überhaupt vorgesehen? Die Antwort aus dem baden-württembergischen Sozialministerium ist ernüchternd: „Seitens des Sozialministeriums gibt es keine Vorgaben/Handlungsempfehlungen oder besondere Informationspflichten für die zuständigen Behörden“, schreibt ein Sprecher. Generell gebe es keine besonderen Regelungen. Unterm Strich müssten die Gruppenmitglieder wohl als „ein Haushalt“ betrachtet werden. Denn faktisch lebten sie ja zusammen, übernachteten gemeinsam und teilten sich Küche, Bad und weitere Räumlichkeiten.
Und damit sieht sich Bad Säckingens Bürgermeister Alexander Guhl in seinen schlimmsten Befürchtungen bestätigt: „Das fahrende Volk wurde bei allen Corona-Regelungen schlichtweg vergessen.“ Dies stelle Kommunen, die als Ortspolizeibehörde für die Kontrollen zuständig seien, freilich vor besondere Herausforderungen. Gleichzeitig müsse eine Stadt aber auch ihrer historisch begründeten Verantwortung nachkommen, die nun einmal für das fahrende Volk bestehe. Und Guhl lässt keinen Zweifel: Bad Säckingen nehme dies sehr ernst. „Aus diesem Grund stellen wir im Rahmen unserer Befugnisse diesen Menschen in Form einer Sondernutzungserlaubnis einen Platz zur Verfügung. Gleichzeitig müssen sie sich aber auch an unsere Vorgaben halten und entsprechende Gebühren entrichten“, so Guhl weiter. All dies sei im vorliegenden Fall auch anstandslos geschehen.
Wie Muriel Schwerdtner darstellt, seien täglich Mitarbeiter des Ordnungsamts beim Waldbad zu Kontrollen gewesen, gerade auch um Beschwerden nachzugehen. Um die Verordnung besser einhalten zu können, hätten die Abstände zwischen den Wohnwagen auf Weisung der städtischen Behörde vergrößert werden müssen.
Verwaltungsgericht weist Klage gegen Stadt ab
Christian Kühn kritisiert dagegen das Vorgehen der Stadt als inkonsequent und halbherzig. Kontrollen hätten nach vorheriger Ankündigung stattgefunden. In mindestens einem Fall sei die Quarantäne-Regelung nicht ordnungsgemäß umgesetzt worden. Konkret geht es um einen Mann, der aus Frankreich eingereist war, der aber nach negativem Schnelltest unbehelligt seiner Wege ziehen durfte. Personalien seien zudem erst dann vom Ordnungsamt überprüft worden, nachdem er selbst ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, schildert Kühn.
Letztlich habe er Anfang April sogar beim Verwaltungsgericht Freiburg auf ordnungsrechtliches Einschreiten der Stadt Bad Säckingen geklagt. Ohne Erfolg, denn das Gericht sah es nicht als erwiesen an, dass durch die Camper die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Gefahr wäre. Die Klage wurde abgewiesen. Für Kühn ist diese Entscheidung unverständlich, wie er sagt. Aber „ich muss das Urteil akzeptieren. Allerdings haben wir eine Pandemie und die Stadt hat nicht einmal die Quarantänevorgaben für Einreisende aus Hochinzidenzgebieten durchgesetzt.“
Kühn: Uneinheitliche Regelung untergräbt Akzeptanz
Bürgermeister Guhl sieht derweil die gerichtliche Entscheidung als klaren Beweis dafür, dass sämtliche Regelungen und Vorgaben zur Eindämmung der Pandemie ordnungsgemäß umgesetzt wurden: „Ich wüsste bis heute nicht, was wir anders oder gar besser hätten machen sollen.“
Der gesamte Umstand sei für Kühn „im Hinblick auf die steigende Inzidenz und das Recht auf körperliche Unversehrtheit nicht zu akzeptieren“, wie er ausführt. Der Bad Säckinger ergänzt: „Auch habe ich Mühe, meinen Kinder zu erklären, warum sie seit zwölf Monaten Freunde und Schule nur eingeschränkt besuchen können und Urlaub im eigenen Wohnwagen nicht möglich ist, dies dort aber von der Stadt toleriert wird und Corona für eine gewisse Zeit nicht gelten soll.“