Wenn nichts mehr geht, weil der Druck im Job zu groß wird, man unter Angstzuständen leidet, nicht mehr schlafen kann und als Folge des Ganzen weniger leistungsfähig ist, könnte der Grund ein Burn-out-Syndrom sein.

Es kann jeden treffen. Das weiß inzwischen auch der Waldshuter Pfarrer Ulrich Sickinger. Er durchlebte totale Erschöpfung und Antriebslosigkeit. Am Ende lautete die Diagnose: Burn-out. Das war im September 2020.

Viele Anzeichen, dass etwas nicht stimmt

Im Nachhinein weiß der katholische Geistliche, dass es Anzeichen gegeben hat. Anzeichen für eine psychische Erschöpfung: innere Unruhe, Schlafstörungen, Abgeschlagenheit, Lustlosigkeit. Auch Arbeitskollegen, Freunde und Familie hätten ihm immer wieder gesagt, er solle auf sich aufpassen, einen Gang zurück schalten.

Aber es sei ein bestimmter Schlüsselmoment, der ihn vor etwa einem Jahr dazu veranlasste, sich eine Auszeit zu nehmen. „Ich war im Gespräch mit einem Mitarbeiter und habe völlig überreagiert, bin laut geworden und regelrecht explodiert. Ein anderer Kollege riet mir dann, zum Arzt zu gehen.“ Diesen Ratschlag habe der Leiter der Seelsorgeeinheit Mittlerer Hochrhein St. Verena befolgt.

Zunächst suchte er seinen Hausarzt auf. „Mein Arzt sagte dann zu mir, er habe mich schon länger beobachtet und sich gefragt, wie lange das bei mir noch gut geht.“ Die Diagnose Burn-out sei aber dennoch ein Schock gewesen. „Ich wollte das zunächst nicht wahrhaben, dachte, ich lasse mich für drei oder vier Wochen krankschreiben, und dann ist alles wieder gut.“

Während Ulrich Sickinger davon erzählt, muss er heute schmunzeln. „Jetzt weiß ich, dass es ein längerer Prozess ist, um wieder gesund zu werden. Ich war damals einfach naiv.“

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Viel Zeit für Rekonvaleszenz notwendig

Als seine Diagnose im September 2020 feststand, konnte Pfarrer Sickinger, dessen Seelsorgeeinheit 12.000 Katholiken und neun Gemeinden umfasst, aber noch nicht gleich alles aus der Hand geben. „Ich hatte noch Hochzeiten im September, die ich unbedingt begleiten wollte“, erinnert er sich. Sein Arzt habe ihm über das Wochenende Zeit gegeben.

Danach kam dann die Krankschreibung: „Ich habe mich mich ausgeruht und versucht, ein Notfallgespräch mit einem Therapeuten zu bekommen. Aber die Wartezeiten sind lang.“ Rund sechs Wochen habe es gedauert, bis er einen Termin erhalten hat. „Da habe ich erst einmal realisiert, wie viele Menschen psychisch krank sind oder ebenfalls an einem Burn-out-Syndrom leiden.“

Für den 55-Jährigen stand dann schnell fest: „Ich mache meine Krankheit bekannt und gehe in die Offensive, auch, damit keine Gerüchte aufkommen, weshalb ich wochenlang ausfalle.“ Ende Oktober hatte Ulrich Sickinger sein Notfallgespräch. Im Dezember kam der Anruf, dass er einen Platz in der Stühlinger Carossa-Tagesklinik bekommen hat. „Bis dahin habe ich viel geschlafen und entspannt. Mir ging es besser, dachte ich. Ich habe schon mit dem Gedanken gespielt, die Therapie abzusagen. Aber heute weiß ich, wie wichtig diese ist. Denn dort habe ich in Gesprächen gemerkt, dass ich vieles nur verdrängt habe.“

Offensiver Umgang mit der Erkrankung

Wichtig für ihn sei auch gewesen, dass er in der Situation nicht allein war. „Ich habe dort auch gelernt, nein zu sagen und realisiert, dass ich nicht überall dabei sein kann.“

Das Bild zeigt den ersten Gottesdienst nach der Corona-Zwangspause am 10. Mai 2020 in der katholischen Pfarrkirche Tiengen mit Pfarrer ...
Das Bild zeigt den ersten Gottesdienst nach der Corona-Zwangspause am 10. Mai 2020 in der katholischen Pfarrkirche Tiengen mit Pfarrer Ulrich Sickinger. Nur wenige Monate später erhielt er die Diagnose Burn-out. Nicht nur Gottesdienste, Hochzeiten, Beerdigungen und Taufen gehören zur Arbeit von Ulrich Sickinger, sondern auch immer mehr Verwaltungsaufgaben aufgrund der Zusammenlegung der Gemeinden.

Seit März 2021 arbeitet Ulrich Sickinger wieder als Pfarrer in seiner Seelsorgeeinheit am Hochrhein. „Bei meinen ersten Gottesdiensten in Lauchringen, Tiengen und Waldshut haben mich die Gemeindemitglieder mit Beifall empfangen. Das war einfach unglaublich. Und auch die Anteilnahme zu erfahren und zu sehen, dass die Gemeinde auch mich trägt, hat mir viel Halt und Kraft gegeben.“

Derzeit stehe er in Gesprächen mit der Erzdiozöse Freiburg. Es gehe vor allem auch darum, einen Teil der Verwaltung in andere Hände geben zu dürfen. „Denn die Verwaltung macht einen großen Teil meiner Arbeit aus. Und mit der Zusammenlegung der Kirchengemeinden haben wir auch immer mehr Arbeit bekommen.“ Früher sei ein Pfarrer für die Menschen da gewesen, erinnert sich Sickinger: „Heute bin ich Chef von 250 Angestellten und 500 Ehrenamtlichen. Das bedeutet jede Menge Arbeit und der eigentliche Gedanke hinter dem Beruf des Pfarrers, nämlich vor allem Kontakt zur Gemeinde und den Menschen zu haben, dafür ist immer weniger Zeit.“

Tipp: Auf Hinweise aus dem Umfeld achten

Besonders schlimm war für den Theologen immer der Gedanke: „Ich muss allen gerecht werden und in jeder Gemeinde präsent sein.“ Es gab eine Fülle von Erwartungen, die er dachte erfüllen zu müssen. Er habe Aufgaben schwer aus der Hand geben können, wollte und musste vieles selber machen.

„Ich kann anderen, denen es ähnlich wie mir ging, nur raten, auf das Umfeld zu achten und Hilfe anzunehmen. Mitmenschen merken oft vor einem selbst, dass man am Anschlag ist. Und therapeutische Hilfe ist sehr wertvoll für den Genesungsprozess.“

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Trotz aller Widrigkeiten sagt Ulrich Sickinger immer noch: „Pfarrer zu sein, ist mein Traumberuf.“ Dem geht der 55-Jährige jetzt schon 22 Jahre nach. „Ich wollte eigentlich schon immer Pfarrer werden. Allerdings hatte ich damals keine Abitur und habe dann erst eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann absolviert, bevor ich über den zweiten Bildungsweg mein Abitur nachgeholt habe und fünf Jahre Theologie in Freiburg und Wien studierte.“ 2007 kam er als Pfarrer nach Waldshut und leitet heute die Seelsorgeeinheit Mittlerer Hochrhein St. Verena.

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Dieser Artikel erschien erstmals am 25. Juli 2021.