„Wir können mehr als man erwartet“, sagt Björn Kelz. Er sitzt im Rollstuhl und hat selbst erlebt, wie wichtig es ist, alle Chancen zu bekommen und sein Potential ausschöpfen zu können. Und genau diese Chancen möchte der Laufenburger auch anderen Menschen mit einer körperlichen Beeinträchtigung geben.

Er hatte Perspektiven

Mit 15 Jahren war Björn Kelz über Nacht gelähmt, erst bis zur Hüfte, ein paar Tage später bis zum Hals. Es gab keine Erklärung dafür, wie er erzählt. Alles Mögliche sei getestet und dann ausgeschlossen worden. Erst nach einigen Wochen sei es besser geworden. Dann begann sein Leben im Rollstuhl. Das ist nun 30 Jahre her. Und erst nach 17 Jahren sei zu 80 Prozent klar gewesen, es handle sich um Multiple Sklerose, auch wenn das Krankheitsbild nicht ganz eindeutig darauf hindeute.

Kelz‘ Eltern seien zum Glück gegen einen Schulwechsel gewesen, er machte sein Abitur und studierte. „Ich habe an vielen Stellen in meinem Leben Glück gehabt und hatte Ausbilder und Chefs, die mich unterstützt haben“, sagt er. Er habe eine Chance erhalten, seine Leistung unter Beweis zu stellen. Als er vor zehn Jahren den Rollstuhl-Club „Rolli-Raudis“ gründete, traf er auf junge Menschen, die gar nicht so viele Chancen bekommen hätten wie er – speziell im Beruf. So entstand die Idee zu seiner Firma Mothex. Mit dieser möchte er Menschen mit Handicap eine Chance zu geben, sich beruflich qualifizieren und beweisen zu können.

So funktioniert das Konzept

Motivierte Menschen mit Handicap vom Hochrhein absolvieren ein freiwilliges und unbezahltes Praktikum bei Mothex, um sich dort zu qualifizieren und auf die Arbeitswelt vorzubereiten. Nach einer ausführlichen Einarbeitung bearbeiten sie selbst die regionalen Kundenaufträge im Bereich Büro-Dienstleistungen wie zum Beispiel Transkriptionen oder Recherchen – selbstständig von zuhause aus.

Das virtuelle und zeitlich flexible Arbeiten soll die körperlichen Einschränkungen kompensieren. Dabei werden sie von Kelz gecoacht und unterstützt. Ihr Lohn ist die Ausbildung und damit neue Chancen auf dem Arbeitsmarkt, wie Kelz erklärt. Der Ausbilder und Hochschul-Dozent vermittelt sein Team an Firmen. Denn das oberste Ziel sei, dass die Trainees eine neue Stelle bekommen. Sie sollen auf diesem Sprungbrett ganz vorne stehen und abspringen. „Ich freue mich für jeden, der geht“, sagt Kelz.

Die Aufträge

Auch die Adresssammlung für den Kindererlebnisplan der Stadt Bad Säckingen war ein Auftrag, den Mothex übernahm. Zudem entwickelten die Mitarbeiter die dazugehörige App. Das Portfolio variiert, je nachdem, was die aktuellen Mitarbeiter anbieten können. So könne es Zeiten geben, in denen Homepages entwickelt und gestaltet werden, Logos entstehen und wiederum andere Zeiten, in denen nur klassische Sekretärinnen-Arbeiten angeboten werden.

Qualifikationen erleichtern Wechsel in die Berufswelt

Seit drei Jahren gibt es Mothex, mit Firmensitz in Laufenburg. Kelz gründete es damals in enger Zusammenarbeit mit der Lebenshilfe.

Seit Beginn arbeiteten rund 15 Menschen hier. Die meisten schafften den Sprung in die Berufswelt. Die aktuell zwei Coaches sowie fünf Trainees arbeiten am ganzen Hochrhein. Ein bis zwei Mal die Woche treffen sich alle in einem Tagungsraum im Restaurant „Zum Fährmann“ in Bad Säckingen. Sie absolvieren zu Beginn ein Computer Basis-Zertifikat und können daraufhin eine Teil-Qualifikation gemäß dem IHK-Ausbildungsrahmenplan „Kaufmann/frau für Büromanagement“ erhalten. Diese Qualifikationen und auch ihr enger Kontakt zu den regionalen Auftraggebern erhöhe die Chancen auf eine Anstellung.

Der Weg in die Gesellschaft

Für viele von den „Praktikanten“ sei eine Anstellung jahrelang unvorstellbar gewesen – denn viele seien zuhause untergetaucht, zu ihrer körperlichen Behinderung kamen weitere Schwierigkeiten hinzu, etwa eine soziale Isolation. Mit Mothex hätten sie aber wieder Freude gefunden an Gemeinschaft, man motiviere sich gegenseitig und bekäme neue Aufgaben. „Das ist wirklich wertvoll“, betont Kelz. Und so entwickle sich hier jeder nicht nur beruflich, sondern mache auch wieder kleine Schritte in die Gesellschaft. Auch unter den Mitarbeitern entstehen gute Freundschaften. Gemeinsam unternimmt man Ausflüge.

Björn Kelz: Er selbst hatte die Chancen bekommen, sich beruflich weiterzuentwickeln und möchte dies auch anderen Menschen mit Handicap ...
Björn Kelz: Er selbst hatte die Chancen bekommen, sich beruflich weiterzuentwickeln und möchte dies auch anderen Menschen mit Handicap ermöglichen. | Bild: Wehrle, Verena

Wie schwer es für Menschen mit Handicap ist, in die Berufswelt einzusteigen, weiß Kelz nur zu gut: Er begleitet die Mitarbeiter zu Praktika in den Firmen und vermittelt: „Man stößt hier auf viele Ängste und Unsicherheiten“, sagt er. „Weil wir ein körperliches Handicap haben, traut man uns nichts zu und genau deshalb leisten wir – wenn wir die Chance bekommen – meistens mehr als erwartet.“ Dass man häufig unterschätzt werde, sei ein Problem der Gesellschaft.

Kein Gewinn für die Firma

Mothex sei zwar formal ein Unternehmen, aber eigentlich schon gemeinnützig, sagt Björn Kelz. Denn der Laufenburger mache mit Mothex keinen Gewinn. Ziel sei es vielmehr, dass die Kundenaufträge die Kosten für das Lernmaterial sowie die Prüfungsgebühren und die IT-Infrastruktur finanziell tragen. Es sei mehr ein Hobby. Aber, wenn man ihn reden hört, merkt man, es ist viel mehr: seine Leidenschaft.

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