Vor einigen Monaten herrschte noch große Skepsis, teilweise sogar Angst, was eine Impfung gegen Corona (Covid-19) betrifft. Inzwischen macht sich offenbar eine gegensätzliche Stimmung breit. Darauf lassen unter anderem Reaktionen von Lesern schließen, die auf verschiedene Berichte des SÜDKURIER offen nachfragen: Warum ist diese oder jene Person schon geimpft, obwohl sie aufgrund ihres Alters noch gar nicht dran gewesen wäre? Andere wiederum vermuten einen „Promi-Bonus“. Aus Furcht vor der Impfung wird offenbar Neid auf bereits Geimpfte.
Beim Impfen wird priorisiert
Der SÜDKURIER fragte beim Leiter des Kreisimpfzentrums, Olaf Boettcher, nach, ob er solche Tendenzen in seiner Praxis und im KIZ in Tiengen erkennen kann. Der Arzt verfolgt diese Debatte, kann offenen Neid aber nicht erkennen. Eine Erklärung, wie es zu dieser Art Neid komme, hat er nicht.

Im Kreisimpfzentrum gelte eine klare Priorisierung, die von de Politik vorgegeben werde. Laut baden-württembergischem Gesundheitsministerium sind dies „Personen, die in stationären und teilstationären Einrichtungen sowie in ambulant betreuten Wohngruppen zur Behandlung, Betreuung oder Pflege älterer oder pflegebedürftiger Menschen behandelt, betreut oder gepflegt werden oder tätig sind.“ Dazu gehören beispielsweise Rettungssanitäter, Mitarbeiter in Arztpraxen, Lehrer aber auch Ehrenamtlich, die in Pflegeeinrichtungen oder Schulen tätig sind.
Arzt bestätigt, dass es Drängler gibt
Boettcher kann allerdings durchaus erkennen, dass es Drängler gibt: „Die sind mittlerweile die Regel, jeder will halt der Erste sein. In unseren Praxen wird das als extrem lästig empfunden, dass ein derartiger Gesichtsverlust vorherrscht bis hin zu aggressiven Beschimpfungen unseres Personals.“ Er geht sogar noch einen Schritt weiter: „Ich hatte zumindest noch nie zuvor so viele ‚Freunde‘, die sich jetzt wieder an mich erinnert haben…“
Der Mediziner hat Verständnis für die Kritik an der Priorisierung, die verstehe niemand mehr, sie ergebe auch so keinen Sinn: „Impfstoff ist halt die einzige Lösung und nicht anhaltende Versprechen, die nicht gehalten werden. Die Politik soll aufhören Versprechen zu machen, die sie nicht einhalten kann“, ärgert sich Olaf Boettcher.
Wenn er von Impfwilligen gefragt werde, wieso sie noch nicht dran sind, kann er momentan also nur eine Antwort geben: „Der Gesetzgeber hat eine Priorisierung geschaffen, an die wir uns zu halten haben, ob wir diese nun richtig finden oder nicht. Wir Ärzte machen uns sonst strafbar.“
Skepsis gegenüber Astrazeneca
Obwohl viele Menschen offenbar nach dem Pieks lechzen, weil sie sich Erleichterungen im derzeit stressigen Alltag mit vielen Einschränkungen erhoffen, sind sie bei der Wahl des Impfstoffs wählerisch: „Astrazeneca wird sehr häufig abgelehnt, etwa von 50 Prozent der Impfwilligen“, stellt der Leiter des KIZ fest.

Impfstoff bleibe dennoch keiner übrig: „Es finden sich immer kluge Menschen, die sich durch solche Verleumdungen nicht verunsichern lassen. Ich stehe hinter Astrazeneca und vermittle das auch so.“