Ralf Berg kann während der Gerichtsverhandlung am Landgericht Waldshut-Tiengen kaum still sitzen: Er tippelt mit den Füßen auf dem Boden. Für ihn steht viel auf dem Spiel, denn das Gericht verhandelt die Herausgabe der Praxisräumlichkeiten an der Berghausstraße 2 in Ühlingen, dem Alten Rathaus, an Mohamed Jafar.
Jafar hat sich für den Gerichtstermin in Schale geworfen: Während Berg eine Sportjacke trägt, hat Jafar einen karierten Anzug und schicke braune Schuhe an. Er will mit der Klage auf Herausgabe Berg dazu bringen, die Praxisräumlichkeiten im Alten Rathaus zu übergeben. Denn eigentlich hätte Jafar im Oktober 2020 die Praxis von Berg übernehmen sollen. Dazu kam es nicht und seitdem praktiziert Berg weiter – seit bald einem Jahr ohne gültigen Mietvertrag, dafür seit fast einem halben Jahr mit Räumungsklage.
Die Vorgeschichte
Der 60-jährige Ralf Berg sucht seit zehn Jahren einen Nachfolger für seine Landarztpraxis im Ortskern der 1100-Einwohner-Gemeinde Ühlingen. Mohamed Jafar, 57, sucht hingegen eine eigene Landarztpraxis – es ist ein lang gehegter Wunsch des Irakers, der zuvor in Sachsen als Arzt arbeitete. Er kam extra für eine Praxisübernahme in Görwihl in den Schwarzwald. Als diese scheiterte – Jafar beschuldigte im Nachgang den dortigen Bürgermeister, sich nicht ausreichend für ihn eingesetzt zu haben – fand Jafar die Annonce von Berg.
Gesucht und gefunden also? Zunächst sah es danach aus. Zum 1. Oktober 2020 wollten die Mediziner eine Praxisübernahme arrangieren, im März 2020 hatten sie einen entsprechenden Übergabevertrag ausgearbeitet. Jafar wurde Bergs Patienten als Praxisnachfolger vorgestellt. Bei der örtlichen Apotheke, die sich gegenüber dem Alten Rathaus befindet, stellte er Jafar gar mit einem ausgedruckten Lebenslauf vor.
Was also war schief gelaufen, dass die Praxisübernahme letztlich doch scheiterte? Diese Frage zu beantworten, fällt selbst dem Landgericht schwer. Die einzelnen Vertragsdetails – die Bedingungen, unter welchen Berg weiter für Jafar arbeiten sollte, die Zuständigkeit zur Einreichung von Änderungsanträgen bei der Kassenärztlichen Vereinigung – werden von beiden Ärzten und ihren Anwälten immer aus grundverschiedenen Blickwinkeln wiedergegeben. Über die Details hat der SÜDKURIER bereits ausführlich geschrieben.
Manchmal reicht eine einfache Frage des Richters, die einen Schlagabtausch der Ärzte mit roten Köpfen provoziert. Der Richter hält an einer Stelle fest, dass sich die Debatte „dem Greifbaren“ entziehe. „Eines kann man festhalten: Eine Praxisgemeinschaft zwischen Ihnen beiden kann definitiv nicht empfohlen werden.“
Wie soll es weitergehen?
Ganz offen fragt er die beiden Ärzte, wie es weiter gehen soll. Jafar, der seit dem Scheitern der Praxisübernahme als „Notlösung“ in Räumlichkeiten keine 200 Meter entfernt vom Alten Rathaus eine Hausarzt-Praxis betreibt, will in den Räumlichkeiten praktizieren, die ihm „laut Vertrag zustehen“.
Berg will ebenfalls nicht aus den Räumlichkeiten raus. „Nach dem Scheitern der Übernahme ist auch für mich viel zusammengebrochen, ich wusste nicht, wie es weitergeht“, erzählt er. Seine Hoffnung setzt er in eine junge Kollegin, die zum 1. Januar 2022 in seine Praxis einsteigen soll – „sie ist gewillt und fähig, die Praxis zu übernehmen“, so Berg.
Vor wenigen Wochen erst war Berg deshalb vom Übernahmevertrag zurückgetreten. Das Landgericht erklärt allerdings in einer „vorläufigen, rechtlich nicht bindenden Einschätzung“, dass das Gericht wohl bei der aktuellen Faktenlage zum Ergebnis kommen würde, dass dieser Vertragsrücktritt unwirksam ist – Jafar habe nicht, wie Berg anführt, seine im Vertrag festgelegten Pflichten verletzt.
Vielmehr prognostiziert der Richter, dass Berg im Falle eines Urteils einen „Prozessnachteil“ haben könnte: Seine Motivationen für das Platzenlassen der Praxisübernahme habe er nicht klar darlegen können. Hinzu komme die „rechtlich prekäre Lage“, die sich durch die Räumungsklage ergibt, welche die Grundstückseigentümerin gegen Berg erhoben habe, um Jafar den Einzug zu ermöglichen.
„Es ist also sowieso eine Frage der Zeit, bis Jafar in die Räumlichkeiten kommt“, so der Richter. „So drängt sich die Frage auf, ob sich nicht doch noch eine Möglichkeit finden würde, um zu einer Einigung zu kommen.“ Ohne eine abschließende Entscheidung zu treffen, macht der Richter den beiden Ärzten also den Vorschlag, den Vertrag doch noch umzusetzen:
„Jafar erhält die Räumlichkeiten von Berg – die Patientendaten werden außen vor gelassen. Die Konkurrenzschutzklausel wird aus dem Vertrag gestrichen, dafür verpflichten beide Seiten sich, nicht schlecht über den anderen zu reden. Über den Kaufpreis müsste man etwaig noch einmal verhandeln.“Der Vorschlag des Richters
Die beiden Parteien haben nun bis zum 20. Januar 2022 Zeit, zu dem Vorschlag Stellung zu nehmen – falls es keine Einigkeit geben sollte, wird weiter verhandelt. Möglich wäre beispielsweise, dass bei einer Einigung die Praxisübergabe letztendlich zum 1. März 2022 vollzogen wird.
Bergs Anwalt spricht von einer „Grundsatzentscheidung“, inwiefern sein Mandant bereit wäre, diesem Vorschlag zuzustimmen. Jafars Anwalt hingegen zeigt sich grundsätzlich daran interessiert, die Vertragsstreitigkeiten auf diesem Wege zu lösen. Ein entscheidender Punkt dürfte dennoch sein, dass Jafar Anspruch auf Schadensersatz und Vertragsstrafen sieht. Um diese geltend zu machen, so der Richter, sei es allerdings noch ein „weiter Weg“.