Leon (14) ist ein bisschen nervös, weil heute die Frau von der Zeitung da ist. Gemeinsam sitzen wir am Familien-Esstisch im Waldshuter Musikerviertel und Leon macht mit seinem Smartphone Fotos. „Das hat er neu bekommen, weil sie in der Schule jetzt Bus- und Zugfahren üben und so im Notfall die Lehrerin anrufen können“, erzählt seine Mutter Susanne Heer (57).

Leon kam mit dem Down-Syndrom zur Welt, einem Gendefekt, der körperliche wie geistige Entwicklungsverzögerungen mit sich bringt. „Wir haben es erst nach der Geburt erfahren – hätten ihn aber auch bekommen, wenn wir es vorher gewusst hätten“, erinnert sich Susanne Heer, „mein Mann war anfangs völlig schockiert, ich konnte die Diagnose leichter annehmen.“

Familie Heer hat damals bereits zwei Töchter ohne Down-Syndrom (zwölf und neun). Weil Leon zusätzlich mit einem Loch im Herzen zur Welt kommt, muss er mehrfach operiert werden und die ersten sechs Monate in der Uniklinik Freiburg verbringen. In dieser Zeit kümmern sich Kurt Heer und eine Dorfhelferin um die Töchter.

Leon (14) aus Waldshut hat das Down-Syndrom. Durch frühe Förderung kann er recht gut sprechen und schlägt seine Eltern Susanne und Kurt ...
Leon (14) aus Waldshut hat das Down-Syndrom. Durch frühe Förderung kann er recht gut sprechen und schlägt seine Eltern Susanne und Kurt sogar beim gemeinsamen Kartenspiel. | Bild: Sira Huwiler-Flamm

Fünf Monate ist Susanne Heer komplett in Freiburg, die letzten vier Wochen pendelt sie täglich hin und her. „Das war eine schwierige Zeit“, sagt sie. Parallel beginnt sie sich mit dem neuen Thema auseinanderzusetzen, liest viele Bücher, lernt über die Lebenshilfe eine andere Mutter mit betroffenem Kind in Leons Alter kennen: „Dieser Austausch war sehr wertvoll – und toll für Leon, weil er von klein auf einen gleichgesinnten Spielgefährten hatte.“

Leon braucht besondere Förderung

Als Eltern verstehen Susanne und Kurt Heer schnell, dass ihr Kind besondere Förderung braucht: „Wir sind nicht nur regelmäßig zur Ergotherapie und Logopädie gegangen, sondern haben auch alle Memory-Spiele, die man sich vorstellen kann, gekauft“, Susanne Heer und lacht. Ob mit Tieren, Gegenständen oder Fahrzeugen – die ganze Familie spielt Memory rauf und runter, lässt Leon jeden Begriff laut aussprechen.

Denn nicht alle Kinder mit Down-Syndrom können sprechen. „Dass er zwei plappernde große Schwestern hat, die ihn von Anfang an wie ein normales Kind behandelt haben, war sicher sein großes Glück“, sagt Kurt Heer.

Deutsch und Mathe machen Spaß

Dass Leon als Erwachsener in einer Gemeinschaft wohnen, arbeiten, lieben und leben kann – dazu soll auch der Besuch der Carl-Heinrich-Rösch-Schule in Tiengen seit dem Kindergartenalter beitragen. Die Schule ist auf geistig behinderte und entwicklungsverzögerte Kinder spezialisiert und hat sich die Förderung der Selbstständigkeit als Ziel gesetzt. Mittlerweile besucht Leon die achte Klasse. Und was mag er am liebsten? „Deutsch, Mathe und Backen“, sagt er, „und einkaufen macht Spaß.“ Neben den gängigen Unterrichtsfächern üben sie in der Klasse, die aus sechs Schülern besteht, nämlich auch alltägliche Dinge wie Einkaufsplanung, Kochen, Gärtnern und mit öffentlichen Verkehrsmittel zu fahren.

Leon (14) aus Waldshut hat das Down-Syndrom. Durch frühe Förderung kann er Schlagzeug und Keyboard spielen.
Leon (14) aus Waldshut hat das Down-Syndrom. Durch frühe Förderung kann er Schlagzeug und Keyboard spielen. | Bild: Sira Huwiler-Flamm

„Uns war wichtig, wie bei unseren anderen Kindern auch, dass Leon ein Instrument lernt“, sagt Susanne Heer, „zuerst hat er Posaune gespielt, dann wollte er lieber auf Schlagzeug und Keyboard wechseln.“

Leon zeigt, wie er die Drumsticks am Schlagzeug schwingt.
Leon zeigt, wie er die Drumsticks am Schlagzeug schwingt. | Bild: Sira Huwiler-Flamm

„Im Familienzentrum Faz in Lauchringen hatte Leon sogar schon Auftritte“, sagt seine Mutter, „wir schätzen die Einrichtung sehr, weil hier wirklich echte Inklusion stattfindet und Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam spielen, lachen und schöne Ausflüge unternehmen.“

Gruppe für Eltern und Kinder

Durch Anregung von Faz-Leiterin Ulla Hahn hat Susanne Heer 2019 auch die Wunderkinder-Selbsthilfegruppe für Familien mit Down-Syndrom-Betroffenen gegründet. Zehn Familien mit Kindern zwischen zwei und 15 Jahren treffen sich mittlerweile monatlich. Zum Abschied lädt mich Susanne Heer zum Treffen in der selben Woche ein.

Die Wunderkinder-Selbsthilfegruppe trifft sich jeden Monat zum gemeinsamen Toben – in den Wintermonaten in der Boulderhalle ...
Die Wunderkinder-Selbsthilfegruppe trifft sich jeden Monat zum gemeinsamen Toben – in den Wintermonaten in der Boulderhalle Hotzenblock in Tiengen. Die Räume bieten viel Platz zum Rutschen, Klettern und Spielen. | Bild: Sira Huwiler-Flamm

Am Freitagnachmittag um 15 Uhr sind vier Familien in das Spielzimmer der Boulderhalle gekommen. Die Kleinsten sausen mit Unterstützung von Mama und Papa jauchzend die Rutsche hinunter, schwingen kichernd an Ringen durch den Saal oder kraxeln Mini-Kletterwände hinauf. Leon ist heute mit Abstand der Älteste.

Die Wunderkinder-Selbsthilfegruppe trifft sich jeden Monat zum gemeinsamen Toben – in den Wintermonaten in der Boulderhalle ...
Die Wunderkinder-Selbsthilfegruppe trifft sich jeden Monat zum gemeinsamen Toben – in den Wintermonaten in der Boulderhalle Hotzenblock in Tiengen. | Bild: Sira Huwiler-Flamm

„Hier in der Gruppe können die Kinder unbeschwert spielen und wir Eltern Erfahrungen austauschen, ohne alles erklären zu müssen“, sagt Heer, „das ist toll!“ Familie Maier aus Klettgau ist heute mit Yara (4) gekommen. Die Kleine ist ein Wirbelwind, saust lebensfroh durch das Spielzimmer. „Dass sie so viel spricht ist auch dem Besuch des normalen Kindergartens zu verdanken“, sagt Vater Raphael Maier.

Familie Maier hat lange um einen Platz im normalen Kindergarten für Töchterchen Yara (4) gekämpft. Jetzt besucht der kleine Wirbelwind ...
Familie Maier hat lange um einen Platz im normalen Kindergarten für Töchterchen Yara (4) gekämpft. Jetzt besucht der kleine Wirbelwind den katholischen Kindergarten St. Josef in Erzingen – und geht unter Gleichaltrigen, die nicht das Down-Syndrom haben, total auf. | Bild: Sira Huwiler-Flamm

Aber bis sie im Klettgau einen Kindergarten gefunden hätten, der offen für ihr Wunderkind war, hätten Maiers über ein halbes Jahr mit der Gemeindeverwaltung kämpfen müssen. „Das war sehr traurig und kräftezehrend“, so Maier. Schließlich sei aber der katholische Kindergarten St. Josef in Erzingen bereit gewesen, Yara einen Platz zu geben. „Für uns ist das sehr schön“, sagt Mutter Manon.“

Was wünschen sich Eltern von der Gesellschaft?

Und was wünschen sich die Eltern generell von der Gesellschaft? „Einen ganz normalen Umgang mit offenem Herzen und ohne Angst“, da sind sich alle Eltern einig, „Menschen mit Down-Syndrom sind genau so unterschiedlich wie wir, fühlen Ängste, Trauer und Liebe – und brauchen soziale Interaktion, um glücklich zu sein!“

Das könnte Sie auch interessieren