Alina (28) und Benny (35) sind seit vier Jahren zusammen und seit zwei Jahren verheiratet. Sie lieben sich. Benny ist aber auch in seine 22-jährige Freundin verliebt. Von Liebe zu ihrem 30-jährigen Freund mag Alina nicht sprechen, allerdings seien Gefühle vorhanden, die über die rein sexuelle Ebene hinausgehen.
Alina und Benny leben im Kreis Breisgau-Hochschwarzwald und wie sie leben und lieben nennt sich polyamor. Polyamorie ist der Fachbegriff für eine Beziehungsform, bei der eine Person mehrere Menschen liebt, mit ihnen richtige Liebesbeziehungen eingeht und alle voneinander wissen.
„Die Basis unserer Beziehung ist absolutes Vertrauen.“Alina
Benny ergänzt: „Wenn nicht alle übereinander Bescheid wüssten, dann wäre es betrügen.“
Doch polyamor lebte das Paar nicht von Anfang an. Zunächst ging es Benny und Alina darum, den eigenen sexuellen Horizont zu erweitern. „Wir sind da so reingewachsen. Erstmal waren wir neugierig und es ging uns darum. Bis zum Partnertausch waren wir damals noch gar nicht bereit zu denken.“ Zu dieser Zeit riefen sie ihren eigenen Blog Schlafzimmerlaunen.de ins Leben, in dem sie ihre Erfahrungen festhielten. „Die Grundidee war es, Neulingen in der Swingerszene, wie wir es waren, Erfahrungen an die Hand zu geben.“
Eine Beziehung zu viert
Vor rund einem Jahr dann machten die Eheleute eine außergewöhnliche Erfahrung: Aus einem sexuellen Abenteuer wurde mehr und Benny und Alina verliebten sich ein anderes Paar – und diese beiden erwiderten die Gefühle. „Das war einfach unglaublich und so richtig fassen konnte es niemand, zumal das Pärchen direkt aus unserem Nachbarort kam“, sagt Alina. Eine Konstellation, die auch in Polyamorie-Kreisen als „Sechser im Lotto“ angesehen wird.
Verschiedene Beziehungskonzepte
Etwa ein Jahr dauerte die Beziehung der vier. „Dass sie auseinander gegangen ist, ist sehr schade, aber für uns war es eine sehr bereichernde Erfahrung, für die wir dankbar sind.“ Ihre Erfahrungen haben sie in ihrem Blog festgehalten. „Wir haben uns sehr stark weiterentwickelt im Laufe der Zeit und unsere Ehe wird immer besser“, sagt Alina.
„Monogamie funktioniert für viele und das ist auch gut so. Für uns war es aber klar, dass wir die monogame Lebensweise bewusst hinterfragen wollen.“Benny
Alina erklärt: „Wir wollten das Beste aus unserer Beziehung rauszuholen und uns gegenseitig nicht in der persönlichen Entfaltung zu begrenzen. Wir sehen es mittlerweile so, dass man, wenn man jemanden liebt, ihm alle Freiheiten zugestehen soll und kann. Der Partner wird also nicht als Eigentum angesehen und mit Verboten belegt, sondern darf sich im Rahmen der Regeln frei entfalten darf.“
Wie die Entwicklung begann
Benny erinnert sich noch genau, wie das Thema erstmals auf den Tisch kam: „Ich war abends unterwegs und hatte einen aufregenden Flirt. Es ist nichts weiter passiert, aber die ganze Nacht wälzte ich mich mit Schuldgefühlen herum und hatte ein richtig schlechtes Gewissen meiner Frau gegenüber.“ Gleich am nächsten Morgen suchte er das Gespräch: „Und dann erlebte ich die größte Überraschung, als Alina sagte, dass ich mich doch auf den Flirt einlassen solle.“ Das Eis war gebrochen.
„Mir hat meine Reaktion gezeigt, wie sehr gesellschaftliche Konventionen, ja, man kann es ‚Ketten‘ nennen, auf meine eigene Persönlichkeit Einfluss hatten“, sagt Benny, der auch zugibt, zu Beginn der Beziehung mit Alina sehr eifersüchtig gewesen zu sein. „Das war kindisch“, sagt er heute.
Alina und Benny gehen offen mit ihrer polyamoren Lebensweise um. Über ihre Erfahrungen sprechen sie in ihrem Podcast unter zweisigartig.de/Podcast der auch auf Spotify, iTunes und Deezer zu hören ist. Auch im realen Leben machen sie kein Geheimnis daraus, polyamor zu leben. „Auch unsere Eltern wissen darüber Bescheid und haben erstaunlich locker reagiert“, sagt Benny. Besuche in Swingerclubs, mehrere Beziehungen und neue sexuelle Erfahrungen: „Wir haben noch nie negatives Feedback bekommen. Natürlich werden wir von einigen auch belächelt, aber es ist ja klar, dass unsere Lebensweise nicht für jeden das Richtige ist“, sagt Alina.
Über Abstand und Eifersucht
Auch während der Corona-Krise haben Alina und Benny ihre Partner weiterhin gesehen. Allerdings: „Zu Beginn des Lockdowns war es generell recht undurchsichtig, inwiefern auch normale Fernbeziehungen gepflegt werden dürfen. Nachdem dies dann ‚erlaubt‘ war, war für uns klar, dass wir das als wichtigen Bestandteil unseres Lebens sehen und es Beziehungen sind, die mit festen Beziehungen vergleichbar sind. Wir haben uns dann natürlich nur Zuhause getroffen und sind maximal zusammen spazieren gegangen“, erklärt Alina.
Und wie ist das mit der Eifersucht? Alina erklärt:
„Es wäre gelogen zu sagen, Eifersucht gäbe es nie, aber im Laufe der Zeit hat sich vieles entspannt, auch weil das Vertrauen immer mehr gewachsen ist.“Alina
Alle Pärchen haben auch abseits des Schlafzimmers ihre besonderen Orte, Rituale und Gemeinsamkeiten. „Tatsächlich haben wir bis vor Kurzem hier noch sehr strikte Regeln gehabt, zum Beispiel was Ausflugsziele angeht“, sagt Alina. Sie ergänzt: „Doch wir haben gesehen, dass das so nicht umsetzbar ist, ohne dass es auf Kosten des anderen Partners geht, der ja das gleiche Recht auf Unbeschwertheit in der Beziehung hat. Wir haben erkannt, dass wir unserem Glück damit selbst im Weg stehen und es geändert.“
Wie das aussieht? Benny nennt ein Beispiel: „Wenn es um einen Kinofilm geht, den wir beide sehen möchten, dann besprechen wir uns kurz. Ist es ok, wenn ich ihn mit meiner Freundin anschaue? Oder möchte Alina vielleicht mit? Das ist ja auch nicht ausgeschlossen.“
Ob Bennys Freundin nicht vielleicht insgeheim den Wunsch hege, ihn ganz für sich zu haben? Auf diese Frage muss Benny lachen. „Nein, es war von Anfang an ganz klar: Alina gehört zu mir. Und meine Freundin hat selbst auch deutlich gesagt: ‚Wenn du Alina verlässt, dann bin ich auch weg!‘“
Klare Absprachen und sehr viel Kommunikation
Die 50:50-Zeitaufteilung zwischen den jeweiligen Beziehungen gibt es bei Benny und Alina nicht. „Wir sprechen das immer so ab, dass es passt.“ Alina muss schmunzeln und sagt: „Benny ist mit seiner Freundin seit November zusammen und natürlich hat er das Recht, sie richtig kennenzulernen und auch die Verliebtheit auszuleben. Selbstverständlich ist dadurch die Freizeit etwas mehr von der neuen Beziehung geprägt und seine Partnerin ist einfach in Gesprächen und in unserem Alltag allgemein präsent. Das ist völlig in Ordnung.“
Man hört Benny an, wie glücklich er ist, als er sagt:
„Du hast die Festigkeit, Ruhe und Beständigkeit deiner Ehe und zugleich die Schmetterlinge und das Verliebtsein der neuen Beziehung. Du genießt also alle Vorteile.“Benny
Doch um glücklich in dieser Konstellation leben zu können, müssen Alina und Benny ständig an sich und ihrer Beziehung zueinander arbeiten: „Es ist entscheidend, dass wir miteinander kommunizieren und uns ehrlich und offen austauschen. Das kostet manchmal Kraft, aber es ist das Wichtigste überhaupt. Es ist sozusagen unsere Regel Nummer 1“, sagt Alina. Denn nur dadurch sei es möglich, gegenseitiges Vertrauen zu erhalten und weiter aufzubauen. „Und das ist das Allerwichtigste. Ohne Vertrauen und Kommunikation wäre unsere Ehe rasch am Punkt der typischen ‚Untreue‘.“
In der Praxis sieht das so aus, dass beide sehr intensiv miteinander sprechen, aber auch mit ihrem jeweiligen anderen Partner. „Wir können wirklich über alles reden und zwar ganz normal im Alltag: Über Sex, die Erfahrungen, die wir mit unseren anderen Partnern machen und über unsere Bedürfnisse. Das tut unheimlich gut.“
Der Polyamorie-Stammtisch Freiburg
Einen Austausch mit Gleichgesinnten ermöglicht unter anderem der Polyamorie-Stammtisch Freiburg. Er findet am 17. eines jeden Monats ab 19 Uhr statt. Das jeweilige Freiburger Lokal wird in der Facebook-Gruppe bekanntgegeben. Kontakt: polytreffenfreiburg@gmail.com