Es ist ein schwarzer Sommer für die Stadt Bad Säckingen. Nach den Stadtwerken gerät jetzt auch die Gesundheitscampus GmbH auf der Zielgeraden finanziell aus dem Ruder. Aber im Gegensatz zu den Stadtwerken steht derzeit völlig in den Sternen, ob das Campus-Projekt noch zu retten ist. Denn die Baukosten sind offenbar derart explodiert, dass es nicht mehr finanzierbar ist. Die ursprüngliche Kosten-Kalkulation lag bei 28 Millionen, im Moment sind von 43,8 Millionen Euro Gesamtkosten die Rede. Das Unglaubliche dabei: Ob das auch stimmt, wissen derzeit weder Geschäftsführer Jörg Blattmann noch Bürgermeister Alexander Guhl, noch Planer und Projektsteuerer. Klar ist: Wenn sich die Zahlen als korrekt herausstellen, läuft es auf eine Insolvenz der Campus GmbH, einer 100-prozentigen Tochtergesellschaft der Stadt, heraus. Die Bauarbeiten auf dem Gelände stehen bereits still. Dabei sollte Ende des Jahres der erste Bauabschnitt, das Ärztezentrum, zum Bezug fertig sein und die Mieter einziehen.
Wie konnte sich die Lage derart zuspitzen?
Das weiß keiner so genau. Denn die Entwicklung auf der Baustelle im ehemaligen Spital ist offenkundig für alle Beteiligten ein Rätsel. Im Pressegespräch am Mittwoch Abend im Rathaus schilderten Guhl und Blattmann völlig ratlos die Situation, die sich binnen eines Monates komplett zugespitzt hat. Die beiden beschreiben die Entwicklung der letzten vier Wochen so: In der Aufsichtsratssitzung im Juli hätten Planer und Projektsteuerer anhand von plausiblen Unterlagen und Listen dokumentiert, dass für die Bausumme von 28 Millionen bereits 80 Prozent der gesamten Bauleistung bereits erbracht oder als Auftrag vergeben sei. Das sei auch zu schultern gewesen, sagt Guhl, man sei im Juli von erhöhten Gesamtkosten von 35 Millionen ausgegangen. Diese Erhöhung war laut Guhl vor dem Hintergrund der allgemeinen Baukostensteigerungen noch nachvollziehbar. Damit sei aber die Obergrenze des Machbaren erreicht gewesen. Aber es kam anders: In der August-Aufsichtsratssitzung letzte Woche hätten dieselben Planer plötzlich Gesamtkosten von knapp 44 Millionen aufgerufen.
Woher kommen fast zehn Millionen Euro Mehrkosten? Die Planer haben keine Ahnung
So sind innerhalb von vier Wochen fast zehn Millionen Mehrkosten entstanden. Doch keiner der Planungs- und Bauverantwortlichen habe das erklären können, erzählen Guhl und Blattmann. „Das ist doch nicht nachvollziehbar“, sagt Guhl. Es hätten im Nachgang zur Sitzung mit den Planern zwar Gespräche stattgefunden, die hätten aber kein Ergebnis gebracht. Die Planer hätten nun bis kommenden Mittwoch die Aufgabe, die Zahlen sauber und nachvollziehbar zu dokumentieren. Aktuell hat der Bürgermeister nur eine Erklärung: Entweder sind die vorgelegten Juli-Zahlen falsch oder die vom August. Beide hoffen natürlich auf letzteres, dann hätte der Campus noch eine Chancen. Falls nicht: Dann muss Insolvenz angemeldet werden, sagt Blattmann. Denn eine Gesamtsumme von 44 Millionen sei nicht zu finanzieren. Da würde die Bank sofort die Kreditgelder sperren.
Ist das Zahlenchaos ein Ergebnis von Schlamperei?
Für Bürgermeister und Geschäftsführer sind sowohl die Zahlen selber als auch die Erklärungsnot von Planern und Projektsteuerer ein Rätsel. Sie hätten nicht nur den Eindruck von Ahnungslosigkeit vermittelt, sondern auch von Gleichgültigkeit, beschreibt Guhl das Gespräch. Er glaubt ohnehin, dass viele Betriebe aktuell Aufträge der öffentlichen Hand als Selbstbedienungsladen betrachten.
Hat der Gesundheitscampus noch Perspektiven?
„44 Millionen kann die Stadt als Gesellschafter nicht aufbringen“, stellt Guhl klar. Das heißt: Mit den vorliegenden Angeboten ist das Projekt nicht zu realisieren. Ein Insolvenzverfahren bietet dabei aber auch einen Ausweg an: Bei einer Insolvenz wären alle Ausschreibungen hinfällig, der Insolvenzverwalter könnte zudem schon geschlossene Verträge kündigen oder neue verhandeln. Damit könnten die explodierten Kosten wieder deutlich gedrückt werden. Diese Möglichkeit, nach einer Ausschreibung nachzuverhandeln, haben öffentliche Auftraggeber nicht. „Wir prüfen noch alle rechtlichen Möglichkeiten“, will sich Guhl noch nicht festlegen, ob Insolvenz beantragt werden soll. Der Nachteil: Bei einem Insolvenzverfahren geben die Verantwortlichen das Heft des Handelns aus der Hand. Und: Sollten die Bemühungen des Insolvenzverwalters erfolglos bleiben, wären die bislang in das Gebäude gesteckten 15 Millionen Euro verbrannt.
Wo könnte noch frisches Geld herkommen?
Aber es geht in den nächsten Tagen und Wochen nicht nur um die Kosten. Um auch die Finanzierungssituation zu verbessern, will Guhl auch das Gespräch mit allen Beteiligten suchen: Er hofft dabei auf Unterstützung vom Land und auch vom Landkreis. Insbesondere bei der Frage des Erbbaurechts sieht er noch Gesprächsbedarf.
Aber auch mit den künftigen Mietern – also den Ärzten, Dienstleitern und dem Pflegeheim St. Marienhaus – will der Bürgermeister noch einmal nachverhandeln, um die Einnahmesituation zu verbessern. Bislang kalkuliert die Campus GmbH mit jährlichen Mieteinnahmen von 1,2 Millionen Euro, mit dem die Darlehen finanziert werden müssen. Angesichts des günstigen Mietzinses, sieht Guhl hier auf jeden Fall noch Steigerungsbedarf. „Wir brauchen eine Gemeinschaftsleistung aller Beteiligten“, so Guhl.
Was bedeutet die jetzige Situation für die Mieter?
Mit dem Cateringsservice OM sollte der erste Mieter eigentlich schon einziehen, Ende des Jahres sollten die ersten Mediziner folgen. Daraus wird vorerst nichts, denn Unter- und Erdgeschoss sind erst zu 80 Prozent fertiggestellt. „Die Mieter sind jetzt auf sich allein gestellt“, erklärt Jörg Blattmann. Jeder müsse selbst sehen, dass er seine bisherigen Mietverträge verlängert. Völlig unklar ist die Situation für das St. Marienhaus: Am bisherigen Standort darf das Pflegeheim nur noch mit befristeter Ausnahmegenehmigung betrieben werden, weil ja ein Umzug in den Campus bevorstand. Hier wird der Vincentius-Verein als Träger mit der Heim-Aufsicht im Landratsamt neu verhandeln müssen.
Können die Planer nicht in Regress genommen werden?
„Das ist heute nicht der Zeitpunkt, darüber zu diskutieren“, sieht Alexander Guhl die Prioritäten erst einmal in der Ursachenforschung. Ausschließen will er es aber nicht. „Darüber werden wir zu gegebener Zeit nachdenken.“ Einen Verdacht einer strafbaren Handlung gebe es derzeit nicht.
Alles zum Gesundheitscampus. Was bisher geschah:
Für Stadtwerke und Gesundheitscampus: Stadt darf neue Schulden machen (24. August 2022)
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