Die Albtalstraße ist seit fast neun Jahren gesperrt, immer noch besteht der Wunsch die Straße wieder zu öffnen. Doch warum dauert das so lange und wie ist denn nun der aktuelle Stand? Caren-Denise Sigg, die zuständige Dezernatsleiterin im Landratsamt Waldshut, bezieht im Interview Stellung.
2019 haben Sie im Landratsamt die Leitung des Dezernats Mobilität, Ordnung und Kommunales übernommen. Haben Sie sich damals vorstellen können, dass wir uns 2024 noch über die geschlossene Albtalstraße unterhalten?
Tatsächlich ja. Aufgrund meiner Position als Abteilungsleitung Naturschutz und stellvertretende Amtsleitung im Umweltamt habe ich das Verfahren zunächst aus naturschutzrechtlicher Perspektive begleitet. Als im Frühjahr 2019 klar war, dass ich die Position wechsele, habe ich als künftige Dezernentin versucht, das Verfahren nicht nur unter naturschutzrechtlichen Gesichtspunkten, sondern ganzheitlich zu betrachten. An diesem Punkt wusste ich: Das wird kniffelig, nicht aufgrund der technischen, sondern aufgrund der rechtlichen Anforderungen.
Hätten Sie das dann nicht gleich so kommunizieren sollen? Leute: Wir reden nicht über zwei, drei Jahre, wir reden über längere Zeiträume?
Nach der Sperrung der Straße hatte das Land ja erst Anfang 2018 – also gut drei Jahre später – entschieden, dass die Sanierung weiter und zwar unter unserer Zuständigkeit vorangetrieben werden soll. Die Entscheidungskompetenz über die Öffnung bleibt aber beim Straßenbaulastträger – dem Land.

2019 konnte man den Zeitraum für die Verfahren und Maßnahmen noch nicht so gut abschätzen. Da gab es gerade mal den Scoping-Termin, bei dem man prüft, ob der Untersuchungsraum richtig abgesteckt ist und ob weitere Gutachten notwendig sind. Erst mit dem Fortschreiten der technischen Planung wurde klar, an welchen Stellen wir eingreifen müssen, und wie viel Fläche an Lebensraum tatsächlich verloren geht. Dieser Lebensraum muss an anderer Stelle ausgeglichen werden. So sieht es das Recht vor.
Viele Leute sagen, auch im Wehratal oder im Schlüchttal ist die Situation nicht groß anders als im Albtal. Das Albtal aber ist seit neun Jahren geschlossen, andere Täler nicht.
Auch im Wehratal und im Schlüchttal gibt es eine Naturschutzkulisse und damit gelten die gleichen rechtlichen Anforderungen. Allerdings gibt es dort nur punktuelle Risiken im Hang. Wenn Fels abgeht, kommt unsere Straßenmeisterei und räumt. Gegebenenfalls rufen wir das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau, das sich die Situation ansieht und vorgibt: räumen oder sichern. Räumen geht relativ schnell. Beim Sichern muss bei einem entsprechenden Risiko auch gesperrt werden. Im Albtal haben wir im Gegensatz zum Wehra- und Schlüchttal auf 2,8 Kilometer aber einen Gefahrenbereich an dem anderen. Das ist der wesentliche Unterschied.

2015 legte das Landesamt für Geologie ein Gutachten vor, das sagte, die Straße sei erst zu sichern, und vorher…
…darf sie nicht geöffnet werden. Genau. Jetzt ist unsere Aufgabe, genauer hinzuschauen: Wie kann ich den Bereich sichern? Wie gesagt, das ist technisch beherrschbar. Der Aufwand ist im Albtal aber viel größer.
Zu den Kosten: Zuletzt war eine Summe von annähernd 30 Millionen Euro im Gespräch. Das ist ein Haufen Holz für nicht mal drei Kilometer Straße. Auf welche Bereiche verteilen sich die 30 Millionen?
Es gibt einen Wanderweg im Albtal. Wer ihn entlang wandert, sieht im nördlichen Bereich Einzelfelsformationen, die direkt auf die Straße runterfallen würden und gesichert werden müssen. Der südliche Bereich ist so steil, dass direkt an der Straße der Fels ansteht. Unten – im unmittelbaren Straßenbereich – kann der Fels mit Vernetzung gesichert werden. Oben – an der Felskante – müssen Energie- und Geröllfangzäune gestellt werden. Ursprünglich hatte das von uns beauftragte geologische Fachbüro 35 Zäune geplant. Ein Felszaun kostet pro Quadratmeter 120 Euro aufwärts. Das summiert sich.
Und wieviel an den Kosten machen die Ausgleichsmaßnahmen aus?
Die sind relativ hoch. Tatsächlich haben wir aber keine aktuelle Kostenberechnung vorliegen. Das liegt auch daran, dass wir gerade die Planung optimieren. Vorletztes Jahr ist die Salpeterer-Bewegung auf uns zugegangen und hat gesagt: „Wir haben einen Geologen, der würde das anders machen als eure geologischen Fachbüros. Schaut euch das bitte mal an!“ Wir haben gesagt: „Natürlich! Wir wollen auch wegkommen von den hohen Kosten, den großen Eingriffen und den langen Ausführungszeiten, die im Raum stehen.“
Deshalb haben wir uns die Situation noch einmal vertieft mit dem Geologen und unseren Naturschutzfachbüros sowie den beteiligten Behörden angeschaut und festgestellt, dass es einen anderen durchaus gangbaren Weg gibt. Dieser Weg bedingt aber, dass ich nochmals detaillierter hinschaue. Genau an diesem Punkt sind wir gerade.
Wir prüfen bei jedem Zaun, unter anderem wie viel Kilojoule er abfangen muss und vieles mehr. Je größer der Zaun bemessen wird, umso teurer wird er. Aber vielleicht trägt ein größerer Zaun im unteren Bereich dazu bei, dass im oberen etwas eingespart werden kann. Andersrum kann es sein, dass ein kleinerer Zaun unten dazu führt, dass im oben zusätzliche Sicherungsmaßnahmen durchgeführt werden müssen. Und tatsächlich prüfen wir auch, welche Auswirkungen all diese Maßnahmen auf die Natur haben.
Können Sie eine Hausnummer nennen, wie teuer dieses Alternativkonzept käme?
Nein, das ist gerade tatsächlich der Punkt. Wir stehen im Kontakt mit einem Ingenieurbüro, die schauen sich das Ganze noch mal an und haben keine Denkverbote. Auch Varianten, die für uns im Vorfeld eigentlich ausgeschieden waren , werden jetzt noch mal betrachtet. Momentan kann ich nicht sagen, worauf es hinauslaufen wird – auf Zäune, eher auf Einzelblocksicherungen oder auf etwas ganz anderes.
Bedeutet die Alternativplanung, dass Sie jetzt, mit Monopoly gesprochen, zurück auf Los sind?
Nein, sind wir nicht. Die Arbeit, die wir bisher geleistet haben, war und ist die Basis, um überhaupt in eine vertiefte, technische Planung einsteigen zu können.
Wie viele Gutachten haben Sie inzwischen, was haben die gekostet und wie lange können Sie mit diesen Gutachten arbeiten? Ich kann mir vorstellen, irgendwann sind die nicht mehr aktuell.
Die Gutachten haben bisher rund 700.000 Euro gekostet. Dieses Geld wurde für die Bestandserfassung und eine erste Maßnahmenplanung ausgegeben. Naturschutzgutachten sind grundsätzlich fünf Jahre gültig. Ab dann können sich Vegetation oder die vorkommenden Arten wesentlich geändert haben. Wir haben das letzte Gutachten 2022 durchgeführt. Wir können dieses aber immer wieder mit relativ geringen Aufwand aktualisieren.
Weshalb hatte man diese Alternativplanung nicht schon von Beginn an auf dem Schirm?
Das ergibt sich erst, wenn die Planungen detaillierter und fortgeschrittener sind. Auch wenn es nur 2,8 Kilometer Straße sind: Ich rede hier von einem Großprojekt, ein Planfeststellungsverfahren ist notwendig. Es ist langwierig und komplex. Man beginnt es mit einer Entwurfsplanung, dann folgt die Genehmigungsplanung, anschließend folgt die Ausführungsplanung.
In die Entwurfsplanung geht man aus Perspektive des Naturschutzes häufig mit dem sogenannten Worst-case-Ansatz, weil er bei der Ausführung einen größeren Handelsspielraum ermöglicht. Konkret bedeutet das: Wenn ich nicht jeden Baum stehen lassen muss, habe ich weniger Probleme bei der Baustelleneinrichtung, dafür einen größeren naturschutzfachlichen Eingriff. Die Alternativplanung soll den Eingriff minimieren, das macht die Ausführung zwar schwieriger, reduziert aber den Ausgleichsbedarf.
Ein Planfeststellungsverfahren hatten wir beim Pumpspeicherwerk Atdorf, haben wir bei der A98, bei der Hochrheinbahn. Weshalb bei 2,8 Kilometer Landstraße?
Im Straßengesetz ist eine Planfeststellung eigentlich nur für einen Neubau vorgesehen. Allerdings sagt das EU-Umweltrecht, dass ein besonders erheblicher naturschutzrechtlicher Eingriff unter die Umweltverträglichkeitsprüfungspflicht fällt und ein Planfeststellungsverfahren durchzuführen ist. Genau das ist im Albtal der Fall. Wenn ich die Gefahrenbereiche abschichten könnte in gefährliche und weniger gefährliche, ich die Eingriffe einzeln angehen könnte und nicht gesamthaft betrachten müsste, hätte ich keinen erheblichen Eingriff. Dann könnte ich einzelne Bereiche nach und nach sichern.

Aber wir haben keine Möglichkeit dazu. Das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau beurteilt viele Abschnitte der Straße als mit einem hohen Felssturzrisiko behaftet, sie können vom Gefährdungspotential nicht abgeschichtet werden. Die Sanierung muss in einem Zug erfolgen.
Das klingt, als ob bestimmte Vorschriften so komplex und so kompliziert sind, dass selbst Behörden große Schwierigkeiten damit haben.
Es ist tatsächlich so, dass uns das von der EU weiterentwickelte Naturschutzrecht Schwierigkeiten macht. Es geht hier um den Erhalt einer Bestandsinfrastruktur. Uns als Verwaltung wäre viel geholfen, wenn Sicherungsmaßnahmen naturschutzrechtlich fachlich zwar zu berücksichtigen aber ansonsten genehmigungsfrei wären. Wenn ich eine seit Jahrhunderten bestehende Straße erhalten möchte, sollte dies möglich sein. Hier wäre es aus meiner Sicht Aufgabe des Gesetzgebers, eine Regelung für Bestandsinfrastruktur zu erlassen. Weiter macht es uns auch die Rechtsprechung schwer, die die Hürden für das Erfüllen der Verkehrssicherheit immer höher hängt. Hier wären ebenfalls gesetzliche Klarstellungen wünschenswert.
Haben Sie schon bereut, dass das Landratsamt damals vom Land die Aufgabe übernommen hat, diese Straße zu sichern?
Nein! Hätten wir das Verfahren 2018 nicht übernommen, hätte die Straße keine Chance mehr auf eine Öffnung.
Wann haben Sie die Straße wieder offen?
Da fragen Sie mich Ende des Jahres wieder, und dann hoffe ich, dass ich Ihnen eine Antwort geben kann. Ich habe die Hoffnung, dass ich im nächsten Jahr erste Maßnahmen tatsächlich durchführen kann. Wie schnell das dann gehen wird, hängt wesentlich auch davon ab, welche Maßnahmen es sind.