Er plante einen Staatsstreich und wollte neues deutsches Staatsoberhaupt werden. Jetzt sitzt der Immobilienunternehmer, Verschwörungsideologe und „Reichsbürger“ Heinrich XIII. Prinz Reuß (71) aber erst einmal hinter Gittern. Er stammt aus einer der ältesten deutschen Adelsfamilien, in der alle männlichen Nachkommen den Vornamen Heinrich tragen. Seine Mutter Woizlawa-Feodora Prinzessin Reuß starb 2019 im Alter von 100 Jahren in dem kleinen Hotzenwalddorf Strittmatt als Anhängerin der Prophetin Uriella.

Eine Familie, in der seit 900 Jahren alle Männer den selben Vornahmen tragen

Die Familie Reuß war schon immer etwas anders als andere Familien. Ihr Stammbaum reicht zurück bis zu dem um 1120 verstorbenen Heinrich dem Frommen vom Gleißberg. Kaiser Heinrich IV. belehnte ihn mit Gera und Weida. Das sollten ihm die Reußen nie vergessen, denn seitdem benennen sie ihre männlichen Nachkommen allesamt nach Kaiser Heinrich. Allein Heinrich XIII. Prinz Reuß, der jetzt so unrühmliche Schlagzeilen machte, hat noch vier weitere Brüder, die alle Heinrich heißen.

Woizlawa-Feodora Prinzessin Reuß 2018 mit 100 in Strittmatt. Die Adelige war im bereits hohen Alter 2005 in den Hotzenwald gezogen, weil ...
Woizlawa-Feodora Prinzessin Reuß 2018 mit 100 in Strittmatt. Die Adelige war im bereits hohen Alter 2005 in den Hotzenwald gezogen, weil sie Uriella nahestand. | Bild: Werner Probst

Um die Ordnungszahlen nicht uns Unermessliche steigen zu lassen, bürgerte sich bei einigen Reußen die Regelung ein, jeweils zu Beginn eines neuen Jahrhunderts mit einer Zählung neu zu beginnen. Die Serie des 21. Jahrhunderts startete 2002 mit der Geburt eines neuen Heinrich I. Der am Mittwoch von Polizeikräften wegen der mutmaßlichen Bildung einer terroristischen Vereinigung festgenommene Heinrich war der 13. im 20. Jahrhundert geborene Prinz Reuß.

Bis vor 100 Jahren regierten die Reußen zwei Zwergstaaten in Thüringen

Bis zur Revolution 1918 existierten in Thüringen zwei reußische Ministaaten: das Fürstentum Reuß ältere Linie mit knapp 73.000 Einwohnern sowie das Fürstentum Reuß jüngere Linie mit rund 140.000. Beide einst regierenden Linien sind seit 1927 beziehungsweise 1945 erloschen. Als Haus Reuß wird heute die 1692 entstandene Nebenlinie Reuß-Köstritz bezeichnet, der auch der 1951 geborene Heinrich XIII. Prinz Reuß entstammt.

Seine Eltern waren der 1910 im schlesischen Ort Krietern geborene Heinrich I. Prinz Reuß-Köstritz und die 1918 in Heiligengrabe in Brandenburg geborene Woizlawa-Feodora Herzogin zu Mecklenburg, die 100 Jahre später im Hotzenwald sterben sollte. Beide heirateten 1939 und waren entfernte Verwandte. Woizlawa-Feodoras Mutter Viktoria Feodora war eine geborene Reuß jüngere Linie.

Adoption durch einen kinderlosen Nazi-Prinzen aus erbrechtlichen Gründen

Der letzte lebende männliche Vertreter dieses Familienzweigs war der 1895 geborene Heinrich XLV. Prinz Reuß jüngere Linie. Er war Theaterliebhaber, NSDAP-Mitglied und kinderlos. Aus erbrechtlichen Gründen adoptierte er 1935 Heinrich I. Prinz Reuß-Köstritz.

Der kriegsverletzte Heinrich I. Prinz Reuß-Köstritz und seine Familie mit den 1942 und 1944 geborenen beiden ersten Kindern lebten auf Schloss Osterstein in Gera. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Übergabe Thüringens durch die US-Streitkräfte an die sowjetische Besatzungsmacht flohen sie ins hessische Büdingen zu Verwandten.

Die Sowjets enteignen 1948 die thüringische Adelsfamilie

Als Heinrich XLV. nach seiner Internierung im August 1945 durch die Sowjets vermutlich im Sonderlager Buchenwald ums Leben kam, wurde Heinrich I. dessen Erbe. Doch das Vermögen war 1945 von der Militäradministration beschlagnahmt und 1948 enteignet worden.

1982 starb Heinrich I. Bis 1991 lebte seine Witwe Woizlawa-Feodora weiter in Büdingen, ehe sie nach der Wiedervereinigung zurück nach Gera zog. 1990 hatte die Familie in Bad Lobenstein das 1837 von Heinrich LXXII. Reuß-Ebersdorf errichtete Jagdschloss gekauft.

Nach der Wiedervereinigung fordern die Reußen ihren Besitz zurück

Das Fürstenhaus Reuß beantragte die Rückübertragung von ursprünglich über 180 Vermögenswerten, die Schlösser, Grundstücke und land- und forstwirtschaftliche genutzte Liegenschaften vor allem in Ostthüringen umfassten. Als der Freistaat Thüringen dies 1996 ablehnte, führte Woizlawa-Feodora jahrelang Prozesse zur Wiedererlangung der 1948 enteigneten Güter.

2005 entschied ein Gericht, dass die Enteignung Heinrichs XLV. rechtmäßig gewesen sei. Dennoch schlossen der Freistaat Thüringen und die Reuß 2008 einen Vergleich, in dem der Familie zahlreiche Kunstgegenstände rückübertragen wurde, von denen sie 700 versteigerte. Ebenfalls im Vergleich erhielt sie 2008 in Sachsen Schloss Thallwitz zurück.

Mit 86 Jahren zieht Woizlawa-Feodora wegen Uriella in den Hotzenwald

Zu dieser Zeit lebte Woizlawa-Feodora Prinzessin Reuß bereits in Strittmatt. Die Witwe hatte im hohen Alter Kontakt zu der 1980 von Erika Bertschinger-Eicke alias Uriella gegründeten Sekte Fiat Lux gefunden und war deshalb 2005 mit 86 Jahren in den Hotzenwald gezogen, um in der Nähe der Prophetin und deren Gemeinschaft zu sein. 2019 starben im selben Jahr beide, zuerst am 24. Februar in Ibach im Alter von 90 Jahren Uriella, dann am 3. Juni in Strittmatt im Alter von 100 Jahren Woizlawa-Feodora.

Auf einer Veranstaltung inszenierte sich Heinrich XIII. Prinz Reuß 2019 als erfolgreicher Unternehmer und schwadronierte von der ...
Auf einer Veranstaltung inszenierte sich Heinrich XIII. Prinz Reuß 2019 als erfolgreicher Unternehmer und schwadronierte von der Zerstörung des Adelsstandes durch Juden und Freimaurer. | Bild: Screenshot Markus Vonberg

Ein halbes Jahr vor dem Tod der Mutter hatte deren zweitjüngster Sohn Mitte Januar 2019 bei einer „Weltwebforum“ genannten Veranstaltung in Zürich einen bizarren Auftritt. Auf dem Portal Youtube ist im Video zu sehen, wie sich Heinrich XIII. einerseits als erfolgreicher Unternehmer zu inszenieren versucht. Andererseits lamentiert er über die Zerstörung des Adelsstands durch Freimaurer und die jüdische Bankiersfamilie Rothschild und bestreitet die staatliche Souveränität der Bundesrepublik Deutschland.

Der Prinz will 2021 über Siegelrechte und Verweser abstimmen lassen

Heinrich XIII. scheint überzeugt gewesen zu sein, dass ihm die vormaligen Herrscherrechte der Reußen weiter zustünden. Die Ostthüringer Zeitung berichtete im April 2021 über einen in Bad Lobenstein angeschlagenen „Aufruf der staatlichen Wahlkommission Reuß“ zur Eintragung der in Wahllisten bezüglich „Referendum über die Siegelrechte, Staatliche Gemeinderatswahl, Wahl des Verwesers“.

Die Familie distanziert sich „auf das Deutlichste“

Schon Monate vor der Festnahme Heinrichs XIII. hatte sich Heinrich XIV. im August als Sprecher des Hauses Reuß „auf das Deutlichste“ von seinem Verwandten distanziert. Dieser habe bereits im Alter von 14 Jahren dem Familienverbund den Rücken gekehrt. Heinrich XIII. sei ein „teilweise verwirrter“ alter Mann, der „verschwörungstheoretischen Irrmeinungen“ vertrete. Heinrich XIV. gehört dem österreichischen Zweig der Familie an.