In den weltweiten Lieferketten werden immer wieder grundlegende Menschenrechte verletzt und Umweltzerstörungen toleriert. Kinderarbeit in Indien, fehlende Arbeitsrechte in pakistanischen Textilfabriken oder illegale Abholzung in den Urwäldern Südamerikas sind nur einige Beispiele. Das Lieferkettengesetz, das der Bundestag im Juni dieses Jahres verabschiedet hat, soll deutsche Unternehmen verpflichten, ihrer globalen Verantwortung für die Achtung von Menschenrechten und Umweltstandards besser nachzukommen.
Denn ein Großteil unserer Kleidung wird in Asien produziert, Kakao und Obst werden in Afrika angebaut und Kaffeebohnen wachsen in Südamerika. Dies weiß Frank Geiger nur zur gut. Denn er ist Vorsitzender des Vereins „Faire Eine Welt“ aus Murg, der das dortige Weltlädeli betreibt, in dem Waren aus diesen Regionen verkauft werden. In der SÜDKURIER-Diskussionsrunde „Blind-Date mit dem Kandidaten“ traf Geiger nun ausgerechnet auf einen Vertreter jener Partei, die gegen das Lieferkettengesetz gestimmt hatte. Das Erstaunliche dabei: Die Meinungen der beiden Gegenspieler liegen gar nicht so weit auseinander.

Jareem Khawaja ist 19 Jahre und will für die FDP im Wahlkreis Waldshut in den Bundestag einziehen. Seine Partei hatte das Lieferkettengesetz abgelehnt. „Weil es mittelständische und Kleinunternehmen zu stark belastet“, erklärte der Student aus Laufenburg die Haltung der Liberalen auf die Frage von SÜDKURIER-Redakteur und Moderator Markus Baier. Khawaja stimmt mit Geiger darin überein, dass in den betroffenen Produktionsländern arbeitsrechtliche Grundlagen geschaffen werden müssen, um unter anderem Kinderarbeit und Dumpinglöhne zu unterbinden.
Frank Geiger beharrte auf seiner Forderung, dass auch kleine und mittelständische Unternehmen genauso wie Großkonzerne in die Pflicht genommen werden müssen. „Ansonsten haben wir Tür und Tor geöffnet für verantwortungsloses Handeln“, betonte er. Seine Forderung an die künftige Bundesregierung: „Wir müssen an diesem Lieferkettengesetz weiter arbeiten.“
Darin pflichtete ihm der FDP-Kandidat bei: „Ich bin voll bei Ihnen, dass wir gemeinsam versuchen, einen Kompromiss zu finden.“ Seiner Ansicht nach müssten aber nicht nur Unternehmen, sondern auch die Konsumenten selbst mit ihren Kaufgewohnheiten einen Beitrag leisten. Erfreulich sei, dass in den vergangenen zehn Jahren die Nachfrage nach fair gehandelten Produkten gestiegen ist. Er würde es begrüßen, wenn schon Schüler im Unterricht lernen würden, was fairer Handel bedeutet.
SÜDKURIER-Serie zur Bundestagswahl
„Das aktuelle Lieferkettengesetz hat Stärken, aber auch Schwächen“, findet Frank Geiger. Für den Realschullehrer kommt unter anderem der Klimaschutz zu kurz. Außerdem fehle ihm die Möglichkeit für die Produzenten in den Erzeugerländern, in den westlichen Absatzstaaten auf Schadenersatz zu klagen.
Was bei dieser interessanten und kurzweiligen Debatte überraschte: Ein Eingreifen oder eine Moderation des vom SÜDKURIER arrangierten Treffens war während des knapp halbstündigen Gesprächs so gut wie nicht notwendig. Routiniert warfen sich die Gegenspieler die Bälle zu, ließen sich gegenseitig ausreden und kommunizierten auf Augenhöhe. Redakteur Markus Baier setzte lediglich mit seiner Anmoderation den Gesprächsfluss in Gang. Obwohl Jareem Khawaja im Vorfeld nicht wusste, auf wen er beim Blind-Date trifft und um welches Thema es geht, meisterte der 19-Jährige souverän die Diskussionsrunde.

Bei einer persönlichen Frage übernahm Frank Geiger an einer Stelle selbst das Zepter: Er wollte von Jareem Khawaja wissen, wieso sich ein 19-Jähriger ausgerechnet die Liberalen als Partei ausgesucht hat. „Die Frage bekomme ich öfters gestellt“, antwortete der Student. Für ihn stelle seine Parteizugehörigkeit keinen Widerspruch dazu dar, sich sozial zu engagieren. 2020 hatte er den Laufenburger Verein „My biggest wish“ gegründet, der Menschen in Ländern wie Pakistan und Kambodscha helfen will, die in Armut leben. „Die Liberalen stehen für Freiheit. Dieses Grundrecht müssen wir jeden Tag verteidigen“, erklärte Khawaja mit Blick auf die aktuelle Situation in Weißrussland.
Das Wahlprogramm der FDP sieht einen Abbau von Bürokratie und möglichst wenig staatlichen Einfluss vor. „Das geht meiner Meinung nach nicht so einfach“, sagte Frank Geiger, für den diese Pläne im Widerspruch zum Lieferkettengesetz stehen. „Wir wollen nicht so wenig wie möglich, sondern so wenig wie nötig“, entgegnete Jareem Khawaja und erläuterte seinem Gesprächspartner, wie er sich den Abbau von Bürokratie ganz konkret vorstellt.
„Das erinnert mich an die Steuererklärung auf dem Bierdeckel“, meinte Frank Geiger dazu. 2003 hatte der CDU-Politiker Friedrich Merz öffentlich erklärt, dass er für die Bürger eine Steuerberechnung will, die so unkompliziert ist, dass sie auf einen Bierdeckel passt.
Unkompliziert sollte es in den Augen des Vorsitzenden des Vereins „Faire Eine Welt“ auch für die Produzenten in den Erzeugerländern zugehen. Geiger fordert für sie faire Preise sowie Transport- und Absatzmöglichkeiten im globalen Handel. „Wie soll das ohne staatliche Regulierung gehen?“, wollte er von dem FDP-Kandidaten wissen. „Wir stellen uns nicht konsequent gegen eine Regulierung“, betonte Khawaja.
In einer Sache sind sich beide Gesprächspartner einig: „Freiheit steht natürlich nicht zur Diskussion“, erklärte Frank Geiger. Nur die zügellose Freiheit in Wirtschaft und Handel prangerte der Pädagoge an. „Wir fordern nicht die total freie Marktwirtschaft, sondern wir wollen die soziale Marktwirtschaft festigen“, hielt ihm Jareem Khawaja entgegen.
Das Video in ganzer Länge
Das gesamte Gespräch von FDP-Kandidat Jareem Khawaja und Frank Geiger, Vorsitzender des Vereins „Faire Eine Welt“ aus Murg, können Sie hier sehen:
Alle Folgen des SÜDKURIER-Formats „Blind-Date“
- Wie sozial muss der Markt sein? Darüber sprechen Weltlädeli-Betreiber Frank Geiger und FDP-Kandidat Jareem Khawaja im SÜDKURIER-Blind-Date.
- Fortschritt oder gesellschaftlicher Rückschritt? So diskutieren Linken-Kandidat Robert Kuhlmann und Gewerkschafter Bernhard Schaaf das bedingungslose Grundeinkommen.
- SPD-Politikerin trifft auf Landwirt: Rita Schwarzelühr-Sutter und Benedict Wingen diskutieren über das Insektenschutzgesetz.
- CDU-Bundestagesabgeordneter Felix Schreiner und BUND-Kreisvorsitzende Josef Burghard-Bergér haben in ihrem Gespräch auch über den Schienenverkehr, einen neuen Vorstauraum beim Waldshuter Zollhof, Grenzschließungen und ihr Verständnis der Mobilitätswende gesprochen.
- „Wir wollen den Leuten das Auto nicht wegnehmen“, sagt Grünen-Kandidat Jan-Lukas Schmitt zu Autotuner Oliver Schauenburg aus Ühlingen-Birkendorf. Die beiden diskutieren über die Themen Nahverkehr, Tempolimit und Benzinpreise.