Prall, rot und süß – es ist Kirschzeit, und viele können gar nicht genug von dem leckeren Steinobst bekommen. Doch bis die Kirschen vom Baum auf dem Marktstand landen, ist es viel Arbeit. Mitarbeiterin Petra Wunderle hat den Praxistest gemacht und der Familie Meyer vom gleichnamigen Obsthof in Dossenbach bei der Kirschenernte geholfen.
Es ist acht Uhr morgens, der Himmel ist strahlend blau. Thomas und Tanja Meyer richten unzählige blaue Chirsi-Kisten, der Kofferraum ihres Pkw ist im Nu voll beladen. Dann geht die Fahrt von Dossenbach ins Gelände. Schon nach wenigen Minuten Fahrt kommen wir in der gepflegten Gemeinschaftsanlage an. Und ausgerüstet mit einem „Chratte“ (ein geflochtener Korb), der mit einem alten Ledergürtel um die Taille gebunden wird, geht es direkt an die Arbeit. Eine Leiter ist dafür kaum nötig. Die meisten Bäume sind nicht sehr hoch, und das hat seinen Grund. „Wir schneiden die Bäume, so dass sie nicht zu hoch werden, so kann man die Kirschen problemlos pflücken“, sagt Thomas Meyer. Ich persönlich vergleiche die Reihe dieser Bäume mit Bonsai im etwas größeren Stil.
Einzig bei ein paar alten Bäumen, die um die 60 Jahre alt sind, muss der Obsthof-Chef auf die Leiter steigen, um an die süßen Früchte zu gelangen. Die dunkelroten Kracher – das ist der Überbegriff für die Sorten Sweetheart, Summit, Carmen und Tamara – sind zum greifen nah, ich kann nicht widerstehen und genieße erst einmal ausgiebig frisch vom Baum in den Mund. Thomas Meyer grinst und fordert auf: „Das ist ganz normal, iss soviel wie Du magst.“ Natürlich will ich auch meinen Chratte füllen, und in dem Fall lassen sich Arbeit und Genuss prima miteinander vereinbaren.
In den frühen Morgenstunden
Kirschen pflücken ist vornehmlich in den frühen Morgenstunden angesagt. Denn, so Meyer: „Man muss sie früh pflücken, auf gar keinen Fall in den heißen Mittagstunden, das tut den Kirschen und dem Menschen nicht gut.“ Und so starten die Meyers normalerweise – wenn die Presse nicht mit dabei ist – schon um fünf Uhr in der früh. Spätestens um 12 Uhr ist dann Schluss. Bei jedem Kirschbaum sind mehrere Pflück-Durchgänge an verschiedenen Tagen nötig, bis alle Kirschen reif und geerntet sind. Je nach Wetter dauert die Kirschernte um die fünf Wochen. In diesem Jahr begann sie gut drei Wochen früher als gewohnt, das lag am warmen Wetter.
Abreißen geht gar nicht
Die zuckersüßen Früchte müssen fachgerecht geerntet werden, nur so abreißen geht gar nicht. Exakte Handarbeit ist angesagt, der Stiel muss dran bleiben. „Die Stiele haben eine wichtige Funktion, ohne sie tritt der Fruchtsaft aus und die Süßkirschen trocknen aus“, erklärt Thomas Meyer. Nach ein paar Versuchen lassen sich die Kracher problemlos und schonend vom Ast drehen.
Gegen Schluss gehen wir an die „Dolleseppler“, das ist eine kleinere Kirschsorte, die vorwiegend für Schnaps, Marmelade, Kuchen und Waien verwendet wird. „Hier bitte ohne Stiel pflücken“, ruft mir Thomas Mayer aufmerksam zu. Grundsätzlich werden alle Kirschen, auch die, die aufgeplatzt sind oder sonst einen Schönheitsfehler haben, gepflückt. Allerdings kommen die nicht in den Korb, sie fliegen geradewegs auf den Boden. Der Kunde will Kirschen ohne Makel“, weiß Meyer aus Erfahrung und erklärt weiter, dass die aufgeplatzten Früchte auch sonst keinerlei Verwendung finden. Die Haut der Kirschen platzt durch Regengüsse, dabei geht der Zuckergehalt verloren. Bei einer Verwendung, etwa zum Kochen von Marmelade, müsste dann zu viel Zucker beigegeben werden.
Als wir um die Mittagszeit die Gemeinschaftsanlage verlassen, kann sich das Ergebnis sehen lassen: Um die 200 Kilogramm Kirschen haben wir gemeinsam geerntet. Wieder zurück auf dem Obsthof müssen sie handverlesen werden. Zu kleine und nicht einwandfreie Kirschen fliegen jetzt endgültig raus. Die Kirschen, die an den Großmarkt, Bäckereien und Buureläde verkauft werden, kommen in blauen Kisten, für die kleineren Portionen gibt es 250 und 500 Gramm-Schalen, die auf den Wochenmärkten oder am eigenen Verkaufsstand angeboten werden.
Dann steht die Seniorchefin im kühlen Lagerraum und ruft fröhlich: „Essen ist fertig.“ Der lange Tisch unter den schattigen Sonnenschirmen ist reichlich gedeckt: frisch zubereitete Sommersalate, selbst gebackenes Brot, auf dem Grill brutzeln Steaks und Würste. In gemütlicher Runde verrät Tanja Meyer ihr Lieblings-Kirschen-Rezept: „Chirsi-Waie aus Brotteig, aber am besten schmecken sie immer noch beim Naschen direkt unterm Baum.“ Ihr Mann stimmt ihr zu und ergänzt lachend: „In flüssiger Form sind sie auch nicht zu verachten.“