Es sah nicht danach aus, als ob die Markgrafenstadt von Kämpfen verschont bleiben sollte. „Französische Jagdbomber überflogen das Wiesental und schossen auf alles, was sich bewegte. (...) Schopfheim begann sich, zur Verteidigung einzurichten.“ So beschrieb Heinrich Schneegaß, 1998 verstorbener SPD-Stadtrat, in seinen Erinnerungen die Wochen vor dem Kriegsende, die er als 13-Jähriger erlebte.
Wehrmachtssoldaten und Volkssturm-Männer errichteten „aus mächtigen Buchenstämmen Panzersperren“ „Die Wiesebrücke und der Hasler Tunnel bekamen riesige Ladungen Dynamit untergeschoben. An der Langenauer Wiesebrücke wurden Flakgeschütze eingegraben.“ Von Panzersperren und einem 8,8-Zentimeter-Geschütz an der Brücke, das die Maulburger Landstraße im Visier hatte, berichtete auch Kurt Ückert (Jahrgang 1935), Kolumnist und Autor, in einem Gespräch dem Historiker Hansjörg Noe.
Erst wenige Wochen zuvor, am Nachmittag des 16. Februar 1945, warfen englische Jagdbomber 16 Sprengbomben ab, die eine Schneise der Verwüstung hinterließen. Dabei kamen zwei Schopfheimer ums Leben, sechs Soldaten, vier Frauen und sechs Zwangsarbeiter aus dem Osten erlitten Verletzungen. Die Tage vor dem Eintreffen der Franzosen seien, so erinnert sich Schneegaß, „angehäuft gewesen mit falschen Parolen. Ein Gerücht jagte das andere“.
Heftige Diskussionen: Wie sollen sich die Schopfheimer verhalten?
Wolfgang Sehringer, Jahrgang 1929, später Gymnasiallehrer und Professor an der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg, verstorben 2024, erinnerte sich im Gespräch mit Noe, dass es „da und dort heftige Diskussionen gab, wie wir uns verhalten sollten. Eine weiße Fahne heraushängen? Schießen? Den Soldaten zuwinken? Sich verstecken? Man sorgte sich, wie alle Tage, um die Nahrungsbeschaffung, man überlegte, was man an verdächtigen Dingen besaß und klüglich beseitigte.“
Am 24. April dann habe laut Schneegaß „eine hektische Unruhe die Einwohner bemächtigt. Der Feind wurde erwartet“. Viele seien schon früh auf den Beinen gewesen, weil Vorräte verteilt wurden: Wein, Öl, Schuhe, Lebensmittel. Um Fleisch, Fett und Wurst hätten sich gar „heftige Kämpfe im Schlachthof abgespielt, es kam zu regelrechten Handgreiflichkeiten“.
Die Franzosen waren von Maulburg her erwartet worden. Überraschend war gegen 18 Uhr aus entgegengesetzter Richtung ein „unheilvolles Rasseln und Kettenkreischen“ (Schneegaß) zu hören. Die Panzer drangen über den Maienberg nach Hausen und Fahrnau vor. Vom Hammer zogen sie über die Hauptstraße und bogen in die Himmelreichstraße ein, um von dort den Ortsausgang und die Straße in Richtung Wehr abzusichern.
Schneegaß schreibt, dass „wildgewordene Volkssturmmänner, die sich beim Adlerbrunnen und in den umliegenden Gärten versteckt hielten, in Panik gerieten“. Ein Feldwebel schoss auf einen französischen Soldaten und verwundete diesen. „Sofort schlossen sich die Luken, die Panzerkanonen bellten, die Infanterie schwärmte aus, machte Gefangene und band den Feldwebel auf einem Panzer fest.“
Dieter Leppert, Ende 2022 verstorbener Alt-Stadtrat (Jahrgang 1930), berichtete laut Hansjörg Noe ebenfalls davon. So habe „ein Volkssturm-Mann gemeint, den Helden spielen zu müssen“. Dies deckt sich mit dem Bericht des katholischen Pfarrers Karl Gnädinger: „Kampfhandlungen haben keine stattgefunden. Wohl gab es auch in der hiesigen Stadt Heißsporne.“
Sprengung des Fahrnauer Eisenbahntunnels verhindert
Doch seien sich Bürgermeisteramt, Gendarmerie und selbst die Ortsgruppenleitung einig gewesen, dass eine Verteidigung zwecklos sei. Verhindert wurde auch die Sprengung des Fahrnauer Eisenbahntunnels. Am 24. April durchtrennten die Schopfheimer Eisenbahner Emil Fritz, Hermann Sutter und Walter Kettner unter Lebensgefahr Zündkabel.
Was sie nicht wussten: Schon einen Tag vorher hatte der Hasler Gustav Jost ebenfalls Zündkabel durchschnitten. Jost war es auch, der dann am 24. April 1945 auf dem Kirchturm in Hasel eine weiße Fahne hisste. Bei der Kirche stand noch eine SS-Einheit mit dem Befehl, jeden zu erschießen, der sich ergab.
Schopfheimer hängen weiße Fahnen heraus
Nachdem die französische Militärkolonne Richtung Wehr weitergefahren war, habe in Schopfheim „eine unheimliche Ruhe“ für den Rest der Nacht geherrscht, schrieb Schneegaß. „Wo vorher Hitlerfahnen hingen, wurden weiße Fahnen herausgehängt. Von allen Kirchtürmen wehten ebenfalls große, weiße Fahnen. Auch manche Schweizerfahne konnte man erblicken.“
Albert Glatt schreibt in der Stadtchronik: „Führerbilder knisterten wenig heimelig im Herd- oder Ofenfeuer, und in manchem Garten fand unterm Holunderbusch die verschwiegene Bestattung von Parteiabzeichen und anderen NS-Emblemen statt.“ Die eigentliche Besetzung Schopfheims begann einen Tag später, am 25. April. „Endlose Militärkolonnen“ (Schneegaß) – Panzer, Jeeps und Lkw – durchfuhren die Stadt, im ehemaligen Bezirksamt wurde eine französische Kommandantur eingerichtet, es kam zu Plünderungen, Wohnungsräumungen und ersten Verhaftungen von NS-Funktionären. Mehrere Bürger nahmen sich das Leben.
Waffen werden in die Luft gesprengt
Unter Androhung der Todesstrafe wurden die Schopfheimer aufgefordert, alle Waffen abzuliefern. Schneegaß berichtete, dass sich ein großer Haufen an Gewehren, Patronen, Panzerfäusten und Handgranaten beim Schützenhaus ansammelte. Dieser sei in die Luft gesprengt worden.
Eine Episode spielte sich in Schlechtbach ab: Der Lörracher Gestapochef Wilhelm Hahn und einige seiner Leute hatten in einer Hütte nahe dem Gasthaus Auerhahn – in der NS-Zeit ein Treff von Regimegegnern – ein Vorratslager angelegt. Die Hahn-Gruppe war beim Eintreffen der Franzosen zwar weg, die Franzosen zerstörten die Hütte aber mit Geschützfeuer. „Mit dem Einzug der Sieger begannen die schweren Hungerjahre der ersten Besatzungszeit“, schrieb Schneegaß. Aber die Menschen seien froh gewesen, den mörderischen Krieg überstanden zu haben.
Quellen: Hansjörg Noe: „Und wieder pflügt ein Stahl“, Jahrbuch Stadt Schopfheim 2017; Heinrich Schneegaß: „E Stedtli und sini Menschen“ (1990) und „Kindheit und Jugend im Stedtli“ (1995); Badische Zeitung: Zeitzeugendossiers 2005 und 2010; Christiane Scheidemann: „Weimarer Republik und Drittes Reich“, Stadtchronik 2000; Walter Glatt: „Von der Besatzung bis zum Ende der Ära Vetter“, Stadtchronik 2000.